«Der Qua­litäts­wett­be­werb als Rie­sen­chance»

Das öffentliche Beschaffungswesen folgt neuen Regeln: Nicht länger das nur wirtschaftlichste sondern das vorteilhafteste Vorhaben soll den Zuschlag erhalten. Urs-Thomas Gerber erhofft sich von den revidierten Ausschreibungsvorgaben einen Schub für die Nachhaltigkeitsbewertung.

Date de publication
30-12-2020

Das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) und die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungsrecht (IVöB) sind vollständig revidiert worden. Einerseits setzen sie das internationale Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen der Welthandelsorganisation (WTO) um. Andererseits gleichen sich die Beschaffungsordnungen von Bund und Kantonen so weit sinnvoll und möglich einander an.

Die wesentlichste Änderung betrifft die Ziele, die nach dem Willen des Parlaments zu einem eigentlichen Kulturwandel führen sollen: Schrieb das Bundesgesetz bisher «den wirtschaftlichen Einsatz der öffentlichen Mittel» vor, werden neu «der wirtschaftliche und der volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltige Einsatz der öffentlichen Mittel» verlangt. Die Nachhaltigkeit wird ausserdem ausdrücklich als Zuschlagskriterium genannt. Damit soll nun das gesamthaft «vorteilhafteste» und nicht mehr das «wirtschaftlich günstigste» Angebot den Zuschlag bei einer Ausschreibungsrunde erhalten.

SNBS als Empfehlung

Will man die revidierten Zuschlagskriterien quantifizieren, braucht es Instrumente für eine nachvollziehbare und begründbare Bewertung. Bezüglich der Nachhaltigkeit empfiehlt die Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren (KBOB), die Indikatoren des Standards Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) für den Hochbau respektive für Infrastrukturbauten (vgl. Kasten unten) zu verwenden.

Sie ermöglichen eine Beurteilung der Nachhaltigkeit und eine verlässliche Bewertung der Zuschlagskriterien gemäss revidiertem BöB. Urs-Thomas Gerber, Geschäftsleiter Areale und Gebäude bei CSD Ingenieure, wirkte an der Erarbeitung des Standards für Infrastrukturbauten mit. Er hofft, dass die Nachhaltigkeit der Projekte dadurch ebenso verbessert wird wie dieser eine Förderung der Vergabekultur bewirkt.


TEC21: Herr Gerber, was ändert sich mit der Revision im Beschaffungswesen?
Urs-Thomas Gerber: Qualität und die Nachhaltigkeit von Projektangeboten sind deutlich stärker zu gewichten. Aber diese neue Vergabekultur muss erst noch den Weg in die Köpfe finden. Ich stelle immer wieder fest, dass ein Zuschlagskriterium mit einem Eignungskriterium verwechselt wird. Letzteres behandelt zum Beispiel die Frage, ob ich schon einmal mit Recyclingbeton gearbeitet habe. Ein Zuschlagskriterium erlaubt einem Anbieter dagegen, eine bessere Lösung anzubieten und sich dadurch von Mitbewerbern zu differenzieren. Um beim Recyclingbeton zu bleiben: Man kann in einer Ausschreibung einen Mindestgehalt fordern aber mehr Punkte vergeben, wenn ein Anbieter über das Minimum hinausgeht.

TEC21: Welche Vorteile bietet dieser Qualitätswettbewerb?
Urs-Thomas Gerber: Er ist eine Riesenchance für die Schweiz. Ein Qualitätswettbewerb erlaubt den beteiligten Fachleuten ihre Stärken auszuspielen. Dazu gehören eine saubere, durchdachte und optimierte Planung sowie innovative Lösungen, die künftige Probleme vorwegnehmen. Wenn wir unsere Köpfe dazu einsetzen, ein Projekt in seiner Gesamtheit zu optimieren, können wir uns von schlechteren Lösungen abheben und einen nachhaltigeren Weg einschlagen. Ein reiner Preiswettbewerb führt dagegen zur Standardisierung, zur Auslagerung ins Ausland und zu Projekten, die hauptsächlich in betriebswirtschaftlicher Hinsicht genügen.

