Kon­ven­tio­nel­les Trag­werk, elas­tisch ge­la­gert

Der Andreasturm steht in Zürich Oerlikon unmittelbar am Bahntrassee. Dies erfordert eine elastische Entkopplung des Skelettbaus von seiner Umgebung. So dämpfen die Ingenieure von WaltGalmarini Erschütterungen und sorgen dafür, dass das Bürohaus komfortabel zu nutzen ist.

Publikationsdatum
07-03-2019
Revision
07-03-2019

Das neue Hochhaus am östlichen Ende des Bahnhofs Zürich Oerlikon: Vier Geschosse verschwinden im Untergrund, 22 Geschosse schiessen 80 m in die Höhe (vgl. «Wandlungsfähig»). Das Tragwerk ist als klassischer Skelettbau in Stahlbetonbauweise konzipiert. Vertikale Lasten werden von den Ortbetonflachdecken über Fertigteilstützen und die beiden zentral im polygonalen Grundriss angeordneten Kerne aus Ortbeton abgetragen. Die Flachdecken mit einer konstanten Stärke von 28 cm tragen dabei bis zu 9.3 m weit und sind aufgrund dieser grossen Spannweiten teilweise vor­gespannt.

Die hochbelasteten, vorfabrizierten Betonstützen sind sukzessive abgestuft, entsprechend ihrem Lastniveau von 25 cm × 25 cm im Bereich der Fassade der obersten Geschosse bis auf einen Querschnitt von 65 cm × 65 cm im 3. Unter­geschoss. Die Wände der ­Kerne – in der Regel 30 cm, ab dem 2. Untergeschoss 50 cm stark – steifen das Gebäude gegen horizontale Lasten infolge Wind und Erdbeben aus. Der Schubmittelpunkt und der Schwerpunkt der Decken liegen nah beieinander, sodass die Kerne kaum Tor­sionskräfte aufzunehmen haben.

Um die Handrechnungen auf ­Basis des Ersatzkraftverfahrens zu verifizieren, wendeten die Ingenieure von WaltGalmarini das Antwortspektrenverfahren an – eine dynamische, lineare Berechnungsmethode, bei der das Schwingungsverhalten der massgebenden Eigenschwingungsformen ermittelt wird. Ausserdem liessen sie Windkanalversuche durchführen, um realistische und wirtschaftliche Windbeanspruchungen bestimmen zu können.

Das im fünfeckigen Grundriss an und für sich regelmässig angeordnete Tragsystem ist vor allem bei zwei markanten Auskragungen in seinem Rhythmus unterbrochen: Das Volumen ab dem 12. Obergeschoss kragt auf drei Fassadenseiten bis 2.4 m über die darunter liegenden Geschosse aus. Schräge, im Querschnitt 40 cm × 40 cm messende Fassadenstützen in den Geschossen 12 bis 14 fangen die Lasten ab und gewährleisten einen durchgehenden Kräftefluss.

Die Vierkant-Stahlprofile (VKT) sind aus ästhetischen und brandschutztechnischen Gründen mit Beton um­mantelt. Die aus der geneigten Stützenachse resul­tierenden ­Ablenkkräfte am Stützenkopf und -fuss ­werden über die Decken in den aussteifenden Kern ­eingeleitet und so ins Gleichgewicht gebracht. Ebenso schräg geführt werden die Stützen im Bereich ­des auskragenden Vordachs des Haupteingangs im ­Erd­geschoss.

Ausserdem kragt das erste Obergeschoss 10 m über das Erdgeschoss aus. Vier vorgespannte, teils ­voutenförmige Unterzüge der Plattendecke fangen die anfallenden Stützlasten ab. Dabei werden die Zug­kräfte bei der kurzen Einspannung von den vertikalen Lasten des Hochhauses überdrückt. Die abfangende Konstruktion ermöglicht im Eingangsbereich eine flexible Raumgestaltung, eine grosszügige Erschliessung und eine überdachte Anlieferung.

Im Untergeschoss verteilt ein Raster aus schottenartig angeordneten Wandscheiben die Lasten der Fassaden- und Innenstützen auf die Fundation aus einzelnen Schlitzwandlamellen und Ortbetonbohrpfählen. Die Bohrpfähle mit einem Durchmesser von 1.5 m sind etwa 30 m lang und in den unverwitterten Fels (Obere Süsswassermolasse) eingebunden.

Adäquat unkonventionell im Detail

Das Tragwerk des Andreasturms wirkt zunächst herkömmlich und unspektakulär. Eine genaue Betrachtung zeigt aber, dass die Statik sowie die Konstruktion und Lagerung in ihren Details, die zum standsicheren, komfortablen und robusten Turm führten, alles andere als konventionell sind. Das Hochhaus steht zwischen den Bahngleisen, gegen Nordosten zweigen sie nach Kloten und zum Flughafen ab, gegen Osten nach Wallisellen. Unmittelbar neben der Parzelle befinden sich Nachbargebäude, und unter der Andreasstrasse verlaufen Werk­leitungskanäle.

