Zü­richs kon­trol­lier­te Ko­exis­tenz

Die Zürcher Stadtverwaltung orientiert sich am Zauberwort der «Koexistenz» im öffentlichen Raum. Am 16. Städtebaustammtisch von «Hochparterre» sprach man über die Folgen.

Publikationsdatum
07-08-2014
Revision
18-10-2015

Die Perfektionierung in der Planung des öffentlichen Raums verhindere die angestrebte Diversität der Nutzer. Dies legte der Gemeinderat der Alternativen Liste Walter Angst in seinem Inputreferat am 26. Mai vor gut 100 Zuhörern im Kulturmarkt aus: Wenn auch auf Plätzen und in Pärken, wie bereits in Einkaufszentren und Zügen, Hausordnungen erlassen würden, verkehre sich die beabsichtigte Mischung verschiedener Bevölkerungsschichten im öffentlichen Raum in ihr Gegenteil, nämlich in eine Homogenisierung und in die Ausgrenzung nicht vorgesehener Nutzer. Hier sind dann nur noch die Mütter mit Kinderwagen, dort die Jugendlichen, gar nirgends die Punks und Alkoholiker, weiter weg alle, die Lärm machen könnten, wie Bocciaspieler oder Skateboarder. 

Moderatorin Rahel Marti verwies mehrfach auf Elisabeth Blums Buch «Schöne neue Stadt» (Birkhäuser, 2003). Mit ihrer Anspielung auf Aldous Huxleys Roman «Brave New World» thematisiert Blum die Disziplinierung der Stadt durch den «Sicherheitswahn». Was bei Erscheinen des Buches, einige Jahre nach den Schliessungen von Platzspitz und Lettenareal in Zürich, und international angesichts der Terrorprävention nach 9/11 dringend zu diskutieren erschien, bleibt aktuell. 

Überwachung am Horizont 

Die Teilnehmer am 16. Städtebaustammtisch des «Hochparterre» waren fünf Akteure um den öffentlichen Raum. Anna Schindler, Direktorin Stadtentwicklung Zürich, Alexandra Heeb, Delegierte Quartiersicherheit, Polizeidepartement der Stadt, Stefan Dambacher, Leiter Projektentwicklung Mobimo, Stefan Wagner, Kunsthistoriker und Kurator, und Walter Angst diskutierten um die Grenzen der Zauberformel der «Koexistenz». Diese sieht vor, dass der Stadtraum immer für alle zugänglich sein solle, will aber mit Nutzungsvorschriften Störungen verhindern. Dies, so die provokative These des Referats, münde in einen von Hausordnungen regulierten Stadtraum, der nicht mehr wirklich öffentlich sei.

Es werde immer sofort aufgeräumt, wurde in der anschliessenden Diskussion festgestellt. Das «Einfach-weniger-Aufräumen» erschien als die einfachste Massnahme gegen das Unbehagen angesichts von Zürichs unheimlich perfektem Stadtraum. Schwieriger zu beantworten war die Frage, wie weit das Bedürfnis nach Sicherheit die Nutzungskonzepte dirigieren dürfe. Walter Angst hinterlegte seine These der Homogenisierung und Ausgrenzung mit Untersuchungen, Verordnungen und Medienberichten. Die Studie des Zentrums Öffentlicher Raum des Schweizerischen Städteverbandes stellt unter anderem fest, dass bestehende Plätze teilweise anders genutzt werden als geplant – trotz Veranstaltungskonzepten, Quartierverträglichkeitsüberlegungen und Mitwirkungsverfahren durch die Stadtverwaltung. Diese Perspektive relativiert die Macht der amtlichen Regulierung. Andere Beobachtungen allerdings sind beunruhigender, wie die zunehmende Vernetzung von Informationen über Instrumente wie den GeoIndex (von der Zürcher Stadtpolizei am Schweizer Polizei Informatik Kongress 2013 vorgestellt) und das von der Polizei in Dubai eingesetzte Google Glass, das gesuchte Fahrzeuge oder Personen elektronisch identifiziert. 

Am Horizont droht die Überwachung. Die Diskussion im Zürcher Kulturmarkt blieb trotzdem wenig kontrovers und zeugte eher von Wohlbefinden als von Ausgrenzung. Dass die Anwohner am Idaplatz sich angesichts des regen Nachtlebens im verkehrsberuhigten und gentrifizierten Quartier manchmal die ruhigen Junkies zurückwünschen, wie Alexandra Heeb aus ihrer Praxis berichtete, veranschaulichte am direktesten, dass es immer um eine Abwägung der Interessen geht. Neben allen Bemühungen um Sicherheit, wie sie die Verwaltung erfolgreich fördert, braucht es für eine Koexistenz im Stadtraum als zweiten Pol auch die Freiheit, welche – wie die Diskussion bewies – schwieriger zu definieren ist.

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