Neu­es Fein­ge­fühl für Per­ma­nenz

Am Basler Aeschenplatz überführen Staufer & Hasler Architekten ­zusammen mit Graser Troxler Architekten die Megastruktur eines ­ehemaligen Bankgebäudes in eine neue Nutzungsära. Das Gewinnerteam überzeugt mit überraschend einfachen Eingriffen und viel Respekt vor dem Bestand.

Publikationsdatum
11-01-2024

Umnutzung Aeschenplatz 6, Basel
Einstufiger Studienauftrag im selektiven Verfahren. Nicht anonymisiert, im Dialog.

Wer den Bahnhof Basel SBB durch das Nordostportal verlässt und dem Aeschengraben folgt, trifft unweigerlich auf den Aeschenplatz. Hier brummt der Verkehr: Autos, Velofahrerinnen und Fussgänger, drei Bus- und zehn Tramlinien kreuzen sich auf den zahlreichen Fahrspuren. Rund um den Platz gruppieren sich Banken und Versicherungen – das Basler Pendent zum geschäftigen Zürcher Paradeplatz. Von klassizistischen Bauten bis zu modernen Gebäuden mit Flug­dächern: Die Fassadengestaltung am Aeschenplatz ist ein Sammel­surium von Stilepochen. An der Kreuzung vom Aeschengraben und der St. Jakobs-Strasse steht der prominente Halbkreisbau von Mario Botta, etwas weiter der «Hammering Man» des amerikanischen Künstlers Jo­nathan Borofsky von 1989. Das 8 t schwere Kunstwerk hämmert mit symbolischer Bewegung gegen das ehemalige Bankgebäude von Burckhardt Architekten, das mit seiner 150 m langen postmodernen Fassade den Stadtraum prägt. Da die gut erhaltene Gebäudehülle nicht mehr den heutigen bauphysikalischen Standards entspricht, konnten die Wettbewerbsteilnehmenden einen neuen Ausdruck entwickeln.

Bis zum Auszug der Grossbank UBS im Juni 2022 durften nur Befugte das Areal betreten, künftig sollen der Bau und seine Freiräume dem Wohnen, Arbeiten und der Freizeitgestaltung dienen. In zwei Machbarkeitsstudien untersuchten 2020 Morger Partner Architekten und 2022 Herzog & de Meuron, was aus dem fast zwei Fussballfelder gros­sen Areal werden könnte.

Kann der hochspezialisierte, abweisende Bestand mit neuen Nutzungen funktio­nieren und sich mit dem städtischen Umfeld vernetzen? Die Trag­struktur ist in gutem Zustand, aus statischer Sicht spricht also nichts dagegen. Der Entscheid, den Bestand zu erhalten, war mehr als nur ein «Ja» zu mehr Nachhaltigkeit: Die Auslobenden sehen das Gebäude als «graue Energie, die auf eine kulturelle Art in unserer Stadt eingelagert ist».

Gebaut, um zu bleiben

Die Planergemeinschaft Staufer & Hasler Architekten mit Graser ­Trox­ler Architekten und dem Landschaftsarchitekten Maurus Schif­ferli überzeugte mit ihrem strin­­­genten Beitrag «In den Gärten». Das Gewinnerteam nimmt die Auslo­­­benden beim Wort: Das bestehende ­Volumen bleibt. Auf strukturelle Eingriffe wird verzichtet. Mit der flächigen dreigeschossigen Auf­stockung wird das ehemalige Bank­gebäude zu einem wohlproportio­nierten Hybridbau. Im Erdgeschoss aktivieren publikumswirksame Nutzungen die Arkaden. Der Stadtraum wird dadurch neu als Sequenz erlebt und der Bau in sozialer Hinsicht im Kontext verankert.