Aufgrund dieser Lage in gedrängtem Infrastrukturbestand analysierten die Ingenieure während der Bauphase laufend den Verformungszustand der Baugrube, für die Betriebsphase war eine dynamische ­Bemessung und Lagerung des Tragwerks zentral. Denn weder sollte der Bestand während der Bauphase zu grossen Deformationen und Erschütterungen ausgesetzt sein, noch dürfen die Nutzer des Hochhauses unter Betrieb störende Erschütterungen spüren oder hören.

Erschütterungsarm erstellt

Für die Erstellung der bis zu 20 m tiefen Baugrube direkt neben dem Bahndamm planten die Ingenieure eine umlaufende Schlitzwand. Sie ist ein vibrationsarm erstellbarer Baugrubenabschluss und bei ähnlicher Stärke wie andere Abschlüsse die deformationsärmste – ein wichtiger Aspekt, um Verformungen der Baugrubenwand und damit Setzungen im umliegenden Bestand mit sensiblen Gleisen und benutzten Gebäuden zu vermeiden.

Ausserdem wussten die Ingenieure die Ausführungsweise der Untergeschosse für die Aussteifung der Baugrube zu nutzen. Ab Strassenniveau erfolgte der Aushub der Baugrube nämlich in Deckelbauweise – und gleichzeitig der Hochbau über Terrain. Die drei Decken der Untergeschosse funktionieren sowohl im Bau- als auch im Endzustand als Spriessplatten. Ihre Stirn bietet der permanent verankerten Schlitzwand jeweils eine Lagerung. Die Aussenwände wirken dadurch als Durchlaufträger, und ein unzulässig hohes Ausbauchen – und damit übermässige Setzungen in der un­mittelbaren Umgebung – wird verhindert.

Die Ingenieure wiesen nach, dass die massgebenden Setzungen des Gebäudes hauptsächlich aus der Setzung der Bohrpfähle und deren Langzeitverformung bestehen. Rechnerisch liegen sie bei maximal 20 mm. Die maximalen Hebungen sind mit 15 mm etwas kleiner. Im Bereich der flach fundierten Gebäudeteile, die nicht durch das Hochhaus überbaut sind, liegen die Bodenpressungen aufgrund des tiefen Aushubs im Bereich der Wiederbelastung. Dennoch galt auch die notwendige Grundwasserabsenkung als setzungsrelevant, denn der Andreasturm ist im unteren, artesisch gespannten Grundwasserträger des Areals fundiert.

Aufgrund des vorliegenden Druckniveaus von ca. 436.5 m ü. M. resultiert auf Niveau Bodenplatte ein statischer Wasserdruck von rund 14 m Wasser­säule. Während der Bauphase bestand die Gefahr eines hydraulischen Grundbruchs, daher musste der Grund­wasserspiegel entspannt bzw. abgesenkt werden. Zudem greift der Erddruck asymmetrisch auf die Bau­grubenwand an, weil sie einen Niveauunterschied der gegenüberliegenden Baugrubenseiten von 8 m aufweist.

Unzulässige Setzungen konnten dank der dif­ferenzier­ten Bemessung des Grundbaus, der Über­wachung und einem Notfallszenario für den Fall eines Erreichens der Alarmwerte vermieden werden. Die ­Sicherheit gegen hydraulischen Auftrieb ist im End­zustand durch das Eigengewicht des Gebäudes schliesslich wieder gewährleistet.

Elastisch entkoppelte Lagerung

Unkonventionell sind auch Details der Lagerung des Hochhauses, denn seine unmittelbare Nähe zu den stark befahrenen Bahngleisen erfordert eine elastische Entkoppelung von der Umgebung. Sonst würden störende Erschütterungen oder Körperschall aus dem Bahnverkehr über die Fundation ins Gebäude übertragen werden und in den Innenräumen spür- bzw. hörbar sein – eine Einbusse des Komforts.

Aus baudynamischer Sicht ist ein Hochhaus ganz allgemein ein im Baugrund eingespannter Stab, der vertikal angeregt wird. Die stärksten Vertikalschwingungen treten am Stabende auf. Je nach vertikaler Eigenfrequenz des Bauwerks können die am Fuss angeregten Erschütterungs- und Körperschallimmissionen um 10 % bis 100 % verstärkt werden.1 Beim Übergang vom Baugrund auf das Gebäude werden die Erschütterungen jedoch auch abgemindert. Wie stark sich dieser Ankopplungseffekt auswirkt, hängt von der aussteifenden Wirkung der Fundamentplatte und von der Grösse der trägen Masse des Gebäudes ab.

Diese Wechselwirkung von Verstärkung und Reduktion der Im­missionen gilt es projektspezifisch zu analysieren und mit wirkungsvollen Lagerungen zu begegnen. Gerade die tiefe Fundationskote von Hochhäusern wirkt sich positiv auf die Übertragung der Vibrationen aus, denn sie vergrössert den rechnerischen Abstand – ­nämlich die schräge Distanz – zwischen ­Gebäudefundament und Gleis. Dies kann dazu führen, dass trotz Gleisnähe auf eine vollumfängliche elas­tische Lagerung verzichtet werden kann und nur die dem Gleis zugewandte Seite isoliert werden muss.

