Neues stärkt Be­ste­hen­des

Nachnutzung SBB-Trassee La Neuveville-Twann

Am Ufer des Bielersees schafft der Bau eines Tunnels ­Frei­räume zwischen La Neuveville und Twann. Anstelle der alten Zugstrecke ­konzipiert das Siegerteam um Duo Architectes neue Wege und ­Verbindungen zwischen den historischen Dörfern, ihren Häfen und dem See.

Data di pubblicazione
09-11-2023

Projektwettbewerb im selektiven Verfahren

Meist werden Landschaft und Freiräume verbaut – dass sie frei werden, ist eher die Ausnahme. Wenn dies wie im Fall zwischen den Gemeinden La Neuveville und Twann geschieht, muss die Gestaltung umso sorgfältiger sein.

Die Ausgangslage für die Umgestaltung ist der neue Tunnel, den die SBB bis Ende 2026 auf der Linie Biel-Neuenburg bei Ligerz erstellen. Das Bahntrassee am Seeufer wird dafür rückgebaut. Das eröffnet die Möglichkeit, die geschützten Orts- und Landschaftsbilder am Ufer des Bielersees aufzuwerten: Ohne die trennende Bahnlinie stehen ein verbesserter Seezugang mit direkter Anbindung an die Orte, eine angepasste Verkehrsplanung mit Rad- und Fussgängerweg und die Ausgestaltung der Häfen in Aussicht. So wichtig das linke Seeufer mit den Orten Twann, Schafis, Ligerz und Bipschal landschaftlich und kulturhistorisch ist, so strikt sind die Vorgaben: Die eingeladenen Teams ­sollten in ihren Entwürfen berücksichtigen, dass die Region im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler aufgeführt ist, die Ortsbilder im ISOS erfasst sind und sich einige Strassenabschnitte im Inventar der historischen Verkehrs­wege befinden. Die Nachnutzung wird im interkommunalen Richtplan «Nachnutzung SBB-Trassee La Neuveville-Twann» geregelt. Die Planungsaufgabe im Gesamtperimeter von Schafis bis Bipschal und in den zwei Teilperimetern in Ligerz und Schafis umfasste je einen Betrachtungsperimeter vom Ufer bis zu den Gebäuden und verlangte die Berücksichtigung der Erkenntnisse des Vorprojekts.

Eine feingliedrige Aufgabe

Die teilnehmenden Teams mussten ein Konzept für den Gesamtperimeter erarbeiten, das den Freiraum, Dorfstrukturen, Wege und Strassenräume, An- und Verbindungen sowie die ökologische Vernetzung beinhaltet. Genauso wichtig waren auch die Bezüge zum historischen Kontext, die Materialisierung, Mauerelemente und Randabschlüsse sowie die Beleuchtung, Vegetation und Biodiversität. Den neuen Uferweg mussten die Büros zudem als kantonalen Radweg ausbilden, die Wegverbindungen für Fussgängerinnen sollten sie mit dem öffentlichen Verkehr und den Häfen in Chavannes und Ligerz verknüpfen.

Für die Teilperimeter in Ligerz und Schafis mussten zwei konkrete Gestaltungsprojekte ausgearbeitet werden: In Ligerz umfasst dieser den neuen Bahnhofplatz und einen Abschnitt der Kantonsstrasse vom Parkplatz bis zum Bärenplatz, wo die Unterführung aufgehoben wird und eine Neugestaltung des Hafenbereichs vorgesehen ist. Um den Seebezug zu verbessern, sollte das Gelände modelliert werden, die Parkplätze werden mittelfristig noch beibehalten. In Schafis gehören zum Perimeter die Gestaltung der Uferwege, ein Parkplatz, ebenfalls die Aufhebung einer Unterführung, der Hafen und ein Teil der Kantonsstrasse mit zwei Bushaltestellen sowie einem Warteraum. Anstelle des heutigen Bahntrassees sieht der Wettbewerb neue Gebiete für Rebbau vor. Alles in allem ein umfangreiches Programm mit einigen gros­sen und sehr vielen kleinen ­Eingriffen mit komplexen Wechselbeziehungen.

