«Wir wol­len den Pio­nier­geist sti­mu­lie­ren»

Vor 13 Jahren umrundete Bertrand Piccard zusammen mit dem Briten Brian Jones die Welt im Ballon – und verbrauchte dafür 3.7 t Propangas. Nach der Landung beschloss er, dieses Wagnis zu wiederholen, diesmal aber ohne den Verbrauch fossiler Brennstoffe. Für die Realisierung seines Vorhabens rief er 2004 gemeinsam mit dem Ingenieur und Piloten André Borschberg das Projekt «Solar Impulse» ins Leben. Mit einem Team verschiedenster Spezialisten konstruierten sie in Dübendorf ein rein mit ­Solarenergie betriebenes Flugzeug, das auch nachts fliegen kann und in dem sie 2015 die Welt umrunden wollen.

Publikationsdatum
01-11-2012
Revision
01-09-2015

TEC21: Worin lag die grösste Herausforderung beim Bau des Solar-Impulse-Flugzeugs 
André Borschberg (A. B.): Die Herausforderung war, ein Flugzeug von der Grösse eines Airbus zu bauen, das nicht mehr wiegt als ein mittelgrosses Auto – insgesamt nur 1600 kg. Es musste also im Verhältnis zur Grösse fünfmal leichter sein als ein Segelflugzeug. Unsere Aufgabe bestand folglich darin, ein anderes Design und andere Materialien zu finden, als sie bei Segelflugzeugen oder anderen sehr leichten Flugzeugen verwendet werden. Ausserdem benötigte das Flugzeug eine sehr grosse Flügelspannweite, um die aerodynamische Effizienz zu optimieren, also das Verhältnis von Auftrieb zu Widerstand. Wichtig ist, eine möglichst kleine Sinkgeschwindigkeit zu erreichen.1 Bei einem Flugzeug mit grosser Flügelspannweite müssen die Flügel natürlich eine hohe Steifigkeit aufweisen.

TEC21: Welche technischen Neuentwicklungen stecken in Ihrem Solar-Impulse-Flugzeug 
A. B.: Die Entwicklung eines neuen Batterietyps oder einer neuen Solarzelle dauert mindestens 10 bis 15 Jahre und kostet enorm viel. Unser Ziel war daher eher, bestehende Technologien zu nutzen, sie anzupassen und zu verbessern, statt neue zu entwickeln.

TEC21: Können Sie ein Beispiel nennen 
A. B.: Wir haben z. B. das Gewebe – einen speziellen Polyurethanschaum – verbessert, aus dem das Cockpit und die Motorgondel bestehen. Es gibt der Gondel die Form und sorgt für die Wärmeisolation, um die Temperatur der Batterien in der Gondel auf dem optimalen Niveau zwischen +20 bis +50 °C zu halten und dafür keine Energie einsetzen zu müssen. Teilweise haben wir auch andere Materialien als üblich eingesetzt, z. B. Kunststoff statt ­Metall für Schrauben, Scharniere oder Elektronikgehäuse.

TEC21: Lassen sich diese Weiterentwicklungen auch in anderen Bereichen als dem Flugzeugbau nutzen 
A. B.: Es ist uns zum Beispiel zusammen mit zwei unserer Partnerfirmen gelungen, die ­Batterien durch Verbesserung des Elektrolyten und den Einsatz von Carbon-Nanotubes in den Elektroden leichter zu machen. Diese Batterien können nun auch für Autos oder andere ­Anwendungen genutzt werden. Wir haben ungefähr 80 Partner und Zulieferer, von ­denen gerade einmal zwei aus der Luftfahrt kommen. Die anderen sind daran interessiert, Technologien für ihre Märkte und ihre Kunden ausserhalb der Luftfahrt zu entwickeln, beispiels­weise hocheffiziente Motoren oder leichtere Solarzellen. Selbst Entwicklungen, die Solar Impulse letztlich nicht anwenden konnte, nutzen die Firmen teilweise als Produkte für andere Märkte.

TEC21: Was für Solarzellen verwenden Sie 
A. B.: Wir haben das Optimum zwischen Effizienz und Gewicht gesucht und verwenden ­monokristalline Siliziumzellen. Sie weisen einen Wirkungsgrad von 22 bis 23 % auf, sind sehr dünn (rund 150  m), sehr leicht und ziemlich biegsam.

