Tritt­stein von Stadt zu Land

Murgauenpark

Am Übergang zwischen Siedlung und Landschaft befinden sich stille Raumreserven, die in vielfältige und naturnahe Erlebnisräume umgestaltet werden können. Ein Beispiel aus Frauenfeld zeigt, wie die Umsetzung mit erheblichem, aber lohnenswertem Aufwand gelingt.

Publikationsdatum
31-03-2016
Revision
25-05-2016

Flurnamen verraten, wer oder was die betreffende Stelle für sich beansprucht hat: Ein «Mörderhölzli» gibt es mehrmals in der Ostschweiz; die meisten sind als Tatorte historisch registriert. Bedeutend harmloser klingt das «Räuber-und-Poli-Wäldeli» im Baselbiet; die Ortsangabe erklärt sich trotzdem von selbst. Seine genaue Herkunft lässt dagegen das «Buebewäldli» in Frauenfeld offen. Bekannt ist nur, dass sowohl Soldaten als auch jugendliche BMX-Fahrer das Waldstück entlang der Murg, freiwillig oder auf Befehl, zum Austoben benutzten. 

Ein aktueller Besuch vor Ort zeigt, dass die Auswahl möglicher Namenspaten noch grösser geworden ist: Familien, Sportler und Naturliebhaber frequentieren das einstige, beinahe 5 Hektaren grosse Militärgelände mitten im Thurgauer Kantonshauptort. Aber auch Biber oder seltene Vögel und Fische dürfen hier heimisch werden. Verschiedene, auch gegensätzliche Nutzungsansprüche sind neuerdings willkommen; das Uferareal mit Wald und Wiese wird nun «Murgauenpark» genannt.

Vor sechs Jahren hat die Stadt Frauenfeld die Bundesparzelle für wenig Geld, rund 120 000 Franken, erworben. Seit letztem Herbst kommt sie als grosszügiger und lichter Erholungs- und Naturpark daher; nur wenige Gehminuten von Bahnhof und Stadtzentrum entfernt und umgeben von alten und neuen Wohn- und Gewerbequartieren.

Der letzte, warme Sommer hat bereits viel Publikum unterschiedlichsten Alters ins ehemalige Buebewäldli gelockt: Jogger und Spaziergänger mit oder ohne Hund haben die Wahl zwischen kleiner und grosser Runde. Kinder finden freien Zugang zu einem gemütlichen Badeplatz. Ein offener Holzpavillon darf von Gesellschaften für eine ungestörte Feier im Grünen gemietet werden. Derweil starten Wanderer und Naturfreunde hier eine abwechslungsreiche Tour entlang der Murg. Der Fluss quer durch Frauenfeld war an dieser Stelle seit dem 19. Jahrhundert in einen Kanal eingezwängt; inzwischen ist der ursprüngliche Auencharakter teilweise wiederhergestellt. 

Stadtpark, Biotop und Landschaftsgarten

Die Umgestaltung beruht auf einem Masterplan von Staufer & Hasler Architekten, der die Ansprüche der Anwohner, der Stadtentwicklung und der Ökologie räumlich und gestalterisch in diesem grünen Stadtpark gleichberechtigt zu behandeln weiss. Das Wegnetz ist verdichtet; elegante Fussgängerbrücken schlängeln sich durch prächtige Altbaumbestände.

Trauerweiden, Schwarzpappeln und andere wechselfeucht liebende Baumarten repräsentieren den halb offenen Übergangswald. Einem englischen Landschaftsgarten ähnlich sind auch die weiteren, inszenierten Natureffekte: Ein stillgelegter Kraftwerkskanal ist neu ein langer Ententeich, am Ende ergänzt durch ein Aussichtspodest.

Und der unzugängliche Damm ist flachen Ufern mit über­flutbaren Mulden und Furten gewichen. Die Natur ist revitalisiert, bleibt aber domestiziert. Doch das Fliessgewässer darf für eine sich ändernde Auendynamik sorgen. Nicht nur der Mensch, auch Fauna und Flora scheinen sich im Murgauenpark zurechtzufinden: Der Eisvogel geht bereits auf Nahrungssuche, und die Nase hat neue Laichplätze gefunden. 

So naturnah und zurückhaltend sich die Freizeitanlage inzwischen präsentiert, so erheblich war der zuvor geleistete Umsetzungsaufwand. Der Überflutung musste mit einer unterirdischen Druckleitung nachgeholfen werden. Zudem wurde sehr viel Erdmaterial bewegt und wurden Dutzende Bäume gerodet, sodass sogar öffentlich dagegen protestiert wurde. 2011 war eine Abstimmung fällig: Der Urnengang war nicht unumstritten, wobei die Stadtbevölkerung mit über 60 % der Stimmen Kredit und Gestaltungsplan gutgeheissen hat. 

