Was ist der «Per­for­mance Gap»?

Hohe Planungsziele

Ausbessern, wenn das Resultat nicht mit der Absicht übereinstimmt: Simulationsingenieure untersuchen Ursachen für die Differenz zwischen ­berechnetem Energiebedarf und gemessenem Verbrauch in Gebäuden.

Publikationsdatum
02-12-2015
Revision
07-09-2017

Traditionell beschreibt der «Perfor­mance Gap» die Differenz zwischen Planungszielgrössen und Messungen im Betrieb. Der Jahresenergieverbrauch kann zwischen dem Gebäudekonzept während der Planungsphase und dem gebauten und genutzten Gebäude erheblich abweichen. Besondere Brisanz erhält das Ausmass des Performance Gap bei der Auslegung und dem Betrieb von Null- bzw. Plusenergiegebäuden und der Gewährleistung des gewünschten Anlagenbetriebs.

Eine Schweizer Praxisstudie

Die Bewertung des Performance Gap setzt voraus, dass sowohl aus der Planungsphase als auch aus dem Betrieb ausreichend Informationen vorliegen. Eine lückenlose Dokumentation der Berechnungsgrundlagen ist ebenso erforderlich wie ein passendes Messkonzept und qualitativ hochwertige Messungen im Betrieb.

Um das Phänomen zu erörtern, wurden im Rahmen einer Studie des Vereins IBPSA-CH (vgl. Kasten unten: «Wer den Gap erforscht») acht Schweizer Gebäude identifiziert, bei denen in der Planungsphase Gebäudesimulationen zur Anwendung gekommen sind und für die Messwerte aus der Betriebsphase vorliegen. Die betrachteten Gebäude umfassen Freizeiteinrichtungen, Mehrfamilienhäuser und ­Bürobauten. In dieser Tabelle sind sechs der acht Objekte aufgeführt (vgl. «Monte-Rosa-Hütte: 80% Inselversorgung»).

Die untersuchten Projekte machen deutlich, dass die Ursachen für den Performance Gap sehr vielfältig sind und die Ab­wei­chungen von den Zielgrössen sowohl positiv als auch negativ ausfallen können. Aus den acht betrachteten Fallstudien können die folgenden häufig auftretenden Ursachen abgeleitet werden:

  • abweichende Nutzung des Gebäudes und der Anla­gentechnik (6 von 8 Gebäuden)
  • abweichende Anzahl der Gebäudenutzer (4/8)
  • nicht bedarfsgerechte Anlagensteuerung (3/8)
  • unpassender Detaillierungsgrad des Simulations­modells (3/8)
  • Installation von anderen bzw. zusätzlichen Verbrauchern (2/8)
  • nicht nutzbare Messdaten in Folge zu hoher Mess­ungenauigkeit bzw. fehlerhafter Installation

Der so aufgestellte Katalog bildet die Grundlage dafür, die grössten und häufigsten Gründe für einen Performance Gap zu bestimmen und Handlungsempfehlungen zu formulieren.

Bewusste Planungsunsicherheiten

Die Ausführungen zeigen, dass es zur Gewährleistung einer gewünschten Energiebilanz auch während der Betriebsphase drei Dinge braucht:

  • die Betrachtung von Gebäudenutzung, Spezifikation und Bauqualität als über die Zeit veränderlich, und zwar schon während der Planungsphase
  • ein kontinuierliches Betriebsmonitoring während der Gebäudenutzung
  • ein erweiterbares Modell des Gebäudes und der Gebäudetechnik

Mögliche Abweichungen von ursprünglichen Zielgrössen im späteren Betrieb sollen die Anwendung und die Vorteile von Gebäudesimulationen in der Planungsphase nicht einschränken, da Performance Gaps ­unabhängig von der angewandten Methodik auftreten. Vielmehr sollte das Bewusstsein für Planungsunsicherheiten stärker im Planungsalltag verankert werden. Unsicherheitsbetrachtungen, Szenariorechnungen und Risikoabschätzungen zur Robustheit können mithilfe von Gebäudesimulationen als fixer Bestandteil der ersten Projektphasen die spätere Qualität sicherstellen.

Der Performance Gap soll zu Vergleichen ­anspornen, um herauszufinden, welche Ursachen das Nichterreichen der idealen Zielgrössen hat. Ab­weichungen können erste Hinweise auf Optimierungspotenziale geben und somit Ansatzpunkte für eine ­Betriebsoptimierung sein.