TEC21: Müssen Sie die Flugrichtung nach dem Sonnenstand ausrichten, damit die Solar­zellen optimal von der Sonne beschienen werden 
A. B.: Nur im Notfall, wenn die Energieversorgung ungenügend sein sollte, zum Beispiel wenn wir während der Nacht wegen Gegenwind mehr Energie als üblich verbraucht haben und die Batterien am frühen Morgen fast leer sind. Dann würden wir von der Sonne weg­fliegen, damit der Winkel der Solarzellen zur Sonnenstrahlung besser ist.

TEC21: Können Sie auch bei wolkigem Wetter oder an Wintertagen fliegen? Reicht dann die Leistung der Solarzellen sowohl für den Flug als auch für die Speisung der Batterien aus 
A. B.: Wenn man nur während des Tages fliegen möchte, ist das kein Problem. Bei bedecktem Himmel gelangen immer noch mindestens 40 % der Sonnenstrahlung durch die Wolken. Damit können wir problemlos fliegen. Wenn wir aber Tag und Nacht fliegen möchten, brauchen wir optimale Wetterbedingungen oder müssen über den Wolken fliegen können, denn da benötigen wir die maximale Leistungsfähigkeit der Solarzellen. Wenn das einfacher wäre, hätten es andere schon gemacht.

TEC21: Als Pilot sind Sie im Cockpit extremen Bedingungen ausgesetzt, weil es aus Ge­wichts­gründen nicht wärmegedämmt ist und über keinen Druckausgleich verfügt. Sie haben einzig einen Schutzanzug und eine Sauerstoffmaske. Wie fühlen Sie sich als Pilot bei einem Flug bei – 20 °C und dem niedrigen Luftdruck in knapp 9000 Metern Höhe 
A. B.: Das ist eine Sache der Gewöhnung und des Trainings. Aber trotzdem merkt man, dass man als Mensch da oben nicht in seiner natürlichen Umgebung ist, daher sehr empfindlich ist und sehr vorsichtig sein muss. Schon kleine Probleme oder Fehler könnten fatal sein. ­Einmal habe ich zum Beispiel weniger Kleidung angezogen, weil geplant war, dass ich die meiste Zeit in niedriger Höhe über die Sahara fliege. Schliesslich musste ich dann doch ­länger in grösserer Höhe bleiben bei Temperaturen von –40° und –20 °C im Cockpit. Ich habe sehr gefroren und konnte nichts dagegen tun als möglichst schnell hinunterzufliegen. In 8700 m Höhe kann man ohne Sauerstoffzufuhr auch nach ein bis zwei Minuten schon ­bewusstlos werden, daher wird die Sauerstoffkonzentration im Blut laufend überwacht.

TEC21: Bei der Weltumrundung wollen Sie bis zu fünf Tage und Nächte am Stück fliegen. Sie haben aber keinen Kopiloten, mit dem Sie sich abwechseln können, und im jetzigen ersten Solar-Impulse-Flugzeug auch keinen Autopiloten. Wie funktioniert das mit dem Schlafen 
A. B.: Im zweiten Solar-Impulse-Flugzeug wird es einen Autopiloten geben. Ich habe das ­gerade für einen 72-Stunden-Flug im Flugsimulator getestet. Dabei habe ich mich etwa zehnmal pro 24 Stunden je 20 Minuten ausgeruht, also insgesamt drei Stunden. Aus Sicherheitsgründen geht das aber nur, wenn man über Meer fliegt.

TEC21: Und in der Zeit würde der Autopilot übernehmen 
A. B.: Ja, und auch ein spezielles elektronisches Gerät, das wie ein virtueller Kopilot überwacht, was das Flugzeug macht, und den Piloten weckt, wenn es ein Problem gibt. Ausserdem bin ich die ganze Zeit über via Satellitentelefon mit dem Kontrollzentrum in Payerne in Verbindung, das auch Flugzeugdaten wie Position, Geschwindigkeit, Energierproduktion, Ladezustand der Batterien etc. erhält. Dort können sie mich ausserdem über eine Kamera sehen.