See und Dorf verbinden

Das erstrangierte Projekt «Palimpseste» erhalte die Qualität der Ortsbilder und vermeide irreversible Schäden, so die Jury. Um Bestehendes zu erhalten, ohne die Geschichte des Ortes – auch die jüngere – zu verleugnen, weiche das Projekt in mehreren Punkten vom Vorprojekt ab. Was die Jury mit der «jüngeren Geschichte» meint, ist unklar. Doch die Aussage trifft auch auf das zweitrangierte Projekt zu, bei dem das SBB-Trassee beibehalten wird. Die Eingriffe des Gewinnerprojekts integrieren sich überzeugend in die Landschaft und das historische Ortsbild. Über zwei von SBB-Gleisen befreite Kilometer verbindet der neue Uferweg Land und See. Leider bleibt das Niveau des Bahntrassees unverändert, was keine neuen Sichtbezüge vom Dorf zu den Ländten und zum See ermöglicht. Dafür wird die Vernetzung zwischen Dorf und See durch die natürliche lokale Materialisierung gestärkt. Die Terras­sie­rung des Geländes schafft einen sanf­ten Übergang zwischen Trassee und Wasser sowie den vielfältigen, informellen Plätzen und Gärten. Der neue Uferweg weise im Teilperimeter Ligerz anstelle des starren SBB-­Trassees harmonische Wellen auf und suggeriere die Kurven eines natürlichen See­ufers, lobt die Jury. Das Siegerteam halte ­attraktive Ausblicke fest und seitlich des Wegs liegen ökologisch wert­volle Zonen. Die Jury befindet die Zweiteilung von Park und Platz als starkes Konzept. Vor dem Bahnhofsgebäude plant das Gewinnerteam einen öffentlichen Raum.

In Schafis begründen die Architekten die Versetzung der Bushaltestelle mit dem gebührenden Respekt, den das im ISOS stehende «Weingut Schlössli» verdient. Die Zufahrt zum Hafen funktionieren die Architektinnen zu einem multifunktionalen Platz um – wo Heli­kopter landen und Busse wenden können –, und stärken damit die Querung zum See für den Fussverkehr. Die fünf Seeterrassen mit unterschiedlichen Nutzungen geben dem Ort eine neue Identität, die Ländten sind barrierefrei zugänglich. Entgegen den Vorgaben behalten die Sieger die Unter­füh­rung zwischen Bärenplatz und Schall-­Ländte in Ligerz bei, verbreitern diese und werten sie auf. Auch die zweite Unterführung zur Chalch­ofen-Ländte durfte im Projekt «Palimpseste» bleiben. Sie ermöglicht zwar die Zufahrt zum Fische­rei­gebäude, die räumlich schwierigen Sackgassen bleiben aber ungelöst. Viel Wert legten die Architekten auf die naturnahe Gestaltung sowie den Siedlungsraum.

Der Jury war wichtig, dass die Teams das aktuelle Niveau des Trassees auf Absenkungen über­prüfen, Sichtbezüge zum Dorf verbessern und einen Vorschlag für die unterirdischen Parkplätze in Bipschal ausarbeiten.

Das Trassee bleibt

Das zweitrangierte Projekt «Joran» beurteilte die Jury ähnlich gut wie «Palimpseste». Es zeichnet sich vor allem durch das Beibehalten des Bahntrassees und differenzierte Wege aus: ein Flanierweg und eine Veloroute auf der partiell umgestalteten Hauptstrasse und Fusswege auf ­tieferem Niveau. Die Landschafts­architekten übernehmen das Bahntrassee als Teil der Geschichte und integrieren es zusammen mit der Einbettung des Uferwegs ins Gesamtkonzept. Doch auch hier bleibt das Niveau des Trassees unverändert, wie beim Gewinnerprojekt fehlen neue Sichtbezüge. Das Erhalten des Trassees und der Rückbau der Unterführungen erfordern zudem kurze Distanzen, um die Höhenunterschiede zum Wasserspiegel zu überwinden, und machen Aufschüttungen notwendig.

