Die Schweiz setzt ein Zei­chen

60. Ausgabe des Salone del Mobile

Der Salone del Mobile feierte in diesem Jahr sein 60. Jubiläum. Nach zwei Jahren mit Corona-Ausfällen und einer stark reduzierten Version im vergangenen Herbst feierte sich die wichtigste Möbelmesse der Welt selbst.

Publikationsdatum
14-06-2022

Zwar war auf dem Messegelände in Rho-Pero weit weniger Fachpublikum aus China und Russland anzutreffen als in den Zeiten vor der Pandemie, und etliche Hersteller hatten in diesem Jahr auf die Teilnahme verzichtet, da der ungewohnte Juni-Termin der Messe Terminkollisionen mit anderen Möbelwochen auf der Welt verursachte. So hatte beispielsweise Vitra abgesagt, um sich auf den Campus-Betrieb während der anstehenden Design Miami Basel zu fokussieren.

Dennoch war die Stimmung in den Messehallen gut, der Nachholbedarf schien gross. Der Klingnauer Möbelhersteller DeSede nutzte wie schon im Herbst den Auftritt auf dem Messegelände. Hingucker am Stand war eine Wiederauflage aus den derzeit so angesagten 1970er-Jahren: Ubald Klugs Sessel DS-800, der geometrische Motive mit ornamentalen Anlehnungen vereint. Das ikonische Möbel wirkt als Einsitzer sowie als miteinander kombinierbare Sitzgruppe wie eine einladende, schützende Hand – ein zeitlos schöner Retro-Klassiker.

Bei Classicon konnte man einen Entwurf von Herzog & de Meuron sehen. Der in drei Grössen erhältliche Kork-Hocker «Corker» spielt nicht nur in seiner Namens-, sondern auch in der Formgebung mit der eigenen Beschaffenheit: Es waren die Umrisse eines Flaschenkorkens, die den Basler Architekten bei seiner Gestaltung als Inspiration dienten. Seinen Ursprung hat der Entwurf im Londoner Serpentine Gallery Pavillon von 2012. So zeitlos der Hocker in Funktion und Gestaltung ist, so zukunftsweisend ist seine Materialbeschaffenheit: Der in Portugal zur Produktion verwendete Kork stammt aus lokaler, nachhaltiger Forstwirtschaft und ist zu 100 % rezyklierbar.

Der Zürcher Designer Alfredo Häberli zeigte mehrere Möbel, die während der Pandemie entstanden sind, so bei Moroso die multifunktionale Produktfamilie «Taba». Das Sitzmöbel ist charakterisiert durch die Überlappung verschiedener organischer Linien und symmetrische Formen. «Wenn man Sofas und Sitze entwirft, muss die Interaktion mit Menschen einen hohen Stellenanspruch einnehmen. Deshalb spiele ich mit der Präzision der Linien und der Poetik der organischen Sprache», sagt Alfredo Häberli.

Atelier Oï hatte gleich mehrere Neuheiten im Gepäck: Auf dem Messegelände war bei Alias ein Entwurf des Westschweizer Teams zu sehen: Der 2019 lancierte, mehrfach preisgekrönte Sessel «E la nave va» war in einer neuen Material- und Ausstattungskomposition ausgestellt – natürliches Eichenholz wird mit Lederbezügen kombiniert. Bei den Fuorisalone präsentierten sie gleich für zwei Luxuslabels Neuheiten: Bei Fendi Casa brillierten sie mit dem Aufbewahrungsmöbel «Maglia»: Inspiriert von der Struktur eines Armbands – einem ikonischen Element der Marke Fendi – entwarfen die Designer eine spielerische Aufbewahrungseinheit mit einzelnen Elementen, die kombiniert und zusammengesetzt werden können, um den Bedürfnissen der Benutzenden entsprechend Platz zu schaffen. Diese Individualität des Systems ermöglicht die Zusammenstellung verschiedener Typologien – mit unterschiedlichen Breiten und Höhen. Eine Überraschung bietet der Innenraum: Er ist in der charakteristischen gelben Farbe der Marke gestaltet.

Luxuriös sind auch der «Belt Lounge Chair», der «Belt Bar Stool» und der «Belt Side Stool». Alle drei wurden bei Louis Vuitton gezeigt. Die üppige Inszenierung feiert das 10-jährige Bestehen der Kollektion «Objets Nomades», zu der das Haus Louis Vuitton weltweit renommierte Designer einlädt, Designmöbel und -objekte zu kreieren, die anschliessend von den Handwerkskünstlern des Hauses Louis Vuitton angefertigt werden – eine Hommage an die historischen Spezialaufträge des Hauses wie den ikonischen Bettkoffer, der 1874 für den französischen Entdecker Pierre Savorgnan de Brazza angefertigt wurde. Atelier Oï ist von Anfang an dabei. Die Neuheiten 2022 sind eine Erweiterung der Belt-Chair-Kollektion: Streifen aus Leder, die über einen Stahlrahmen gespannt und in den Rücken geschlungen sind, bilden ein sanft gewelltes, dünenartiges Relief und erinnern an die Taschen von Louis Vuitton.