TEC21: Das klingt nicht sehr erholsam.
A. B.: Wir haben zusammen mit Forschern und Medizinern überprüft, ob ich bei diesem Schlafverhalten die erforderlichen Fähigkeiten behalte. Die Ergebnisse waren sehr positiv. Für mich ist das eine gute Strategie, die ich mehrfach geübt habe. Für eine andere Person müsste man das aber vielleicht anders lösen.

TEC21: Ist die Steuerung eines so leichten Flugzeugs anspruchsvoller als die anderer Flugzeuge 
A. B.: Wenn die Luft ruhig ist, ist das Flugzeug sehr einfach zu fliegen. Dann können Sie es mit zwei Fingern kontrollieren. Aber wenn es böig ist, braucht es viel Kraft und Aufmerksamkeit. Die Arbeit, die man dann als Pilot leisten muss, ist viel anspruchsvoller als bei einem normalen Motorflugzeug oder auch einem Segelflugzeug. Problematisch sind vor allem Turbulenzen über den Bergen oder eine starke Thermik. Deshalb starten und landen wir normalerweise früh am Morgen oder nach Mitternacht und meiden Gebiete mit starken Turbulenzen.

TEC21: Sie sind dabei, das zweite Solar-Impulse-Flugzeug zu bauen. Wie wird es sich vom ersten unterscheiden 
A. B.: Äusserlich nicht stark. Lediglich die Flügelspannweite wird mit 70 m noch etwas grösser sein. Aber alle Komponenten und Materialien wurden nochmals verbessert, beispielsweise die Motoren, die Batterien, die Solarzellen. Die Leistung des Flugzeugs wird daher noch ­besser sein. Auch das Cockpit wurde für lange Flüge angepasst: Für Flüge von bis zu fünf Tagen und Nächten braucht man ein grösseres Cockpit, damit man sich etwas bewegen kann.

TEC21: Welche weiteren Schritte planen Sie bis zur Weltumrundung 
A. B.: Nächstes Jahr möchten wir mit dem ersten Solar-Impulse-Flugzeug in den USA von Los Angeles nach New York fliegen. Ende 2013 soll dann das zweite Flugzeug fertig sein, mit dem wir 2014 Testflüge machen werden. 2015 wäre dann die Weltumrundung.

TEC21: Solar Impulse übermittelt eine Botschaft. Welche Wirkung erhoffen Sie sich davon 
A. B.: Zum einen möchten wir den Pioniergeist stimulieren, denn das ist es, was wir in der Gesellschaft jetzt brauchen, um aus der Rezession zu kommen. Die Leute haben Angst vor Veränderungen. Wir von Solar Impulse wollen zeigen, dass man Dinge anders tun kann als die ganzen Jahre zuvor.
Zum zweiten möchten wir das Potenzial bestehender Technologien zeigen. Durch die intelligente Nutzung dieser Technologien können wir unter Beibehaltung unserer Lebensqualität viel Energie einsparen. Die einfachste Variante ist die Wärmedämmung von Gebäuden. Ein weiteres Ziel ist natürlich, das Potenzial erneuerbarer Energien zu demonstrieren.

TEC21: Es geht Ihnen also mehr um eine generelle Botschaft und gar nicht so sehr darum, das Fliegen mit Solarenergie zu propagieren 
A. B.: Das ist absolut richtig. Wir glauben, dass es bei Flugzeugen viel schwieriger ist und entsprechend länger dauern wird, das Erdöl zu ersetzen, weil dort das Gewicht eine wesentliche Rolle spielt. Man sollte lieber zuerst aufhören, Gebäude mit Öl zu heizen, und sich das Erdöl für die Zwecke aufsparen, wo es schwierig zu ersetzen ist.

Anmerkungen
1 Die Sinkgeschwindigkeit ist die vertikale Geschwindigkeit, wenn keine Maschine läuft.
Literatur
Solar Impulse HB-SIA, Editions Favre SA, Lausanne 2010. Mit der Sonne um die Welt. Ein Film von Henri de Gerlache, Gedeon Programme 2011.