Auftraggeber, Planer und die beteiligte Fachbehörde sind zufrieden, weil das erhoffte Gleichgewicht funktioniert. «Die skeptischen Stimmen sind inzwischen verstummt», bestätigt Fabrizio Hugentobler, Amtsleiter Freizeitanlagen und Sport der Stadt Frauenfeld. Thomas Hasler von Staufer & Hasler Architekten, den Verfassern des Masterplans, bestätigt, dass die Ursprungsidee «eines Parks im Wald, mitten in der Stadt» trotz Abstrichen am Entwurf gelungen ist. Der Bau eines Turms und einer Orangerie ist aus Kostengründen abgesagt worden.

Das Gestaltungspotenzial ist nicht ausgereizt; wesentlicher für den Murgauenpark war jedoch, dass «die Zone räumlich und rechtlich verbindlich geschützt ist», so Hasler.

Nicht unerheblicher Aufwand

Dass die zuvor verwilderte Militärparzelle umgewandelt werden konnte, war einer weitsichtigen Planung und nicht zuletzt einer pragmatisch genutzten Konstellation zu verdanken. Ein ehemaliger Kraftwerkskanal trennt den Murgauenpark vom westlichen Wohngebiet. Als dieser aufgrund einer Neukonzessionierung zu renaturieren war, erkannte die Stadtbehörde die Gelegenheit, das gesamte Grundstück zur Grünzone im Siedlungsgebiet aufzuwerten. Der kommunale Richtplan «Natur und Landschaft» sah bereits ein übergeordnetes Grünraumkonzept vor.

An der Nutzungsdiskussion ­beteiligte sich auch die Umweltbehörde des Kantons Thurgau mit dem eigenen Plan, das Fliessgewässer wie im Gewässerschutzgesetz verlangt zu revitalisieren. Das Resultat des Interessenaustauschs war der koordinierte Erholungs-, Freizeit- und Naturpark, der auf einem subventionsberechtigten Auenprojekt beruht.

Bund und Kanton steuerten schliesslich fast die Hälfte der Umbau- und Gestaltungskosten bei. Der kantonale Wasserbauexperte Marco Baumann streicht die restituierte Auendynamik als Besonderheit heraus: «Der Fluss darf wieder für Abwechslung sorgen.» Umgefallene Bäume und Totholz werden nur noch entfernt, wenn sie die Sicherheit der Besucher gefährden.

Mit Drahtgitter geschützte Jungbäume weisen zudem darauf hin, dass der Biber nicht alles fressen darf und Neophyten wie die Robinie durch standorttypische Gehölzarten zu ersetzen sind. Umweltnaturwissenschafter Joggi Rieder schätzt aber nicht nur den erhöhten Ökowert, sondern auch die Wirkung des Standorts: «Die offene Aue ist ein Genuss fürs Auge; hier werden Mensch und Natur nicht gegeneinander ausgespielt.» 

Der Murgauenpark ist primär dem Menschen zugedacht: Nirgends ist der Zutritt untersagt. Auch Schilder mit Nutzungsregeln sucht man vergebens. Aus­ser dem üblichen Littering ist bislang nichts Negatives aufgefallen. Gleichzeitig soll er den Nutzungsdruck auf benachbarte, höherwertige Naturräume puffern: Nur wenige hundert Meter flussabwärts liegt das national geschützte Naturreservat «Grosse Allmend»; hier muss der Mensch die eingeschränkte Nutzung respektieren.

Aufwertung der Siedlungsränder

Dass unterschiedliche Ansprüche und Interessen derart stimmig unter einen Hut gebracht werden konnten, macht den Murgauenpark zum beispielhaften, interdisziplinären Projekt. Ausserordentlich ist ebenfalls, wie eine Waldfläche zum Bindeglied zwischen freier Landschaft und stark genutztem Siedlungsgebiet geworden ist. Insofern ist der Park auch eine vorsorgliche Investition in die weitere Siedlungsentwicklung von Frauenfeld, da die Nachbargebiete noch zu verdichten sind. 