Der Iran in Mailand

Mitten in der Brera, im etwas versteckt in einer kleinen Seitenstrasse gelegenen Showroom von Christian Fischbacher, tauchte man in eine ganz andere Welt ein: Der St. Galler Textilhersteller präsentierte seine neue Kollektion «Contemporary Persia», die gemeinsam mit dem Architekten Hadi Teherani entstand. Innerhalb eines kreativen Dialogs haben Creative Director Camilla Fischbacher und Hadi Teherani sich auf die Spuren ihrer gemeinsamen iranischen Wurzeln begeben und der Vielfalt des Landes nachgespürt. Im Showroom wurden Vorhang- und Bezugsstoffe sowie Teppiche der Kollektion inszeniert, die den landschaftlichen und kulturellen Reichtum des Landes widerspiegeln wollen. So ist der Vorhangstoff «Roya» inspiriert von der Landschaft des iranischen Aladagh-Gebirges.

In einer anderen Ecke der Altstadt öffnete am Messedienstag ein neuer Showroom: Das Label Time & Style aus Tokio zeigte Arbeiten, die von traditionellem japanischem Handwerk und natürlichen Materialien geprägt sind. Produziert wird in Higashikawa auf Hokkaido. Auf das Know-how des Labels schwören Architekten wie Kengo Kuma und Hiroshi Nakamura – und seit drei Jahren auch Peter Zumthor: Seine Möbel für Bauten wie die Valser Therme, das Kölner Museum Kolumba oder die Londoner Serpentine Gallery sind nun erstmals zusammengefasst in einer bestechend schönen Kollektion in Europa zu sehen.

Rosige Zeiten

Am Corso Garibaldi zeigte sich USM Haller für einmal ganz in Pink: In Zusammenarbeit mit dem Designmagazin Monocle und dem legendären Fahrradgeschäft Rossignoli wurde im Brera-Quartier ein rosiger Ort zum Verweilen geschaffen. Die limitierte Sonderauflage des Designklassikers USM Haller in Pink soll aber nicht nur die USM-Installation an der Milano Design Week prägen. Die ganze Konstruktion wird nach Messeendedemontiert und in fünf Konfigurationen umgebaut. Die limitierte True-Pink-Kollektion, bestehend aus Barwagen, TV-Trolley, Rollcontainer und zwei Homeoffice-Möbeln umfasst insgesamt 2022 Möbelstücke. Wer sich die limitierte Sonderauflage sichern möchte, sollte schnell sein: Solange der Vorrat reicht, wird sie in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien über die eigens eingerichtete Website erhältlich sein.

Auch in diesem Jahr gab es abseits der bekannten Pfade wieder neue Orte zu entdecken. Im von der Designgemeinde noch wenig frequentierten Nordosten der Stadt, unweit der Metro Cimiano, versammelten sich in der aufstrebenden Kunstgalerie Assab ein paar Highlights der Fuorisalone: In den weitläufigen Räumen einer ehemaligen Druckerei konnte man unter anderem eine Installation der Schweizer Künstlerin Zilla Leutenegger sehen, einen frühen Entwurf des Zürcher Designers Jörg Boner – ein Solarmobil – bestaunen und eine Inszenierung von Girsberger zu erleben: Der Schweizer Büromöbelhersteller hatte sich dafür mit der japanische Möbelmarke Karimoku New Standard und dem Westschweizer Studios Big-Game zusammengetan. Ergebnis ist der Bürostuhl «Giroflex 150». Der Stuhl vereint die Stärken beider Hersteller und verbindet die Schönheit des traditionellen japanischen Holzhandwerks mit einem zeitgenössischen Twist. «Immer wenn wir einen Vintage-Holzstuhl von Giroflex in einem Secondhandshop gefunden haben, waren wir begeistert, wie komfortabel er immer noch ist. Das ist eine grossartige Lektion aus der Vergangenheit in Sachen Dauerhaftigkeit und Qualität», sagen die Big-Game-Designer. Der auf 150 Exemplare limitierte Stuhl vermittelt ein Gefühl von Gleichgewicht und Dynamik durch einen Kipppunkt unter dem Sitz und einen weiteren unter der Rückenlehne. Durch das Körpergewicht des Sitzenden wird das Gleichgewicht hergestellt.

