Neue Richt­li­nien auf dem Prüf­stand

Die 2015 in Kraft getretenen Brandschutzvorschriften sollten die ­Standardkonzepte bei gleichem Sicherheitsniveau wirtschaftlicher machen, die Materialisierung erleichtern und die Verordnungen vereinfachen. Wurden die hohen Erwartungen erfüllt?

Date de publication
04-03-2020
Hanspeter Kolb
Professor für Brandschutz und Holzbau, Berner Fachhochschule BFH

Vorab: Für eine Analyse ist es noch zu früh. Die Einführung neuer Vorschriften und Normen ist nicht von heute auf morgen möglich. Zudem wurde die wichtigste neue Richtlinie «Qualitätssicherung im Brandschutz» mit einer Übergangsfrist bis 2020 eingeführt und auf Anfang 2019 revidiert. Soweit heute erkennbar, hat die Branche die Neuerungen wohlwollend angenommen. Die Beteiligten profitieren von diversen Neuerungen, die zu Vereinfachungen geführt haben.

Baustoffe und Bauteile trennen

Eine der wichtigsten Neuerungen für Entwurf und Planung ist die konsequente Trennung zwischen Feuer­widerstand und Materialisierung. Neu werden die Anforderungen an den Feuerwiderstand von Bauteilen definiert. Er ist nur in zweiter Linie vom Material abhängig. Auch Bauteile aus brennbaren Baustoffen wie Holz können die geforderten Widerstände haben. Zugleich werden die Anforderungen an das Brandverhalten definiert: Nur in Bereichen mit höheren Sicherheitsbedürfnissen sind nicht brennbare Materialien nötig.

Nicht nur Baustoff und -teil zu trennen hat sich bewährt. Die Einteilung nach Brandverhaltensgruppen bringt Ordnung in die ­Baustoffklassifizierungen. Die rund 300 Möglichkeiten, die sich durch die Klassifizierungen der Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen VKF und der Europäischen Normen EN ergeben, wurden in vier Brandverhaltensgruppen (RF1–RF4) eingeteilt. Die Planung der Materia­lisierung hat sich dadurch stark vereinfacht.

Flexibilität und Kosten

Die Fluchtweglänge wurde auf 35 m vereinheitlicht, die erforderliche Anzahl an Treppenhäusern reduziert. Auch durch das Zusammenfassen von dem Betrieb dienenden Nutzungen bieten sich viele Vorteile. Je nach ihrer Funktion lassen sich Räume zu Brandab­schnitts­flächen von max. 3600 m2 zusammenfassen.

In einem Schulhaus zum Beispiel braucht es zwischen den Unterrichtsräumen keine brandab­schnittsbildenden Wände. Da Korridore nicht mehr als Fluchtwege gelten, kann man sie als Gruppen- oder Veranstaltungsräume einsetzen. Dies erhöht die Nutzungs­flexi­bilität und spart Kosten.

Spielraum und Freiheit

Verglichen mit früheren Brandschutzvorschriften bieten die Neu­erungen mehr gestalterischen ­Spiel­raum und Freiheiten in der Materialwahl. Die Planenden müssen aber ihre Verantwortung wahrnehmen. Je nach Qualitätssicherungsstufe kann dies ein Architekt, ein Brandschutzfachmann oder eine Brandschutzexpertin VKF sein.

Die Neuerungen waren ein guter und wichtiger Schritt. Doch die Entwicklung geht weiter. Die VKF hat die operative Leitung für die Überarbeitung der Brandschutzvorschriften 2026 an die Berner Fachhochschule BFH vergeben.

Erfahrung in der Praxis

Ob und wie sich die überarbeiteten Brandschutzvorschriften im Alltag bewähren und was sie sich für zu­künftige Revisionen wünschen, davon berichten drei Brandschutz­experten und eine Architektin.

Wie gut sind Standardkonzepte umsetzbar?