TEC21: Der Fokus muss sich also auf gesamtheitliche, nachhaltige Lösungen richten?
Urs-Thomas Gerber: Unbedingt. Nehmen wir zum Beispiel eine Bio-Tomate aus Marokko. Sie erfüllt die Anforderungen des Labels, was den Einsatz von Pestiziden anbelangt. Aber sie schneidet bezüglich Transport, Wasserverbrauch und Arbeitssicherheit schlechter ab als eine konventionell produzierte Tomate aus der Schweiz. Nur auf ein Thema fokussieren, greift zu kurz, weil alle weiteren Aspekte der Nachhaltigkeit missachtet werden. Weil die Nachhaltigkeit ein Zuschlagskriterium ist, ist sie möglichst umfassend zu berücksichtigen.

TEC21: Wie kann der SNBS für Hochbauten oder neu auch Infrastrukturanlagen dabei helfen?
Urs-Thomas Gerber: Der Standard berücksichtigt alle drei Nachhaltigkeitsbereiche Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt und stellt mit einer Vielzahl an Indikatoren eine eigentliche Checkliste dar, die hilft, dass keine wesentlichen Aspekte verloren gehen. Die Standards sind so sehr gute Hilfsmittel, um sich mit der Materie auseinanderzusetzen. Vor allem erlauben sie es, die Nachhaltigkeit zu bewerten, und sie zu einem echten Zuschlagskriterium zu machen.

TEC21: Die KBOB-Empfehlung zum nachhaltigen Beschaffen von Infrastrukturbauten gewichtet die Nachhaltigkeit mit 15%. Reicht das aus, um den angestrebten Kulturwandel zu erzielen?
Urs-Thomas Gerber: Für die frühe Planungsphase, etwa bei einer Machbarkeitsstudie, ist das sicher zu wenig. Dort sollte man gute Ideen und Lösungen finden, was mehr Aufwand für das nachhaltige Bauen erfordert. In der Ausführungsphase reduziert sich der Gestaltungsspielraum dagegen, weil es allenfalls noch um ein Minimieren von Abgasemissionen geht, beispielsweise bei den Bauarbeiten. Deshalb nimmt die Gewichtung der Nachhaltigkeit im Laufe einer Projektierung ab. Die 15-Prozent-Vorgabe ist als minimaler Mittelwert zu verstehen.

TEC21: Wie reibungslos wird sich der Übergang zu mehr Qualitätswettbewerb vollziehen?
Urs-Thomas Gerber: Er braucht sicher Zeit und viel Energie. Mir scheint wichtig, das Zuschlagskriterium Nachhaltigkeit projektspezifisch anzugehen, einen pragmatischen Ansatz zu verfolgen und diesen stetig zu verbessern. Wichtig ist auch ein umfassender Erfahrungsaustausch. Nur so können wir in kurzer Zeit ein hohes Niveau erreichen. Die öffentliche Hand und die Branchenverbände müssen dazu den Dialog fördern und pflegen, damit die Lernkurve möglichst steil ausfällt.

Nachhaltigkeitsstandard für die Infrastruktur

Die bundesrätliche Strategie «Nachhaltige Entwicklung» verfolgt das Ziel, die gesamte gebaute Umwelt, sowohl den Hochbau als auch den Tiefbau, nach anerkannten Standards der Nachhaltigkeit zu planen, zu erstellen, zu betreiben und weiterzuentwickeln. Das von mehreren Bundesämtern und privaten Partnern getragene Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz (NNBS) hat deshalb für den Bereich Infrastruktur ein Set aus bewertbaren Nachhaltigkeitskriterien und -indikatoren definiert. Daraus entstand der «Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz Infrastruktur», der für eine praxisbezogene Anwendung in verschiedenen Projekt- und Leistungsphasen zum Einsatz kommen kann, wobei ein wiederholtes Bewerten die Projektqualität erhöht.

 

So können parallel zu einer Vorstudie die Sollwerte für verschiedene Nachhaltigkeitsindikatoren bestimmt werden. Zur Variantenwahl liefert die Standardbewertung weitere Informationen und während der Projektierung lassen sich einzelne Aspekte bei Bedarf optimieren. Bei einer Vergabe nach den revidierten Beschaffungsregeln können die SNBS-Indikatoren und -Kriterien ausserdem dazu dienen, die Eignungs- und Zuschlagskriterien zu definieren respektive das Pflichtenheft zu formulieren.

 

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