Das «House of Switzerland» bündelt Schweizer Design

Schweizer Designschaffen ganz konzentriert war in diesem Jahr in der «Casa degli Artisti» zu erleben. Der gemeinsame Auftritt von Firmen, Hochschulen und der Kulturförderinstitution Pro Helvetia sorgte für Furore. An der Eröffnung des «House of Switzerland» würdigte auch Bundesrat Alain Berset diesen «einzigartigen Dialog zwischen Kreativen, Hochschulen und Unternehmen». Das Motto der Pop-up-Ausstellung lautete «Designing the present to face the challenges of tomorrow». Im Erdgeschoss versammelte die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia die Arbeiten von neun der vielversprechendsten aufstrebenden Designstudios der Schweiz.

Die ausgestellten Projekte formulieren anhand von Artefakten und Praktiken Vorschläge zur Frage «Wie passen sich Lebensräume an unsere sich verändernde Gesellschaft an?» und untersuchen die Themen Inklusion, Fairness, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Alle gezeigten Objekte und Geräte sind erprobte Prototypen aus dem Bereich der Innenarchitektur und weisen in ihrem Kern innovative Eigenschaften auf: Dazu gehören Brauereiabfälle als Rohstoff für Einrichtungsgegenstände, aus handgeflochtenem Carbon hergestellte Paravents, wandelbare und multifunktionale Sitzmöbel und eine intelligente Kaffeeröstmaschine, die es ermöglicht, kleine, individuell ausgewählte Mengen von Kaffeebohnen auf verschiedene Arten zu rösten.

Im Obergeschoss hatten sich die Firmen wie Embru, Röthlisberger und Seleform und die Designbüros Schindlersalmerón und Lichtprojekte Christian Deuber zusammengetan. Im Zentrum der Installation standen – oder hingen – Pflanzen in den Filzgefässen des Zürcher Ateliers Cosmos. Dazu gesellten sich Möbel von Seledue, die Leuchten «Spoto» und «Mo-Bi-Le S» von Christian Deuber, der «Holzzentralfuss-Tisch» von Schindlersalmerón, der «Park Chair» von Moritz Schmid für Embru und der «Conte Sessel» von Marc Gerber für Röthlisberger, der zudem bei Pro Helvetia zu sehen war. «Wir teilen die Vorliebe für natürliche Materialien, für hohe Qualität und Langlebigkeit», sagt Margarita Salmerón zum gemeinsamen Auftritt. Und so werden die Entwürfe der fünf Brands bunt gemischt, nur verschiedenfarbige Kordeln mit Etiketten verweisen auf die einzelnen Labels.

Mit dabei in der «Casa degli Artisti» waren auch vier Hochschulen: die ETH Zürich, die Genfer HEAD, die HSLU Luzern und die Lausanner ECAL. Die ECAL spannte hier mit der Schweizer Fahrradmarke BMC zusammen für eine Kollektion praktischer und farbenfroher Accessoires für den Veloalltag, die von den Bachelorstudierenden der ECAL in Industriedesign entworfen wurden. Die Projekte der Studierenden bieten einen Einblick in die Zukunft der Mobilität auf zwei Rädern – von einem nahtlos integrierten Textilschloss über stroboskopische, reflektierende Felgenabdeckungen zur Verbesserung der Sichtbarkeit bis zu einem kompakten Modell, das sich leicht verstauen lässt.

Die Studierenden des Masterstudiengangs Innenarchitektur der HEAD Genève präsentierten die Ausstellung «The Impossible Showroom»: Die Installation lässt Schweizer Möbelklassiker auf unerwartete Weise entdecken – in eigens geschaffenen VR-Ausstellungsräumen, die von der Materialität der Objekte, dem Ethos ihrer Designer und der visuellen Identität der zugehörigen Marken inspiriert ist.

Dass «Degrowth» das Wort der Stunde ist, machte die HSLU auf radikale Weise deutlich: Auf der Wand leuchtete in grossen fluoreszierenden Lettern «No thing new»: Gezeigt wurde eben: nichts. «Der Slogan zielt einerseits auf den Umgang mit den Dingen im Rahmen einer Messe, zeigt aber auch, dass der Begriff der Nachhaltigkeit und die Forderung nach einem achtsamen Umgang mit unseren Ressourcen nicht neu ist», erklärte Lilia Glanzmann, Leiterin der Studienrichtung Textildesign. Und so bot die Zusammenarbeit der drei Luzerner Studienbereiche Objektdesign, Spatial Design und Textildesign Raum zum Innehalten an – und regte auch Gedanken darüber an, welche Rolle und Verantwortung Hochschulen in diesem Diskurs übernehmen können.

Weitere Infos: www.salonemilano.it

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