Zu­falls­pro­dukt Land­schaft

Landschaft soll nicht mehr ein Zufallsprodukt der Bautätigkeit sein. Diese Forderung untermauerten Fachleute aus der Raum- und Land­schafts­planung am Städtebau-Stammtisch, zu dem «Hochparterre» und der BSLA am 30. Januar 2012 in den Prime Tower geladen hatten.

Publikationsdatum
22-03-2012
Revision
01-09-2015

Zum Thema «Welche Landschaft brauchen wir » fielen erfreulich klare Worte. Vier Fachleute diskutierten darüber unter der Leitung von Rahel Marti und bezogen Stellung zum neuen Landschaftsmanifest des BSLA. Das Manifest wurde zwar wegen seiner «technokratischen» Wortwahl und «defensiven» Haltung ziemlich zerzaust, bewies aber, dass es seine Funktion erfüllt, offene und direkte Debatten auszulösen. «Die Schweiz ist hässlich geworden!», so der Forstingenieur und Umweltexperte Mario Broggi gleich zu Beginn – niemand widersprach. Die Diskussion förderte vier Gründe für diesen lamentablen Zustand der Landschaft zutage.  

Unversiegbare Quellen

Anette Freytag, Dozentin für Landschaftsarchitektur an der ETH Zürich, sprach es aus: «In der Schweiz läuft alles übers Geld.» Milliarden wollen investiert, das heisst verbaut sein. Die Landschaft sei ein zufälliges Produkt aus wirtschaftlich gesteuerten Partikularinteressen, so Broggi. Landschaft werde als Baulandreserve betrachtet. Planungsgewinne aus Ein- und Aufzonungen sind eine schier unversiegbare Geldquelle. Ob man die nicht abschöpfen müsste, wurde Maria Lezzi, Direktorin des Bundesamtes für Raumentwicklung ARE, gefragt, die mit einem einzigen Wort antwortete: «Machen!»  

Wertschätzung für die Landschaft

Lezzi verwies ausserdem auf den Mangel an Wertschätzung ausserhalb von ökonomischen Überlegungen. Dort müsse man ansetzen. Erst wenn die Landschaft als eigener Wert erkannt werde, könne sich etwas ändern. Der Prozess habe bereits begonnen, vorerst allerdings erst dort, wo sich dieser Wert in Geld ummünzen lasse, bei Immobilienentwicklern und im Tourismus. Sie brachte den Begriff der «Allmend» in die Diskussion ein, eine allen Bewohnerinnen und Bewohnern gehörende und von allen gepflegte und genutzte Landschaft, für die sich alle zuständig und verantwortlich fühlen und mit der sie sich identifizieren. Rahel Marti forderte in diesem Zusammenhang ein «Ja» für die Landschaftsinitiative1 und verwies auf deren Ziel, die bauliche Entwicklung auf Eis zu legen, um in Ruhe nachdenken und korrigieren zu können – niemand widersprach. 

Das eigene Gärtlein pflegen

Landschaft ist in jeder Hinsicht ein grenzüberschreitendes Thema. Um hier etwas zu erreichen, müssen politische und fachliche Grenzen überschritten werden. Der Landschaftsarchitekt Lukas Schweingruber verlangte, dass Bund und Kantone das Heft in die Hand nehmen und die Gemeindeautonomie in Landschaftsfragen aufheben. Maria Lezzi stellte in Aussicht, dass der Bund eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Gemeinden verlangen werde. Einig war man sich ausserdem darüber, dass auch die starren Grenzen der Fachgebiete einer positiven Entwicklung der Landschaft abträglich seien. Sie müssten mittels fachübergreifender und ganzheitlich moderierter Planungsprozesse überwunden werden. Ein Teilproblem dieser fachlichen Grenzen ist auch die noch immer zu technokratische Sicht auf die Raumplanung, in der die Gestalt kein Thema ist: Nach wie vor würden Funktionen organisiert und nicht Landschaften gestaltet – zumal die wichtigen Entscheide noch immer von Infrastrukturträgern gefällt würden, so Broggi. Früher waren es die Bahnen, die Landschaften einschneidend veränderten, heute seien es die Strassen. Wer an die Siedlungsentwicklung im Grossraum von Zürich im Zusammenhang mit dem S-Bahn-Bau denkt, kann dieser Argumentation leicht folgen. 

Falsche Planungsprozesse

Schliesslich ist es fatal, dass Fachleute aus der Landschaftsarchitektur in den Planungsverfahren – wenn überhaupt – meist viel zu spät zugezogen werden. Wenn sie erst am Schluss einer Planung angefragt werden, um die Aussenräume zu verschönern, ist der Effekt gering. Statt solcher Kosmetik müssen sie viel früher in planerische und städtebauliche Entwicklungen einbezogen werden. Bei gut vorbereiteten städtebaulich-planerischen Wettbewerben und Studien ist dies mittlerweile die Regel, aber in vielen anderen Planungsprozessen noch nicht. Hier braucht es Fachleute aus der Landschaftsarchitektur, die nicht nur ihre eigene Disziplin kennen, sondern fähig, bereit und willens sind, einen fachübergreifenden Dialog zu städtischen Räumen und zur Landschaft zu führen.

Anmerkung

  1. Inzwischen hat der Nationalrat entschieden: Über eine Mehrwertabgabe bei Einzonungen sollen Gemeinden und Kantone überdimensionierte Bauzonen auf das gesetzlich vorgeschriebene Mass verkleinern können. Mit dem Beschluss, die Verkleinerung bei den Kantonen explizit einzufordern, wird es künftig gelingen, die Bauzonen auf das gesetzlich vorgeschriebene Mass zu verkleinern, wo sie den Bedarf der nächsten 15 Jahre überschreiten. Damit wird es möglich sein, die Gesamtfläche der Bauzonen in den nächsten 20 Jahren nicht über das heutige Niveau ansteigen zu lassen. Die Kernforderung der Landschaftsinitiative wäre damit erfüllt.
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