Gesprächspartner

André Borschberg hat an der EPFL Maschinenbau studiert und am MIT in Boston einen Master in Management Science erworben. Nach verschiedenen Tätigkeiten im Bereich Management und Unternehmensentwicklung gründete er 2004 zusammen mit Bertrand Piccard die Solar Impulse SA, deren CEO er ist. Borschberg hat Profilizenzen als Flugzeug- und Helikopterpilot und war viele Jahre Militärpilot.

Heftreihe Energiewende

Energie ist ein Topthema des SIA. Die Art und Weise, wie Energie bereitgestellt und wie sie genutzt wird, hat einschneidende Folgen für Gesellschaft und Umwelt. TEC21 widmet dem Thema dieses Jahr unter dem Titel «Energie­wende» eine Serie von Nummern, die sich sich mit technischen, gestalterischen, sozialen, ökonomischen, ökologischen und raumplanerischen Aspekten des Umgangs mit Energie beschäftigen. Dabei geht es um nachhaltige Energieversorgung und die dafür nötige ­Infra­struktur, aber auch um die Suche nach nachhaltigen Lebensstilen. Die Beiträge der Heftreihe «Energiewende» stehen auch in einem Dossier auf espazium zur Verfügung.

Zahlen und Fakten zu «HB-SIA»Spannweite: 63 m
Gesamtmasse: 1600 kg
Durchschnittsgeschwindigkeit 70 km/h
Flughöhe: auf 8700 Höhenmeter begrenzt, um zur Gewichtsminimierung auf eine Kabine mit Druckausgleich verzichten sowie Energieverbrauch und Instrumentierung auf das Nötigste begrenzen zu können
Solarzellen: 11 628 monokristalline Siliziumzellen mit einem Wirkungsgrad von 22 bis 23 %
Motoren: vier 10-PS-Motoren, die entweder von den Solarzellen oder von Batterien angetrieben werden
Batterien: Lithium-Polymer-Batterien, mit denen das Flugzeug selbstständig starten und landen kann; sie machen ein Viertel des Flugzeuggewichts aus.
Anforderungen an Flughäfen: Der erforderliche Minimalstandard ist eine 45 m breite und 800 m lange Piste, wie sie bei Zivil- und Militärflug­häfen Standard ist.
Piloten: André Borschberg, Bertrand Piccard Chronik zu Solar Impulse2002 Bertrand Piccard wendet sich mit seiner Projektidee eines Solarflugzeugs an die EPFL,
die eine Machbarkeitsstudie unter Leitung von ­André Borschberg durchführt. Die Studie zeigt, dass das Projekt zwar schwierig, aber durchaus ­machbar ist.
November 2003: offizielle Lancierung des Projekts «Solar Impulse»
Juni 2004: Gründung der Solar Impulse SA, ­Aufbau eines technischen Kernteams und Suche von Partnern
November 2007: Vorstellung des endgültigen Designs des ersten Prototyps mit der Immatrikulation «HB-SIA»
Mai 2008: Piccard und Borschberg steuern den Prototypen im Flugsimulator erstmals 25 Stunden lang
Juni 2009: öffentliche Vorstellung des Prototyps
Dezember 2009: Der erste Testflug auf dem Flugplatz Dübendorf geht über eine Strecke von 350 m in 1  m Höhe.
April 2010: erster, knapp 1.5 Stunden langer Testflug ab dem Flugplatz Payerne
Juni 2010: erster Nachtflug über reichlich 26 Stunden
September 2010: Mit Flügen von Payerne nach Genf und Zürich Kloten wird das Einfügen in den Luftverkehr geübt.
Mai bis Juli 2011: erste internationale Flüge nach Brüssel und nach Paris
Februar 2012: 72-Stunden-Simulationsflug in einem massstabsgetreuen Nachbau des ­Cockpits des zweiten Solar-Impulse-Flugzeugs «HB-SIB»
Mai bis Juli 2012: Flüge mit «HB-SIA» von ­Payerne via Madrid nach Rabat und Ouarzazate in Marokko
Ende 2013: soll das zweite, leistungsstärkere Solar-Impulse-Flugzeug fertig gestellt werden.
2015: geplante Weltumrundung in Etappen von 36 Stunden bis zu 5 Tagen

Weitere Informationen: www.solarimpulse.com

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