Mit einem Hauch von Nos­talgie erhalten die Architektinnen und Architekten das zentrale Schmuckstück, das gläserne Foyer, und verwandeln den postmodernen Glastrichter mit viel Liebe in ein «Palmenhaus». Ein lebendiger Begegnungsraum, der zusammen mit der «rue intérieure» verschiedene Nutzungen miteinander verknüpft. Früher bezog sich das Gebäude durch seine monu­mentale Haupt­fassade klar auf den Aeschenplatz, die Rückseite war zweitrangig. Das Projekt «In den Gärten» ent­wickelt die Figur weiter und sucht den Anschluss an das benachbarte Blockrandfragment, die Rückseite wird durch neu angedockte Aussenräume belebt.

Der eingeschossige «Schweif» soll die Untergeschosse erschlies­sen und den Gartenhof fassen – die Idee konnte die Jury aber weder aus ­städtebaulicher noch aus nutzer­orientierter Sicht überzeugen. Der «Quartierlink» dagegen verbindet das angrenzende Viertel mit dem Aeschen­platz und schafft eine neue Durchlässigkeit. Der Gartenhof ist in verschiedene Öffentlichkeitsebenen abgestuft. Davon versprechen sich die Architektinnen und Architekten funktionale und atmosphärisch starke Aussenräume. Die begrünten Kaskadenflächen erinnern durch den Wettbewerbstext etwas an die hängenden Gärten der Semiramis in Babylon. Einzig die Tiefgarageneinfahrt trübt die Idylle, worüber auch deren Tarnung als Freilichtbühne nicht hinweg­täuschen kann.

Und obwohl auch der Fassadenausdruck noch einer Überar­beitung bedarf, zeigt der Beitrag von Staufer & Hasler Architekten und Graser Troxler Architekten, dass auch eine sperrige Megastruktur trotz minimaler Abbrüche mit einem neuen Nutzerkaleidoskop funktionieren kann.

Hecken an jeder Ecke

Das Team um Herzog & de Meuron lotet die Möglichkeiten des Be­stands aus Sicht der Jury sorgfältig aus und dekliniert das klimagerechte Bauen akribisch durch. «Verwenden & Verwandeln» begreift das bestehende Gebäude als Steinbruch. Mit gezielten Eingriffen verwandeln die Architekturschaffenden den introvertierten Koloss in einen offenen Stadtbaustein.

Doch insgesamt geht viel Iden­tität verloren: Das markante Glas­portal gehört zu den 19.5 % des Bestands, die abgerissen werden ­sollen. Eine kurze Kopfrechnung ­verdeutlicht das Problem: Bei einer bestehenden Geschossfläche von etwas mehr als 19 000 m² entspricht der Abbruchanteil rund 3800 m². Neu kommen beinahe 32 000 m² Geschoss­fläche in Form von Aufstockungen und Neubauten hinzu – also fast das Doppelte. Neben dem Verhältnis von Alt und Neu sei aber auch der Massstab der neuen Dachlandschaft fragwürdig, resümierte die Jury.

Zum Aeschenplatz hin überzeugt der Entwurf: Die Promenade entwickelt sich aus dem Bestand und das «Arboretum» wird durch weitere Bäume ergänzt. Die Fassaden­begrünung wird als neues Thema eingeführt. Im rückwärtigen Bereich lösen die Projektverfassenden die bestehende Struktur unglücklicherweise komplett auf und setzen fragmentierte Neubauten. Das vorhandene räumliche Gefäss, das das Siegerteam zu seinem Vorteil nutzte, geht hier verloren. Die verstreuten Volumen führen zu kleinen Zwischenräumen, die sich nicht mit der Massivität des Hauptbaus vereinen lassen; die allgegenwärtigen Hecken verstärken den privaten Charakter.

Obwohl die Jury den Lösungsansatz als «bereichernd und teilweise sogar als hervorragend» bewertete, konnte die architektonische Überformung nicht überzeugen.

Erzwungene Identität

Duplex Architekten «brechen den Bestand wie einen Felsen auf»: Zugunsten von mehreren kleinen Höfen auf verschiedenen Ebenen lösen sie den bestehenden Bau mit grossen Eingriffen auf. Das Wechselspiel von Volumen und Zwischenräumen führe zu «spannungsvollen, aber komplexen Raumfolgen mit differenzierten Freiraumangeboten», so die Jury. Zu komplex: Die Durchwegung über Rampen und Treppen ist unübersichtlich und verhindert paradoxerweise die gewünschte öffentliche Nutzung. Hier wurde ein Raumkonzept auf Biegen und Brechen durchgesetzt und dem Bestand übergestülpt, ohne den städtebaulichen Kontext zu berücksichtigen. Auch die Fassadengestaltung löste bei der Jury Zweifel aus: Das ehemalige Bankgebäude erscheint im neuen Gewand wie ein Neubau.