In Schafis hätte sich die Jury neben den platzierten Rasenplattformen repräsentativere Interven­tionen gewünscht. Am Bahnhof in Ligerz legt das Team einen Platz über dem Gleiskörper an. Dieser sei zwar gut eingebettet, wirke aber im Kontext etwas urban, so die Beurteilung. Bei der Lariau-Ländte bieten die Terrassen zur Überwindung der Höhenunterschiede einen Mehrwert für die Nutzerinnen und Nutzer, die Notzufahrt zur Ländte ist dagegen nicht gelöst. Die Chalchofen-Ländte und die Schall-­Ländte sind für Menschen mit Beeinträchtigungen nicht zugänglich. Besonders unglücklich: Die Zufahrt zum Hafen ist nicht möglich, obwohl es diese für den Transport der Boote braucht.

Die Jury begrüsst dafür die Kammerung der Kantonsstrasse mit tieferem Tempolimit in den Sied­lungen. Der Uferweg begleitet durch verschiedene ökologische Lebensräume und verknüpft mehrere ­Sequenzen mit unterschiedlichen Atmosphären und Sichtbezügen. Kritisch sieht das Beurteilungsgremium die fast durchgängige Breite des Velowegs und befürchtet, dass sich dieser zur Schnellstrecke entwickeln könnte. Wenngleich das Gesamtkonzept von «Joran» im Nah­erholungsgebiet durch Bezüge zur Landschaft und den Dorfstrukturen überzeugt, gestaltet sich der Umgang mit den historischen Ländten schwieriger, da sie zu stark umgeformt werden und damit die Inte­gration in den historischen Kontext geschwächt wird.

Geschichte oder Sicht?

Das Projekt «Vies de rives» auf dem dritten Platz lobt die Jury für die gute historische Analyse. Die viel­fältige Gestaltung führe aber in der konkreten Umsetzung zu einer gewissen Unruhe und Übermöblierung. Der Patchwork-Ansatz mit differenzierter Wegführung weise aber spannende Ansätze auf. Lobenswert sei, dass die Teilnehmer die ökologische Vernetzung detailliert aufzeigen.

Die Jury findet für die erhaltenen Unterführungen und das Trassee in den Projekten «Joran» und «Palimpseste» nicht nur lobende Worte. Die Vorschläge sind jedoch gegenüber dem Vorprojekt bezüglich des ökonomischen Umgangs mit den Ressourcen und im Zusammenhang mit dem Erhalt der jüngeren Geschichte des Orts positiv zu sehen. So betrachtet, könne vielleicht auch auf neue Sichtverbindungen verzichtet werden.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 37/2023 «Wenn Farben Wellen schlagen».

-> Jurybericht auf competitions.espazium.ch.

Teilnehmende

1. Rang: «Palimpseste»
Duo Architectes paysagistes / Landschaftsarchitekten, Lausanne; Mantegani & Wysseier – Ingénieurs et planificateurs, Biel; team + mobilité – RR&A, Bulle; Ecoscan, études en environnement, Lausanne
2. Rang: «Joran»
Hänggi Basler Landschaftsarchitektur, Bern; Hartenbach & Wenger, Ingenieurbüro für Hoch- und Tiefbau, Bern; Metron, Bern; Büro Witschi, Bern
3. Rang: «Vies des rives»
apaar, Genf; Emch + Berger, Bern / Biel; Geografe, Magglingen; Prona, Biel; Emch + Berger Mobilité et Transport, Lausanne; Clément Crevoisier

Fachjury

Peter Wullschleger, Landschafts­architekt (Vorsitz); Beatrice Friedli, Landschaftsarchitektin; Gabriela Mazza, Architektin; Aline Renard, Verkehrs­ingenieurin; André König, Kultur­ingenieur; Fabrice Aubert, Landschaftsarchitekt, Gemeinde La Neuve­ville (Ersatz)

Sachjury

Catherine Frioud Auchlin, Stadt­präsidentin La Neuveville; Brigitte Wanzenried, Gemeindepräsidentin Ligerz; Philipp Cornaz, Gesamtprojektleiter Umfahrungstunnel SBB; Cédric Berberat, Vertretung Kantonales Tiefbauamt; Thomas Berz, Raumplaner, ­Geschäftsführer Verein seeland.biel/bienne (Ersatz); Dora Nyfeler, Gemeindeschreiberin Gemeinde Ligerz (Ersatz)

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