Se­nar, die drit­te Sym­pho­nie

Der russische Komponist Sergei Rachmaninoff wohnte ab 1931 für einige Jahre jeweils im Sommer in der Villa Senar am Vierwaldstättersee. Nach dem Erwerb des Gebäudes durch den Kanton Luzern wurde es restauriert. Es zeigt sich: Der herausragende Musiker hatte auch ein Gespür für Farben und Technik.

Data di pubblicazione
12-12-2023

Es dauerte mehrere Sommer, bis «Gibraltar» gesprengt war. So nannten die Leute aus der Region Weggis den Felsen, der in Hertenstein am Ufer des Vierwaldstättersees die Topografie formte. Heute befindet sich an seiner Stelle der Park der Villa Senar, deren gelbe Fassade aus der üppigen Parkkulisse leuchtet. «Aus einem Briefwechsel wissen wir, dass Sergei Rachmaninoff die Gestaltung des Parks beeinflusst hat», erzählt Cony Grünenfelder, die für die Restaurierung der Villa Senar zuständige Denkmalpflegerin des Kantons Luzern.

Modern, aber nicht radikal

Nach der Sprengung des Felsens wurde 1931 als Erstes das Gärtnerhaus gebaut. Hier lebten Sergei Rachmaninoff und seine Frau Natalia bis 1934, während sich ihr Sommerhaus im Bau befand. Der kleine Bau am Anfang des elegant geschwungenen Strässchens, das zur Villa führt, erfuhr im Lauf der Zeit Veränderungen: Im Erdgeschoss gab es zum Beispiel links unter dem Balkon eine dynamische Auskragung und eine Garage, in der der Lincoln stand, den die Familie alljährlich für ihre Reise von New York über den Atlantik nach Frankreich verschiffte, um damit nach Hertenstein an den Vierwaldstättersee zu fahren.

Die Struktur der Villa Senar hat dagegen keine nennenswerten Veränderungen erfahren. Ihre Sprache entspricht weitgehend jener des «Neuen Bauens»: gestaffelte Kuben, ein Flachdach und horizontale Fenster, die die Funktionen dahinter ablesen lassen. Allerdings sind diese in sich vertikal gegliedert, und die Massivbauweise erlaubte keinen freien Grundriss. «Die Villa ist modern, aber sicherlich kein radikaler Bau. Dazu kommt, dass die Architektur moderner ist als die Einrichtung», kündigt Cony Grünenfelder den Besuch an. Der erste Projektplan von Möri Krebs Architekten aus dem Jahr 1930 war sogar noch moderner: Der rechtsseitige Anbau mit dem Studio verfügte über ein Fensterband. Die geschlossene Raumwirkung im Musikzimmer wäre damit jedoch verloren gegangen, und möglicherweise war es Rachmaninoff selbst, der darauf bestand, dass man die Öffnung wegliess.

Wie sehr die Rachmaninoffs trotz des eigentlich modernen Baus in konservativen Strukturen verhaftet waren, zeigt der kleine Eingang für die Bediensteten. Er ist mit einem separaten Treppenhaus verbunden und befindet sich neben dem offiziellen, repräsentativen Eingang, der über Stufen in die Eingangshalle führt. 

Für die Gestaltung des Parks war der Luzerner Landschaftsarchitekt Fritz Dové verantwortlich. Mit seinen gepflasterten Wegen, die verschiedene Plätze miteinander verbinden, gesäumt von Mäuerchen und mit Rosenhecken vor dem See sowie dem gegenüberliegenden Pilatus-Massiv bildet der Park ein adäquates Gleichgewicht zur Architektur. Er wirkt nach fast 95 Jahren so, als wäre er schon immer da gewesen. Heute begleitet die Landschaftsarchitektin Julie Dové, eine Enkelin von Fritz Dové, die Gestaltung des Parks.

Progressiv und romantisch

Wie anderes an dem Gebäude, das stilistisch von modern bis gutbürgerlich reicht, verhält es sich auch mit den Farben. Anhand von alten Perspektiven war zu vermuten, dass der Bau ursprünglich nicht weiss, sondern gelb war, was auch die restauratorische Farbuntersuchung bestätigte. Der Anstrich unter der später aufgetragenen Kunststofffarbe war aber unwiderruflich verloren. Neben der Villa waren auch das Gärtnerhaus, der Geräteschuppen und das Bootshaus in unterschiedlichen Gelbtönen gestrichen.

Stilistisch zeugt die Farbe von einer gewissen Ambivalenz: Mit wenigen Ausnahmen sind die Bauten von Möri Krebs Architekten im Heimatstil verankert. Gelb, wie sie es auch beim Hotel Montana (1909–1910) in Luzern verwendeten, war beliebt. Die Villa Senar ist jedoch ein formal der Moderne zuzuordnendes Spätwerk.

Auch die bauzeitliche Farbigkeit der Innenräume wurde bei der Restaurierung wieder hergestellt. «Interessanterweise irritierten mich am Anfang die gutbürgerlichen Möbel im modernen Bau. Später erkannte ich, dass das mit dem gebrochenen Weiss zusammenhing, in dem die Räume gestrichen waren», so Cony Grünenfelder. Die Farbuntersuchungen zeigten, dass das Weiss fein aufeinander abgestimmte, weiche Pastellnuancen von Braun bis Beige überdeckte. Zusammen mit dem Solnhofener Steinboden und den leuchtenden Polstermöbeln wirkt diese Kombination mediterran, modern, fein, mit kraftvollen Akzenten, aber auch romantisch – genau wie Rachmaninoffs Kompositionen.