Auf eine Entkopplung der Bodenplatte des Andreasturms konnte aufgrund seiner tiefen Lage im Baugrund und aufgrund vorgängiger Messungen an der Ober­fläche und in abgeteuften Probebohrungen auf dem ­Projektareal verzichtet werden. Um die Erschütterungs- und Körperschallimmissionen beim Andreasturm auf ein vertretbares Mass zu re­duzieren, liessen die Ingenieure einzig die Spriessdecken entlang des nördlichen Bahndamms mit den ­Gleisen 3 bis 8 Richtung Flug­hafen von den Schlitzwänden elastisch entkoppeln. ­Dafür wurden punktförmige Elastomer­lager eingebaut.

Als vorgespannte Lagertypen konnte die erforderliche Spannung zur optimalen Entkop­pelung gezielt aufgebracht und die wirkenden Lasten aus dem Bahndamm überwacht werden. Ein Teil der Pressen kann auch während der Nutzung weiter geprüft werden. Alle weiteren, am horizontalen Last­abtrag nicht beteiligten Elemente sind konsequent gefugt, sodass bis in 20 m Tiefe ab Gleisniveau jegliche starren Verbindungen – und damit die Übertragung von ­Erschütterungen und Körperschall aus der Gleisanlage in das Hochhaus – vermieden werden.

Mit diesen Konstruktionsdetails wird der Richtwert nach BEKS2 (Leq = 40 dBA, Mischzone) eingehalten, und die Erschütterungen sind für die Nutzer kaum wahrnehmbar. So steht das klassisch bewährte Tragwerk ganz selbstverständlich in einem dicht bebauten Ballungszentrum, verkehrs­technisch ausgezeichnet erschlossen.

Dass das Gebäude in dieser Lage nah an den Bahngleisen letzten Endes komfortabel als Büro nutzbar ist, verdankt es der eingehenden Analyse im setzungsspezifischen und dynamischen Bemessungsbereich. Schienengebundener Verkehr durch dicht besiedeltes Gebiet, dessen Abstand zu den angrenzenden Überbauungen häufig sehr knapp bemessen ist – diese Art der Auseinandersetzung wird künftig vermehrt zu lösen sein.

Anmerkungen
1 «Erschütterungs- und Körperschall-Immissionen bei Hochhäusern neben Eisenbahngleisen», Ziegler Consultants, Zürich, Dr. A. Ziegler.
2 Weisung für die Beurteilung von Erschütterungen und Körperschall bei Schienenverkehrsanlagen (BEKS), 1999, Bundesamt für Umwelt Bafu. Vgl. «Erschütterungsquelle Schienenverkehr», TEC21 13/2007.
 


«Die Anpralllast wurde auf das übliche Mass reduziert»

Benjamin Wissmann, MSc ETH Bauingenieur, Senior Projektleiter bei WaltGalmarini, im Gespräch mit TEC21-Redaktorin Daniela Dietsche.

TEC21: Herr Wissmann, der Andreasturm steht unmittelbar neben den Bahn­gleisen. Was geschieht, wenn ein Zug entgleist?
Benjamin Wissmann: Zum Zuganprall wurde eine umfangreiche Risikoanalyse durchgeführt und in der Folge eine sogenannte Leitkante als Anprallschutz erstellt. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass ein Zug im Fall einer Entgleisung das Gleisbett verlässt und ungebremst in das Tragwerk prallt. Bemessungstechnisch konnte so die verbleibende anzusetzende Anpralllast auf ein übliches Mass reduziert werden.

TEC21: Gibt es noch weitere Massnahmen zum Schutz des Gebäudes?
Benjamin Wissmann: Die permanent rückverankerte Stützmauer ist für den Bahndamm von grosser Bedeutung. Auf der Einwirkungsseite wurde der volle Erd­ruhedruck angesetzt, um mögliche Deformationen zu reduzieren. Zudem ist die Anzahl Anker auf den Bauzustand hin bemessen. Damit haben wir eine zusätzliche Sicherheit gegenüber dem Ausfall einzelner Anker während der Nutzungsdauer.

TEC21: Wie erkennen Sie mögliche Ausfälle der Anker?
Benjamin Wissmann: Die Anker werden überwacht und regelmässig kontrolliert. Darüber hinaus kann durch die Überwachung der Pressenkräfte entlang der Deckenstirnen auf mögliche Veränderungen der Stützwirkung geschlossen werden.

TEC21: Gibt es auch Risiken, die vom Hochhaus ausgehen und die Bahn beeinflussen?
Benjamin Wissmann: Unabhängig vom Gefährdungsbild Zuganprall wurde das Tragwerk im Sinn der Robustheit so aus­gelegt, dass eine beliebige Stütze ausfallen kann, ohne dass es zu einem Teil- oder Gesamteinsturz kommt und damit auch die Gleisanlagen in Mit­leidenschaft gezogen werden.

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