Dif­fu­se Ge­fahr für die Was­ser­res­sour­cen

Mikroverunreinigungen

Chemikalien im Haushalt, im Baubereich und in der Landwirtschaft landen früher oder später im Wasser­kreislauf und beeinträchtigen die Gewässerqualität. Die grosse Aufgabe für die Abwasserreinigung ist nun, diese Spurenstoffe mit geeigneten Verfahren zu eliminieren.

Publikationsdatum
14-04-2016
Revision
25-05-2016

Über 97 % aller Abwässer in der Schweiz werden in einer kommunalen oder überregionalen Abwasserreinigungsanlage (ARA) behandelt. Dadurch werden zwar Feststoffe, Kohlenstoff sowie Stickstoff und Phosphor effizient eliminiert, was für eine gute Wasserqualität sorgt.

Aber viele organische Spurenstoffe, die beispielsweise von Arzneimitteln, Körperpflege- und Reinigungsmitteln sowie Stoffen für den Pflanzen- und Materialschutz stammen, werden nicht oder nur ungenügend entfernt. Diese sogenannten «Mikroverunreinigungen» (MV) können sich in niedrigen Konzentrationen nachteilig auf Lebewesen in Gewässern auswirken und Trinkwasserressourcen belasten.

Mit dem häuslichen Abwasser gelangt eine grosse MV-Vielfalt kontinuierlich in Kläranlagen und danach in die Gewässer. ­Weitere MV-Einträge stammen aus Misch­wasserent­lastungen oder werden diffus, aber direkt in die Gewässer eingetragen, ohne vorher gereinigt ­werden zu können. 

Hauptquelle der diffusen Mikroverunreinigungen ist die Landwirtschaft1: Die auf landwirtschaftlich genutzten Böden verwendeten Pflanzenschutzmittel und Biozide (Mecoprop, Diuron) verursachen regengetrie­bene Einträge; die Schadstoffe werden hauptsächlich durch den Regenabfluss mobilisiert und abgeschwemmt. Eine weitere diffuse Quelle ist der Siedlungsbereich, weil auch Strassen und Gebäude zu Mikroverunreinigungen in den Gewässern führen können (vgl. «Jedes Haus hinterlässt Spuren»).

Investitionsbedarf bei 1.2 Mrd. Franken

Seit 1. Januar 2016 sind das Gewässerschutzgesetz und die Gewässerschutzverordnung daran angepasst worden. Neue Vorschriften verlangen die Reduktion der Mikro­verunreinigungen und sehen zusätzliche Massnahmen für eine noch zu bestimmende Auswahl unter den etwa 750 kleinen, mittelgrossen und grossen ARAs in der Schweiz vor: Eine Reinigungsstufe zur Elimination der Mikroverunreinigungen sollen erstens Grossanlagen erhalten, an die mehr als 80 000 Einwohner angeschlossen sind. Zweitens sind solche mit über 24 000 angeschlossenen Einwohnern auszubauen, wenn die Anlage im Einzugsgebiet eines Sees liegt und daher Trinkwasserressourcen zu schützen sind (vgl. «Einträge aus vielen Wegen»).

Drittens können auch ARAs in die Auswahl fallen, obwohl noch weniger Einwohner angeschlossen sind, aber sie einen hohen Abwasseranteil in einem Fliessgewässer verursachen, weshalb Pflanzen und Tiere zu schützen sind. Zur Finanzierung der Ausbaumassnahmen erhebt der Bund bei ­den zentralen Kläranlagen eine zeitlich beschränkte Abwasserabgabe; dadurch werden zumindest 75 % der Erstinvestitionen abgegolten. 

Technische Verfahren zur Elimination der ­Spurenstoffe sind bereits erprobt; zwei mittelgrosse An­lagen laufen im Alltagsbetrieb (vgl. Tabelle): ­Die ARA Neugut in Dübendorf ZH verwendet seit zwei Jahren die «Ozonung» als erste grosstechnische MV-Eli­minationsstufe der Schweiz. Auf der ARA Bachwis in ­Herisau wird seit vergangenem Sommer erstmals in der Schweiz Pulveraktivkohle (PAK) eingesetzt, um damit Mikro­verunreinigungen aus dem Wasser zu eliminieren. Beide MV-Elimi­nationsverfahren erfüllen die gesetzlichen Vorgaben problemlos.

Die Gewässerschutzverordnung verlangt einen Reinigungsgrad von 80 %, wozu die MV-Konzentration im Rohabwasser des ARA-Zulaufs mit derjenigen im Ablauf anhand ausgewählter Stoffe periodisch verglichen wird. Mit weitergehenden Rei­nigungsverfahren werden die ökotoxikologischen Effekte der Spurenstoffe nachweislich verringert. So wird beispielsweise die hormonaktive Wirkung eliminiert, die unter anderem zur Verweiblichung von Wasser­lebenwesen führt.

Ozon oder Aktivkohle?

Auf einer ARA durchfliesst das Abwasser mechanische, chemische und biologische Reinigungsstufen. Ergänzend muss nun eine Stufe folgen, um die organischen Spurenstoffe eliminieren zu können. Dies geschieht ­­mit Ozon oder dem Einsatz von Aktivkohle in Pulver- respektive Granulatform.