Schicht auf Schicht

Sockel und Dachrand der Villa sind aus Kunststein. Die feine Ausprägung von Letzterem entspricht wieder dem Originalzustand und ist einer der aufwendigsten Eingriffe der Restaurierung. Die Dichtigkeit des Dachs war seit seiner Fertigstellung problematisch und alle paar Jahre wurde eine neue Lage darauf verlegt. Diese 50 cm dicke Schicht musste bis zur ursprünglichen Betondecke abgetragen und das Dach neu abgedichtet werden. Wie alle Arbeiten koordinierten dies MSA Meletta Strebel Architekten in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege.

Die Eingangshalle erschliesst das ganze Haus: den Bereich der Bediensteten, den Salon, das Esszimmer und die Treppe mit ihrem fein geschwungenen schwarzen Handlauf. Einer der eindrucksvollsten Räume ist das Musikzimmer: Drei von der Halle her abwärts führende Stufen deuten subtil an, dass es sich um einen Rückzugsort handelt. Die fantastische Aussicht und die Vorstellung, dass Rachmaninoff in dem Raum voller persönlicher Gegenstände seine «Rapsodie über ein Thema von Paganini» komponierte, vermitteln eine so dichte Ambiance, dass er fast präsent wirkt.

Die für damalige Verhältnisse riesigen Fensterscheiben stammen aus der Bauzeit. Sie müssen 1933 über die kleinen Landstrassen nach Hertenstein transportiert worden sein. Vor der Restaurierung waren die schweren Flügel verzogen und klemmten. Mit zurückhaltenden Metallwinkeln zwischen Fensterbank und der Unterkante des unteren Rahmens werden sie nun entlastet. Mit der Intervention konnte eine Demontage verhindert werden, die ein grosses Risiko für die Verglasung bedeutet hätte. Wie bei allen Eingriffen sind auch diese Winkel nach den Grundsätzen der Denkmalpflege reversibel.

Raffinessen der Zeit

Folgt man der Haupttreppe, fällt im ersten Stock der restaurierte Linoleumboden mit einer Holzmaserung auf. Die Schlafzimmer sind noch nicht instand gesetzt. Wie bereits bei den raumhohen Lüftungsgittern in Salon und Esszimmer im Erdgeschoss zeigt sich beim Lift Rachmaninoffs Vorliebe für Technik. Auf seine Wiederinbetriebnahme hat man allerdings verzichtet, da dafür einschneidende bauliche Massnahmen nötig gewesen wären.

Die Ölheizung des Hauses war damals eine Besonderheit. Wirklich aussergewöhnlich ist aber die Badewanne mit je zwei warmen und zwei kalten Wasserläufen: Einer ist für die Wanne, der andere für deren hohle Wand. So blieb das Wasser beim Baden lange warm, ohne dass man nachfüllen musste. Beim Lavabo befinden sich fein ziselierte Zahngläser und Badetücher mit Monogramm. Ein schönes Detail: Die schwarz-weissen Steinzeugfliesen am Boden sind knirsch verlegt. 

Hilfreich für die originalgetreue Restaurierung waren die reichen Quellen: das Haus selbst, historische Fotos, Rachmaninoffs Briefwechsel mit den Architekten, Rechnungen sowie die feste und mobile Ausstattung unter anderem von der Firma Städler in Horw. Dieser Nachlass befindet sich im Staatsarchiv Luzern.  

Ein künstlerischer Rahmen

1939 flüchteten Sergei und Natalia Rachmaninoff in die USA und kamen, obwohl ihre Aufenthaltsbewilligung 1940 noch einmal erneuert wurde, nie mehr in die Schweiz zurück. Die Villa blieb jedoch im Familienbesitz. Tochter Tatiana verbrachte später die Sommer in Hertenstein, danach kam ihr Sohn Alexandre bis 2012 an den Vierwaldstättersee.

Die Synthese aus Landschaft und Architektur in Kombination mit der Persönlichkeit und dem Werk des Musikers ist einzigartig.Mit dem Erwerb der Villa durch den Kanton Luzern und der bauzeitlichen Wiederherstellung wird nun ein authetisches  Bild vom Leben Rachmaninoffs vermittelt. Gleiczeitig handelt es sich um eine Konstruktion, einen Rahmen um die Exzellenz des Künstlers.

Weitere Informationen
Der Park der Villa Senar ist im Frühling und Sommer sonntags von 13:00 bis 17:00 Uhr bei trockener Witterung geöffnet. Im Café mit Aussensitzplätzen wird eine kleine Auswahl an Getränken angeboten. Das Haus ist geschlossen und kann nur von aussen besichtigt werden.

 

Für Besichtigungen und Führungen in der Villa: Foundation Andrea Loetscher, Andrea.Loetscher [at] rachmaninoff.ch

 

www.villa-senar.lu.ch

Erste Etappe Ertüchtigung und bauzeitliche Wiederherstellung Villa Senar, Hertenstein LU

 

Bauherrschaft
Kanton Luzern, vertreten durch: Dienststelle Immobilien Baumanagement, Luzern


Architektur
MSA Meletta Strebel Architekten, Luzern


Denkmalpflege
Dienststelle Hochschulbildung und Kultur, Denkmalpflege und Archäologie, Luzern


Landschaftsarchitektur
Dovéplan Landschaftsarchitektur, Luzern


Farbanalyse
Stöckli, Atelier für Restaurierungen Stans


Elektroplanung
Bühlmann Engineering, Luzern


Restaurierung
2022–2023

Articoli correlati