Die Struk­tur und ihre Ant­wort

Die Bauingenieurin Emanuela Ferrari von Ferrari Gartmann hielt Ende Mai in Genf einen engagierten Vortrag mit dem fast literarischen Titel «Die Struktur und ihre Antwort». Es war die letzte Präsentation anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Gesellschaft für Ingenieurbaukunst.

Date de publication
11-07-2022

Emanuela Ferrari veranschaulichte mit dem Thema ihre berufliche Tätigkeit, die sich durch einen intensiven Dialog zwischen Architektur und Hochbau sowie durch ein ausgeprägtes Bewusstsein für die kulturelle Rolle der Ingenieurleistung auszeichnet, die – wie sie betont – ausschliesslich im Team entstehen kann. Sie begann ihre Lesung denn auch mit referenzierenden Beispielen aus der Malerei von Ladina Gaudens und eines Speichers aus dem Oberwallis.

Keine Standardlösungen

Anschliessend zeigte Emanuela Ferrari vier exemplarische Gebäude aus dem Werk des Büros Ferrari Gartmann, die alle mit ihrer Struktur in eigener Weise und abhängig vom Kontext und den Anforderungen eine unterschiedliche Antwort geben. Der mit dem Betonpreis ausgezeichnete Unterhaltsstützpunkt auf dem Berninapass im Poschiavo ist eine «Antwort auf die Landschaft» (Architektur: Bearth & Deplazes). Es ist ein Bau, der im Einzugsgebiet der Bernina-Bahnlinie erbaut wurde, einer der dreizehn Unesco Welterbestätte der Schweiz. Die im Grundriss bogenförmige Anordnung des Volumens mit den Werkhofräumen erlaubt es, eine vorhandene Geländekammer so zu nutzen, dass möglichst wenig Fels abgebaut oder Aushub entfernt werden musste. Ein Mehrwert schafft die öffentlich zugängliche Camera Obscura auf dem Siloturm. Sie ist ein Aussichtspunkt, von dem aus in den Sommermonaten die spektakuläre Landschaft erlebbar ist. Diese sorgfältige Einbettung in die Umgebung zusammen mit den vielen technischen Herausforderungen eines Baus unter extremen Bedingungen erforderte viel Engagement.

Dieses Engagement findet sich auch in der Erweiterung der Haltestellenüberdachung am Bahnhofquai in Zürich. Ein Beispiel im Bauwesen, worin eine «Antwort auf die geltenden Vorschriften in Bezug auf bestehende Strukturen» gefunden wurde (Architektur: Joos & Mathys Architekten). Die schlanke Bestandkonstruktion musste verstärkt werden. Sie zeigt, dass ein kluges Tragwerkskonzept den Eingriff fast unsichtbar und gerade deshalb von hoher Qualität macht.

Das dritte Beispiel des Bürogebäudes der Baloise Baufeld C in Basel zeigt wiederum eine «rein technische Antwort». Darin spiegelt sich der intensive Dialog zwischen Bauingenieur, Architekt und Bauphysiker und die akribische Entwicklung ungewöhnlicher Konstruktionsdetails, wodurch sich ein wahres «Kunstwerk» entwickelt (Architektur: Valerio Olgiati; Bauphysik:ei­cher + ­pau­li /ing.-büro rie­sen).

Eine «konstruktive Antwort auf eine Vision» sei schliesslich die Gestaltung der Fassaden der neuen Swisslife-Arena in Zürich, deren Elemente nicht vorgefertigt sind, sondern aus Sichtbeton mit einer Matrix bestehen, die dem Motiv eines sich bewegenden Vorhangs ähnelt (Architektur: Caruso St. John). Die Realisierung war erst nach dem Experimentieren mit verschiedenen Mustern möglich, die in Zusammenarbeit mit der Bauunternehmung gefertigt wurden. Emanuela Ferrari verdeutlichte denn auch: «Beton ist etwas Lebendiges, das sich mit der Umgebung verändert: Er kann nicht perfekt sein».

Drei Voraussetzungen sind wesentlich

Der interessante Vortrag war gespickt mit Erläuterungen zu technischen Details, aber auch voll von tiefgründigen Überlegungen zum Zusammenspiel der verschiedenen am Bau Beteiligten wie Bauherrschaft, Architektinnen und Fachplanern während der verschiedenen Planungsphasen sowie der Würdigung der Arbeit der Bauunternehmungen und der praktischen Arbeit der Handwerker. In der dem Vortrag folgenden Diskussion kristallisierte sich das Wesentliche der Arbeit von Ferrari Gartmann heraus: Eine gute strukturelle Gestaltung ist nur dann möglich, wenn die folgenden drei Bestandteile erfüllt sind:

Erstens das Know-how: Die wichtigsten konzeptionellen Entscheidungen müssen von Anfang an auf einer soliden Berechnungsgrundlage beruhen (bereits im Wettbewerb).

Zweitens das aktive Zuhören: Man muss in der Lage sein, alle Bedürfnisse der anderen zu erfassen, um sie dann durch einen fruchtbaren interdisziplinären Dialog mit den eigenen Anforderungen in Einklang zu bringen.

Drittens Kommunikation und Teamarbeit: Alle arbeiten gleichberechtigt und ohne Hierarchien an demselben Ziel.

Die Ausbildung von Bauingenieurin Emanuela Ferrari, die neben dem Bauingenieurwesen auch ein Architekturstudium absolviert hat, kommt ihr bei diesem breit abgestützten Erarbeiten der Antworten sicherlich zugute – es widerspiegelt sich auch im Büroteam selbst. Beeindruckend ist dabei vor allem das grosse Engagement für die sorgfältige Entwicklung jedes Details, die Fähigkeit, komplexe Konzepte mit einfachen Worten zu erklären und das Bewusstsein, eine künstlerisch-technische Tradition fortzuführen, die wir von früheren Generationen übernommen haben

Weitere Infos zur Gesellschaft für Ingenieubaukunst gibts hier.

 

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