Auf Au­gen­hö­he mit dem Rhi­no­ze­ros

Ein pagodenartiger Turm, der vom Viadukt der S-Bahn aus sichtbar ist, ist das neue Symbol des Zoologischen Gartens in Berlin. Er verweist in seiner Gestalt auf die Herkunft der asiatischen Nashörner, in deren Gehege er steht. Beim Entwurf hat das Team von dan pearlman Erlebnisarchitektur sein Augenmerk auf die geschmeidige Verknüpfung von Landschaft und Innenraum gelegt.

Publikationsdatum
28-11-2023

Der Tiergarten in Berlins Mitte ist eigentlich eine Englische Parkanlage. 3 km lang und 1 km breit, bildet er einen zentralen Naherholungsraum. Nachdem seine Bäume in den ersten Notjahren nach dem Zweiten Weltkrieg zu Brennholz verarbeitet wurden, spielte er nach Aufforstung und bis zum Mauerfall besonders für die Bewohnerinnen und Bewohner im Westen der Stadt, die vom Umland abgetrennt waren, eine grosse Rolle. Der Zoologische Garten ist sein südwestlicher Ausleger und erscheint im Verhältnis relativ klein. Aber das täuscht: Immerhin leben hier über 20 000 Tiere auf einer Fläche von 33 ha.

Als ältester Zoo in Deutschland durchläuft der Tiergarten, auch aufgrund veränderter Anforderungen an das Tierwohl, eine langfristige Anpassung. Die Gehege werden artgerechter und ermöglichen den Tieren bessere Rückzugsmöglichkeiten. Gleichzeitig soll die Schaulust der Besuchenden möglichst wenig Einschränkungen erfahren.

Perle aus dem Archiv: Schon 2007 beschäftigten wir uns mit Zooarchitektur. Hier gibts die Artikel zum Nachlesen.

Künstlichkeit versus Natürlichkeit

Mit diesen Themen hat sich das Team von dan pearlman Erlebnisarchitektur auseinandergesetzt. Das Büro hat sich auf inszenierte Freizeitbereiche spezialisiert und liefert sie als Gesamtpaket aus Landschaftsplanung, Architektur und Didaktik. Nach der Mitarbeit am Masterplan, der auch den Zoo im ehemaligen Ostteil der Stadt umfasst, hat es Wettbewerbe für einzelne Bereiche gewonnen. Neben Infrastrukturbauten wie einem neuen Eingang mit Shop gehören dazu Gehege, die sich jeweils den darin beheimateten Tierarten und ihren Bedürfnissen verschreiben. Gleichzeitig illustrieren die Bauten Geschichten, die die Architekten zu den jeweiligen Tierwelten erzählen. Geräusche, Musik oder Wasserspiele tragen zu diesem «Storytelling» bei. Ganz im Gegensatz zum üblichen Abzielen auf Minimalismus und Aufrichtigkeit in der Architektursprache steht hier eine bewusste Vorspiegelung von Authentizität im Fokus.

Als das bestehende Gehege für die Nashörner den Ansprüchen nicht mehr genügte, erhielt das Büro den Direktauftrag für einen Neubau inklusive Aussengelände. Auf dem Areal für die vier Panzernashörner ist es gut zu wissen, dass die zarten Drahtseile nicht die einzige Barriere zwischen den Besuchenden und den Tieren darstellen. Eine Auswahl an Pflanzen, die in ihrer Erscheinung der natürlichen Umgebung der Tiere ähnelt, aber in der nordeuropäischen Atmosphäre gedeiht, umfasst die Häuser und Freigehege so, dass die eigentlichen Zäune darin verschwinden.

Auf rund 14 000 m2 entstand eine sumpfige Graslandschaft, durchsetzt mit Höhlen aus Ortbeton und architektonischen Elementen aus behauenem Naturstein. In deren Mitte erhebt sich ein 25 m hoher Turm aus 68 rötlich gefärbten Betonelementen. Die Fertigteile sind, ähnlich wie beim Spiel Jenga, nur durch das eigene Gewicht fixiert aufeinandergestapelt; als Schlussstein dient ein Stahlrohr auf der Spitze der Konstruktion. Der weithin sichtbare Baukörper ist den Pagoden aus Sandstein im nördlichen Indien nachempfunden. Seine Funktion beschränkt sich aber auf die Symbolkraft und auf das Markieren eines Treffpunkts.

Wiederkehrende Ornamente in den angrenzenden Stahltüren, deren Geschlossenheit nach unten hin zunimmt, um die Sicherheit der Besuchenden zu gewährleisten, sowie ein ungleichmässiger, lehmartig erscheinender Boden zitieren Architektursprache und Materialien des Herkunftslandes der Tiere auf eine freie Weise. Kieran Stanley, einer der Gründer des Büros, erläutert die Abfolge von wild erscheinender Natur bis zum deutlich von Menschenhand geschaffenen Bauwerk, durch die eine in sich stimmige, in Wahrheit aber künstliche Raumabfolge entsteht.

Innen fast wie aussen

Vom Innern des windoffenen Turms gelangen die Besuchenden in ein kreisförmiges Gebäude, das von einer durchsichtigen Membran, einem dreischichtigen Luftkissen aus ETFE-Folie, überspannt wird. Aufgrund der leichten Dachhaut ist die tragende Konstruktion aus Stahlrohren so gering dimensioniert, dass das Tageslicht fast ungehindert einfallen kann. Die Investition in eine solche Dachausbildung ist verhältnismässig hoch. Mit Blick auf die Vorteile, die sich für die Tiere und Menschen ergeben, indem diese den Raum kaum als geschlossen wahrnehmen, ist sie aber zu rechtfertigen. Ein weiterer Pluspunkt ist die Beschaffenheit der Folie, die für UV-A- und UV-B-Strahlung durchlässig ist und so das Pflanzenwachstum gewährleistet.