Das Siegerteam um Staufer & ­ Hasler Architekten und Graser Troxler Architekten zitiert im Wettbewerbsbeitrag den österreichischen Architekten Hermann Czech, der in «Zur Abwechslung – das Vorhandene» von 1989 Folgendes schrieb: «Die Stadt ist eine gewaltige Masse, der wir nur Kleinigkeiten hinzufügen können. Die Stadt entsteht vielmehr durch Erkenntnis als Veränderungen.» Und genau diese Erkenntnis führt am Aeschenplatz 6 in Basel zu einem Projekt, das mit einfachen Eingriffen eine Selbstverständlichkeit an den Tag legt, die ihresgleichen sucht.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 1/2024 «Häuser im Hinterhof».

-> Jurybericht auf competitions.espazium.ch.

Teilnehmende

Siegerprojekt: «In den Gärten»
ARGE Staufer & Hasler Architekten, Frauenfeld / Graser Troxler Architekten, Zürich; Maurus Schifferli, Landschafts­architekt, Bern; Büeler Fischli Bau­ingenieure, Ibach; Christian Meier, Energie und Nachhaltigkeit, St. Gallen
Team 2: «Verwenden & Verwandeln»
Herzog & de Meuron, Basel; Vogt Land­schafts­architekten, Zürich; Schnetzer Puskas Ingenieure, Zürich; Brücker + Ernst, Luzern
Team 3: «Terre Ou-verte»
Duplex Architekten, Zürich; Westpol Landschaftsarchitektur, Basel; dsp Inge­nieure + Planer, Uster; Durable Planung und Beratung, Zürich
Team 4: «Unbekannt»
ARGE Carmody Groarke, London / Rapp, Basel; J&L Gibbons, London; ZPF Structure, Basel; Amstein + Walthert, Zürich
Team 5: «Belle, Bulle & Rebelle»
Buchner Bründler Architekten, Basel; Fontana Landschaftsarchitektur, Basel; WMM Ingenieure, Münchenstein; Durable Planung und Beratung, Zürich; Bogenschütz, Basel; Quantum Brandschutz, Basel
Team 6: «Unbekannt»
Christ & Gantenbein, Basel; August + Margrith Künzel Landschaftsarchitekten, Binningen; Dr. Lüchinger + Meyer Bau­ingenieure, Zürich; Zirkular, Basel; PPEngineering, Basel; Aegerter & Dr. O. Bosshardt, Basel; Eicher + Pauli, Liestal; IBG Engineering, Winterthur
Team 7: «Unbekannt»
Sauerbruch Hutton, Berlin; Mettler Landschaftsarchitektur, Gossau; wlw Bauingenieure, Sursee; Lenum, Vaduz; Amstein + Walthert, Zürich; A sparkle of silence, Meilen

Fachjury

Dominique Salathé, Architekt, Basel (Vorsitz); Wim Eckert, Architekt, Zürich; Paola Maranta, Architektin, Basel; Anja Beer, Architektin, Basel; Rita Illien, Landschaftsarchitektin, Zürich; Michael Koch, Architekt, Basel; Ursula Hürzeler, Architektin, Basel (Ersatz)

Sachjury

Beat Aeberhard, Kantonsbaumeister, Kanton Basel-Stadt; Arthur Onyeali, Bauherrschaft, Seraina Invest; Othmar Ulrich, Projektentwickler, Steiner; Jürg Degen, Leiter Städtebau, Kanton Basel-Stadt (Ersatz); Roman Pechlaner, Bauherrschaft, Seraina Invest (Ersatz); Stefan Gabriel, Projektentwickler, Steiner (Ersatz)

Verwandte Beiträge