Viele Annahmen in Planungsfrühphase

Die steigenden Anforderungen an Energieeffizienz, Nachhaltigkeit, flexible Raumkonzepte und Regelungsstrategien und die daraus resultierende zunehmende Komplexität in der Planung von Gebäuden und ihren Systemen erfordern integrale Prozesse. Händische Ermittlungen von Planungsparametern (aus Tabellen, mit Standardwerten, mit schematischen Lösungen, Dreisatz) können diese Anforderungen oft nicht mehr ab­decken; die Unterstützung durch computergestützte Gebäudesimulationen wird nötig.

Der Einsatz von Programmen zur dynamischen Gebäudesimulation ermöglicht es, diese Komplexität zu adressieren. Er ermöglicht, alle Teilaspekte abzudecken und integriert zu betrachten. Die Ergebnisse bilden oft eine Entscheidungshilfe für komplexe Problemstellungen. Jedoch spielen Gebäudesimulationswerkzeuge in der Schweizer Planungs- und Betriebspraxis bislang eine eher untergeordnete Rolle. Einerseits werden monetäre und zeitliche Mehrkosten heute noch nicht berücksichtigt, und andererseits stehen viele Parameter bei der Planung noch nicht fest, die für die Eingabe nötig wären.

Bei Gebäudesimulationen in frühen Projektphasen müssen folglich viele Annahmen (z. B. Belegungsdichte, Nutzungszeiten) getroffen werden. Werden später die berechneten Ergebnisse aus der Frühphase z. B. mit den tatsächlich gemessenen Energiedaten aus dem realen Betrieb verglichen, erstaunt es nicht, dass ein Performance Gap auftritt. Ein bekanntes Beispiel ist die Monte-Rosa-Hütte (vgl. Artikel hier), deren Beliebtheit dazu führte, dass die Belegungszahlen bis zu 63% über den Planungswerten lagen und zu einem deutlich ­höheren Energieverbrauch führten.

Oft wird der Performance Gap kritisiert und der Fehler bei der Simulation gesucht. Hierbei wird jedoch nicht beachtet, dass sich im Lauf der einzelnen Projektphasen und im späteren Betrieb die Randbedingungen in der Regel ändern und die Annahmen aus der frühen Planungsphase nicht mehr zutreffen. Somit ist die Grundlage für die Simulationsergebnisse nicht mehr aktuell. Für aussagekräftige Vergleiche müssten die Grundlagen in solchen Fällen angepasst und neue Simulationen durchgeführt werden.

Mit der stetigen Verschärfung der nationalen, aber auch der europäischen Normwerke und dem mittel­fristigen Ziel, Net-Zero-Energiebilanzen zu erreichen, werden die Differenzen zwischen Zielwerten und erreichten Werten stärker wahrgenommen. Die Differenz zwischen dem Vorprojekt und der Betriebsphase kann sich aus den einzelnen oder kumulierten Performance Gaps zwischen Vorprojekt und Bauprojekt bzw. Bauprojekt und Bewirtschaftung zusammensetzen.


Der Text basiert auf Resultaten der IBPSA-CH Working Group «Performance Gap» und wurde von ihr verfasst:
Michael Benz, 3-Plan Haustechnik, Winterthur
Viktor Dorer, Empa, Dübendorf
Beat Frei, Aicher, De Martin, Zweng AG, Luzern
Monika Hall, FH Nordwestschweiz, Muttenz
Jérome Kaempf, ETH Lausanne
Martin Ménard, Lemon Consult AG, Zürich
Sven Moosberger, Equa Solutions AG, Zug
Kristina Orehounig, ETH Zürich
Carina Sagerschnig, Synergy BTC AG, Bern


Wer den Gap erforscht

Die International Building Performance Simulation Association IBPSA stellt eine Informationsdrehscheibe zwischen Forschern, Entwicklern, Praktikern und Behörden im Themenbereich Gebäudesimulation dar. Der Verein IBPSA-CH (www.ibpsa.ch) mit mehr als 100 Mitgliedern repräsentiert das Schweizer Chapter. Bedingt durch das unumstrittene Potenzial von Simulationswerkzeugen in der Planungspraxis hat sich IBPSA Schweiz unter anderem zum Ziel gesetzt, das Thema «Performance Gap» mit dem Fokus auf Simulationswerkzeuge kritisch zu bearbeiten.
Die IBPSA-CH Working Group «Performance Gap» setzt sich aus Experten verschiedener Gebäudetechnik- und Facility-Management-Planungsfirmen sowie mehrerer Schweizer Hochschulen zusammen.

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