Aber nicht nur in Frauenfeld, auch anderswo ist das Bewusstsein gestiegen, dass der Siedlungsrand vermehrt als Erlebnisraum aufzuwerten ist, wenn die Siedlungsentwicklung nach innen qualitativ hochwertig vorangetrieben werden soll. In unmittelbarer Nähe zu verdichteten Wohnquartieren könnte hier, stärker als bisher, das spontane Naherholungsbedürfnis befriedigt werden. Zwar soll die räumliche Grenze zwischen Wohnquartier, Kulturland und Wald unangetastet bleiben; aber funktional und konzeptionell kann sie als urbaner Freiraum verstanden werden.

Diesen Trend nehmen grossräumliche Entwicklungskonzepte bereits auf: Der Siedlungsrand wird zum Multifunktionsraum, der den zahlreichen Aufenthalts- und Bewegungsbedürfnissen der Bewohner gerecht und dazu gestalterisch angepasst werden soll.1 Ebenso vernetzt er als Trittstein die besiedelte Agglomeration mit der offenen oder bewaldeten Landschaft. Richtet sich der Fokus in der Siedlungsentwicklung aber vermehrt auf die Landschaft, darf Letztere nicht vereinnahmt werden, weil sonst qualitative Einbussen drohen. 

Den Planungsbedarf am Siedlungsrand hat beispielweise die Agglomerationsregion St. Gallen–Bodensee erkannt: «Landschaft für eine Stunde» heisst eine bereits veröffentlichte Modell- und Teststudie, die zur Aufwertung und Gestaltung von Übergangsräumen animieren will.2

Überregionale Planungen zeigen unter anderem informelle Aufwertungsansätze für attrak­tivere Naherholungsgebiete am Siedlungsrand auf. Das Auf lichten von Wäldern, die Verbesserung der Zugänge oder die Vernetzung von Grünachsen entlang von Stras­sen oder Flüssen gehören zum beschriebenen Gestaltungsrepertoire, das als Leitfaden für weitere Siedlungsstandorte und Landschaftsräume übertragbar ist. 

Ergänzend wird eine Potenzialanalyse für die siedlungsinterne Grünraumaufwertung durchgeführt;3 Ergebnisse sind im Lauf dieses Jahres zu erwarten. Überraschend an beiden Konzeptstudien im sanktgallisch-thurgauischen Agglomerationsraum ist jedoch: Die Ideen und Anregungen ergeben sich aus einem partizipativen Verfahren.

Anders als im Murgauenpark, der aus der Zusammenarbeit von Fachspezialisten entstand, kommen potenzielle Nutzer, Grundeigentümer und Anwohner aus sieben beteiligten Gemeinden, Städten und Quartieren zu Wort. In Workshops und Standaktionen wurden die Wünsche von Passanten und Interessenvertretern entgegengenommen.

Ein solches Verfahren hat den Vorzug, dass «einseitig ausgerich­tete Freiraumkonzepte geringe Chancen haben und zugunsten des Interessenausgleichs zurückzustellen sind», erklärt Michael Güller, federführender Planer und Mit­inhaber von Güller Güller architecture urbanism in Zürich. Charakteristisch an den formulierten Ansprüchen sei, dass Vielfalt und Zahl der landschaftsplanerischen und -architektonischen Inputs eher gering ausgefallen sind. Die häufigsten Verbesserungen werden sowieso im Bereich der Zugänglichkeiten erwartet. 

Die Beteiligung wertet Güller dennoch als Erfolg: «Denn dadurch kann das Interesse in der Bevölkerung für Freiräume mit besserer Nutzbarkeit und höheren ­Qualitäten auf jeden Fall geweckt werden.» Ob dereinst der ­Begriff «Partizipationswald» Eingang in das Register der Flurnamen finden wird?

Anmerkungen

1 Entwicklungsplanung Leimental-Birseck-Allschwil BL; Berichte und Testplanungen einsehbar unter:
www.baselland.ch

2 «Landschaft für eine Stunde», Aufwertung und Gestaltung der Übergangsräume von Siedlung zu offener Landschaft, Schlussbericht Agglomeration St. Gallen–
Bodensee, 2015

3 Agglomerationsprogramm Regio Appenzell Ausser­rhoden–St. Gallen-Bodensee; www.regio-stgallen.ch

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
Stadt Frauenfeld

Masterplan, Gesamtleitung
Staufen & Hasler Architekten

Brücken, Stege
Conzett Bronzini Partner AG

Wasser, Tiefbau
Fröhlich Wasserbau AG

Landschaftsarchitektur
Harder Spreyermann Architekten ETH/SIA/BSA, Zürich, mit Martin Klauser, Landschafts­architekt BSLA, Rorschach

Ökologische Begleitung
Kaden Architekten

Magazine

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