Die Ozonung wird im biologisch gereinigten Abwasser durchgeführt: Gasförmiges Ozon (O3) lässt die Spurenstoffe oxidieren, wodurch sie biologisch inaktiv werden und für Lebewesen unschädlich sind. Mit der Ozonung entstehen neue Verbindungen, die auf einer nachfolgenden Filtrationsstufe biologisch abgebaut werden. Aber nicht alle Abwässer sind für das Ozonverfahren geeignet, da neue, problematische Stoffe entstehen können. Herkunft und Zusammensetzung des Abwassers abzuklären ist daher für die Verfahrensauswahl unerlässlich. 

Die Reinigung mit Aktivkohle funktioniert dagegen folgendermassen2: Pulveraktivkohle (PAK) wird ins Abwasser eingemischt, damit sich Spurenstoffe an deren Oberfläche anlagern. Mit Sedimentation und Filtration wird die Aktivkohle wieder vom gereinigten Abwasser abgetrennt und danach zusammen mit Klärschlamm behandelt und verbrannt.

Die bestehenden ARA-Reinigungsstufen sind mit diesen Eliminationsverfahren unterschiedlich kombinierbar: Die PAK kann entweder direkt in die biologische Reinigungsstufe zugegeben werden, oder die Zugabe erfolgt in einen nachgeschalteten Reaktor respektive direkt auf einen Sandfilter. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Reinigungsleistung erhöht wird, wenn mit Spurenstoffen beladene PAK in die biologische Reinigungsstufe zurückgeführt wird. 

Anstelle von pulverförmiger Aktivkohle kann auch ein Granulat (GAK) eingesetzt werden. Der Vorteil: Die Entsorgung der Aktivkohle entfällt, weil das Granulat regeneriert und wiederverwendet werden kann. In diesem Regenerationsprozess werden die sorbierten Spurenstoffe verbrannt. Eignung und Wirtschaftlichkeit des GAK-Verfahrens sind nicht abschliessend geklärt. Insbesondere ist unklar, mit welcher Filtergrösse eine ausreichende Kontaktzeit gewährleistet wird, oder wie häufig die Aktivkohle auszutauschen ist. 

Schweiz in einer Vorreiterrolle

Ob Ozon oder PAK: Beide Verfahren können eine breite Palette an Spurenstoffen eliminieren sowie wirtschaftlich und technisch auf bestehenden ARAs integriert und betrieben werden. Dies wurde ebenfalls an Projekten in Deutschland aufgezeigt. So sind in den Bundesländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen auf zahlreichen kommunalen ARAs Reinigungsstufen zur Elimination von organischen Spurenstoffen installiert und getestet worden.3

In Baden-Württemberg wird hauptsächlich die PAK-Dosierung mit anschliessender Sedimentation und Filtration realisiert. Hingegen kommt auf ARAs in Nordrhein-Westfalen die gesamte Verfahrenspalette von Ozon über PAK bis GAK zum Einsatz. Pilotanlagen und erste grosstechnische Umsetzungen werden auch in ­den Niederlanden, Schweden und Frankreich betrieben.

Im internationalen Vergleich nimmt die Schweiz beim Ausbau von ARAs um eine zusätzliche Reinigungsstufe für organische Spurenstoffe die Vorreiterrolle ein. Aus den hierzulande laufenden Pilotprojekten kommen ständig neue Erkenntnisse für den Betriebsalltag dazu; damit lassen sich zum einen bestehende Anlagen weiter optimieren und zum anderen die weiteren Ausbauvorhaben möglichst effizient umsetzen.

Grundsätzlich sind Lösungen mit gutem Kosten-Nutzen-Verhältnis für den ARA-Betrieb anzustreben. Die Entscheidung, welches Reinigungsverfahren auf einer ARA zum Einsatz kommen soll, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie unter anderem von den Platzverhältnissen, der bestehenden Infrastruktur und der Zu­sammensetzung des Abwassers.

Um den Schutz der Gewässer als Lebensraum und Trinkwasserressource wie gesetzlich verlangt zu verbessern und die Spurenstofffrachten aus dem Abwasser in die Ge­wässer zu reduzieren, steht den ARA-Betreibern und Kantonen genügend Zeit zur Verfügung. Die Frist für den Vollzug der MV-Reinigung läuft erst im Jahr 2040 ab.


Anmerkungen

1 «Mikroverunreinigungen in Fliessgewässern aus diffusen Einträgen», Braun et al.; Bafu 2015

2 «Status quo der Erweiterung von Kläranlagen um eine Stufe zur gezielten Spurenstoffelimination», Metzger et al., Wasserwirtschaft, -technik 2015/16

3 ARGE Kompetenzzentrum Mikroschadstoffe. NRW 2015/«Organische Mikroverunreinigungen in Gewässern», Umweltbundesamt 2015


Plattform «Verfahrenstechnik Mikroverunreinigungen»

Die Plattform «Verfahrenstechnik Mikroverunreinigungen» ist eine gemeinsame Initiative des Verbands der Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA), des Bundesamts für Umwelt (Bafu) und des Wasserforschungsinstituts des ETH-Bereichs (Eawag). Sie ist eine unabhängige Anlaufstelle für Planer, Behörden und ARA-Betreiber und sammelt Erfahrungen aus Pilotprojekten oder evaluiert grosstechnische Umsetzungsverfahren. Die VSA-Plattform ist international vernetzt.

Mehr Infos unter www.micropoll.ch

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