Sabine Harmuth: Wenn man die neuen Brandschutzvorschriften als «entwurfsmitbestimmenden Parameter» von Beginn an in die Planung miteinbezieht, kann ein konzeptioneller Mehrwert resultieren. Dies beginnt bei der Schärfung der strukturellen Erschliessungsfigur und führt weiter in die Raumschichten – dort sind durch die nun mögliche Zu­sammenfassung von zusammen­gehörenden Nutzungen innerhalb eines Brandabschnitts neue räumliche Konzepte möglich.
David Sauser: Wird der Brandschutz von Anfang an integral mitgeplant, sind Standardkonzepte im Neubau praktisch ohne Einschränkungen und ohne Mehrkosten umsetzbar. Schwieriger wird es bei bestehenden Gebäuden. Bei diesen kommt man oftmals nicht um alternative Brandschutzmassnahmen herum.
Jakob Studhalter: Die Standardkonzepte der Brandschutzvorschriften sind im Normalfall gut umsetzbar. Stellenweise dürften die Richtlinien klarer formuliert sein, sodass auch Planer mit weniger Brandschutz-Hintergrund schnell Zugang finden und sich einheitlichere Auslegungen im Vollzug ergeben.
Reinhard Wiederkehr: Standardkonzepte als bauliche  Lösung oder als Löschanlagenkonzepte lassen sich in der Praxis gut auch für individuelle Bauprojekte mit Varianten umsetzen. Dank der konkreten Formulierungen ergibt sich eine hohe Planungssicherheit.

Welche Neuerungen haben Ihre Arbeit am meisten verändert?

Sabine Harmuth: Die Vorgabe «wie geprüft, so eingebaut» ist für Bauteile mit Anforderungen an den Feuerwiderstand und die damit verbundene detaillierte Nachweispflicht herausfordernd. Werden Bauteile nicht gemäss Prüfung eingebaut, sind die Schnittstellen zwischen allen betroffenen Gewerken zu einem frühen Zeipunkt zu klären. Dies, um die Abweichungen in den Submissionen und auf der Zeitschiene bezüglich mög­licher Einzelzulassungen berücksichtigen zu können.
David Sauser: Die QS-Richtlinie und die damit verbundene klare Rollendefinition haben die Arbeit verändert. Der hoheitliche Brandschutzexperte kümmert sich um die Festlegung der Verhältnismässigkeit oder die Gleichwertigkeit von Massnahmen und weniger um die Umsetzung von Standardmassnahmen. Dies führt zu einer Qualitätssteigerung, weil sich die einzelnen Fachplaner ihrer Verantwortung gegenüber dem Brandschutz vermehrt bewusst werden.
Jakob Studhalter: Die QS-Richt­linie beeinflusst unsere Arbeit mit den Kontroll- und Dokumentations­aufgaben, aber auch die Möglichkeit von leistungsbasierten Konzepten für die Entfluchtung, wie sie in den vorangehenden Vorschriften ausgeklammert war. Insbesondere in Bestandsgebäuden erweitert sich der Handlungsspielraum in der Planung.
Reinhard Wiederkehr: Klare und wo möglich baustoffneutrale Vorgaben mit wenig nutzungsbezogenen Abweichungen, das heisst auch einfache Rahmenbedingungen für den mehrgeschossigen Holzbau.

Was wünschen Sie sich für zukünftige Revisionen der Brandschutzrichtlinien?

Sabine Harmuth: Für unsere Planungs- und Baupraxis wäre es wünschenswert, dass sich SIA und VKF in Bezug auf die Planungsleistungen und Verantwortlichkeiten austauschen und abstimmen.
David Sauser: Die Brandschutzrichtlinien sollten bezüglich Begrifflichkeit und Einzelmassnahmen noch besser aufeinander abgestimmt werden. Daneben sollte man darauf achten, dass der noch vorhandene Handlungsspielraum erhalten bleibt. Auch im Brandschutz droht eine zunehmende Überregulierung den ingenieurmässigen Ansatz zu erdrücken.
Jakob Studhalter: Für die bevorstehende Revision der Brandschutzvorschriften wünschen wir uns quantitative Schutzziele, die klare Zielgrössen für leistungs­basierte Nachweise bringen. Das schafft Planungssicherheit für individuelle und wirtschaftliche Lösungen.
Reinhard Wiederkehr: Mehr Pragmatismus mit Mut zur Lücke. Praxisorientierte Angaben, die sich an den Möglichkeiten des Bauens orientieren und nicht von Prüfnormen und/oder euro­päischer Normierungsflut ge­steuert sind.

Um den Bedarf an Spezialistinnen und Spezialisten zu decken, bieten die VKF und die BFH entsprechende Ausbildungsmöglichkeiten an. Eine Übersicht über das aktuelle Kursangebot findet sich hier (Suchbegriff: Brandschutz).

Étiquettes

Sur ce sujet