Wohn­zim­mer der Mäch­ti­gen

Innenarchitektur - Politik

Hier tagte der Krisenstab während des RAF-Terrors, hier bahnten Kohl und Gorbatschow den Weg zur Deutschen Einheit: Im Bonner Wohnsitz der Bundeskanzler vermischte sich hohe Politik mit Wohnzimmeratmosphäre. Heute ist der Kanzlerbungalow nahezu vergessen. Zu Recht?

Publikationsdatum
18-09-2014
Revision
25-08-2015

Bonn, Juni 1989: Das Ehepaar Gorba­tschow ist auf Staatsbesuch, Bundeskanzler Helmut Kohl lädt in seinen privaten Wohnsitz im Park des Palais Schaumburg. Mit Blick auf den Rhein erklärt er dem mächtigsten Mann der Sowjetunion die Unvermeidbarkeit der deutschen Wiedervereinigung. Die intime Atmosphäre des Orts erlaubt solche Gedanken. Die Einladung in den Bungalow ist ein Zeichen von Wertschätzung – Gorbatschow schafft es beim ersten Treffen, Honecker betritt ihn nie. 

Haltung der Zurückhaltung

Im Frühling 1963 hatte Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, das Kanzleramt bereits im Blick, den Münchner Architekten Sep Ruf mit dem Bau beauftragt: Nach der zu erwartenden Abdankung von Konrad Adenauer, der im benachbarten Rhöndorf zu Hause war, würde für dessen Nachfolger ein Wohnsitz in Bonn benötigt.

Ruf war bekannt als Vertreter einer vermittelnden, moderaten ­Moderne und gehörte gemeinsam mit Egon Eiermann und Paul Baumgarten zum Planungsrat für die Bonner Bundesbauten. Nach dem Vorbild von 10 Downing Street und dem Weissen Haus sollte der Neubau die privaten mit den repräsentativen Räumen verbinden – unter Berücksichtigung der von Erhard vertretenen Maxime des Masshaltens: Architektur als Symbol für die Offenheit der Bundesrepublik, Bescheidenheit als Gegensatz zum Pathos der Nationalsozialisten. 

Sep Ruf plante zwei gegeneinander versetzte Atri­um­häuser – das grössere beherbergte auf einer ­Fläche von 24 × 24m den repräsentativen Trakt, das kleinere auf 20 × 20m die Kanzlerwohnung. Die ver­glaste Stahl­skelettkonstruktion mit Punktstützen und Flachdach erlaubte Durchblicke in den Park; Schiebe- und Versenkwände ermöglichten variable Raumkombi­nationen. Die Privaträume waren bescheiden bemessen, öffentliche Kritik an den Baukosten hatte eine Redimensionierung bewirkt.

Im Innern verwendete Ruf brasilianische Kiefer für die Decken, Travertin für die Böden der repräsentativen Bereiche und anthrazitfarbe­ne Spannteppiche im Wohntrakt als Kontrast zu Glas und Stahl. Die Möblierung stammte von Charles und Ray Eames, zeitgenössische Kunst in Haus und Park komplettierte das Ensemble.

Politische Raum-Zeit-Schichten

Auf Ludwig Erhard folgte 1966 Kurt Georg Kiesinger, der den Bau mit einem Schlafwagen verglich und den Täfer weiss streichen liess. Sein Nachfolger Willy Brandt zog 1969 gar nicht erst ein, nutzte den Bau aber als Gästehaus und für repräsentative Anlässe. Ab 1974 bewohnten Helmut und Loki Schmidt den Bungalow. Sie schätzten dessen Schlichtheit und unternahmen kaum Anpassungen.

1977 erhielt der Park allerdings eine Panzerglasfront – man befürchtete den Beschuss durch RAF-Terroristen von der anderen Rheinseite. Als Helmut Kohl 1983 für sechzehn Jahre einzog, brachte das neben der Stasi in der Telefonleitung auch einen Halogen-Sternenhimmel im Esszimmer.

Mit dem Umzug der Regierung nach Berlin 1999 verlor der Bungalow seine Funktion. 2001 wurde er als Denkmal der Nachkriegsmoderne unter Schutz gestellt, von 2007 bis 2009 liess ihn die Wüstenrot-Stiftung durch das Braunschweiger Büro Burkhardt + Schu­macher instand setzen. Eine Bestandsaufnahme zeigte Handlungsbedarf vor allem bei Gebäudehülle und -technik. Und wie sollte man mit den baulichen Veränderungen durch die jeweiligen Kanzler umgehen? Deren Eingriffe widerspiegelten das baukulturelle Verständnis ihrer Epoche.

Man einigte sich auf das Vorgehen «So viel aus der Zeit Erhards wie möglich, so viel aus der Ära Kohl wie nötig». Dementsprechend wurden das Dach komplett und die Gebäudetechnik teilweise erneuert und die privaten Innenräume Schönheitsreparaturen unterzogen. Foyer, Arbeitszimmer und der Empfangsraum des Repräsentationstrakts wurden in den Originalzustand versetzt, Kamin- und Speisezimmer verblieben im Stadium Kohl. Am 16. April 2009 wurde der Bungalow wiedereröffnet, heute dient er als Museum und Veranstaltungsort. 

Wohnen für die Republik

Als einen Raum, in dem «ungeschützte Gedanken ge­äus­sert werden konnten», bezeichnete Kohl-Mitarbeiter Stephan Eisel den Kanzlerbungalow. Dass er politisch als Ort der informellen Begegnung funktionierte, ist unbestreitbar, baulich-ideologisch bleiben Fragezeichen: ein transparenter Glaspavillon, realisiert als introvertiertes Atriumhaus; architektonische Offenheit in einem für die Allgemeinheit unzugänglichen Park; eine von Fachleuten gelobte Formensprache, mit der sich Bewohner und Bevölkerung aber kaum je identifizierten.

Der Bungalow ist ein heute fast vergessenes Symbol für die Frage, wie Repräsentation in einem demokratischen Staat angemessen architektonisch umgesetzt werden kann – wie in einer Demokratie üblich und wünschenswert, waren die Meinungen hierzu vielfältig, oft auch kontrovers.

Auch beim Neubau des Bundeskanzleramts in Berlin war ein Bungalow geplant, realisiert wurde er nie. Die Zeiten haben sich geändert: Die Grenze zwischen Freund und Feind ist labil, und statt Bungalows ist verdichtetes Bauen angesagt. Und die NSA hört alle ab – transparente Bauweise oder nicht. 

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