Der 10 m tiefe Aussenring beherbergt die Technik- und Versorgungsräume sowie Ställe. Die Tore der Passagen, durch die die Nashörner von innen nach aussen gelangen, sind schwere Spezialanfertigungen, um der Kraft der Tiere standhalten zu können, sollten diese eine andere Richtung einschlagen als vom Personal vorgesehen. Der Ring umschliesst eine Landschaft aus Kunstfelsen, Wasserläufen, Teichen und Pflanzen, in der sich die vier Panzernashörner bewegen. Die Landschaftsgestaltung dehnt sich in den höher gelegenen Besucherbereich in ihrer Mitte aus.

Grosse Glasfronten eröffnen Blickachsen über die Gehege hinweg nach aussen und vice versa. Künstliche Felsen umfassen die Glastrennwände von beiden Seiten. Auf diese Weise verschwimmt die Grenze zwischen Aussen- und Innengehege sowie dem Besucherraum. An einer Stelle lässt sich ein Metalltor zurückfahren. Einzig eine Reihe dicker Poller trennt dann Mensch und Tier. Unter dem wachsamen Auge von Tierpflegenden können sich Besuchergruppen den Nashörnern auf diese Art annähern.

Nashorn unter Wasser

Wem das zu beängstigend erscheint, bietet sich eine sichere und nicht minder spektakuläre Alternative: Eine 9 m lange und 7 cm starke Unterwasserglasscheibe erlaubt es, die Tiere aus nächster Nähe beim Baden zu beobachten. Die Ansprüche an die Filtrieranlage des Wassers sind beträchtlich und erfordern einen hohen technischen Aufwand. Wie auch in der freien Natur ist es nicht ganz durchsichtig – so kann es passieren, dass ein Nashorn unerwartet aus dem Wasser auftaucht und dem Besuchenden ins Auge blickt.

Obwohl es nicht so erscheint, ist die Haut der Tiere empfindlich und braucht viel Pflege. Der weiche Fussboden, fünf Badebecken und drei Schlammsuhlen sowie eigens installierte Duschen und Tränken tragen diesen Bedürfnissen Rechnung und regen gleichzeitig den Entdeckergeist der Tiere an. Was als artgerechte Wohngemeinschaft mit anderen Tieren propagiert wird, stellt sich allerdings als weiteres Spiel mit den Illusionen heraus: Während die Pustelschweine flink genug sind, um schadlos mit den Nashörnern zu interagieren, leben die Tapire zwar unter dem gleichen Dach, zu ihrem eigenen Schutz aber getrennt von den anderen. Ob sich die Tiere in der Umgebung wohlfühlen, wird sich am Nachwuchs zeigen, auf dessen Ankunft die Zoodirektion spekuliert.

Zooarchitektur folgt eigenen Regeln

Insgesamt gelingt es den Planenden, einen Kosmos zu schaffen, in dem die Tiere ein vielseitiges Gelände vorfinden. Die Abstufung von blickdichten Bereichen, sich öffnenden Einblicken und zentral platzierten Schaufenstern bietet den Besuchenden ein abwechslungsreiches Erlebnis. Pflanzen und künstliche Landschaften überspielen die nötigen technischen und sicherheitsrelevanten Bauteile auf geschickte Weise.

Die Fragen, die den heutigen Umgang mit Architektur für gewöhnlich bestimmen, rücken in den Hintergrund: Zuoberst steht das Tierwohl. Damit verknüpft ist die geeignete Logistik für die Versorgung durch das Zoopersonal, der das qualitative Angebot für die Besuchenden folgt. Erst danach gilt das Interesse einer sorgfältigen Materialwahl – die sich zum Beispiel in einer trennbaren und recyclingfähigen Auswahl zeigt – und einem klugen Umgang mit der Bau- und Betriebsenergie. Aufgrund der Verbindung von Innen- und Aussenbereichen und dem ständigen Besucherfluss müssen hier Abstriche hingenommen werden. Immerhin bedeutet die üppige Begrünung nicht nur einen Gewinn für die Tiere und Zoobesuchenden, sondern wirkt auch positiv in die Stadt hinein.

Nashorn Pagode / Zoo Berlin

 

Vergabeform
Direktvergabe

 

Planung
2017– 2023

 

Fertigstellung
Juni 2023

 

Grundfläche (SIA 416)
2000 m2, Grundstücksgröße 14.000 m2

 

Volumen (SIA 416)
12.000 m3

 

Baukosten (BKP 2)
23 Mio. EUR

 

Nutzungen
Anlage für Nashörner, Pustelschweine und Tapire

 

Energieversorgung
Solarthermie

 

Art der verbauten Kollektoren, Leistung
Fernwärme-Kompaktstation 300 kW / Übergabestation

 

Leistung Winter
300 kW

 

Auszeichnungen
Nominiert für den Berliner Architekturpreis 2023 (Entscheidung noch ausstehend)

Am Bau Beteiligte

 

Bauherrschaft
Zoo Berlin AG

 

Architektur. Landschaftsarchitektur
dan pearlman Erlebnisarchitektur GmbH

 

Tragkonstruktion
HBI

 

HLKS-Planung
b.i.g.

 

Bauphysik
CSD

 

Baumanagement
emproc Bauprojektmanagement

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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