Wi­der die Ver­nunft

Werdhölzlisteg in Zürich Altstetten

Nicht immer sind die technologisch besten Materialeigenschaften an einem Ort auch die besten aus emotionaler Sicht. Staubli, Kurath & Partner ­konstruierten deshalb den Werdhölzlisteg in Zürich Altstetten aus Holz – ­obwohl Kunststoff hier nachhaltiger und dauerhafter gewesen wäre.

Publikationsdatum
24-04-2014
Revision
18-10-2015

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Limmat kanalisiert, und während ­dieser 130 Jahre gingen die auentypischen Lebensräume und Landschaften sukzessive fast vollständig verloren. Diesem Verlust wollte der Kanton Zürich entgegenwirken.1 Grün Stadt Zürich beschloss deshalb, die Limmatauen im Rahmen der Verbesserung des Hochwasserschutzes und der Renaturierung der Limmatufer ­zwischen dem Stauwehr Zürich-Höngg und der Autobahnbrücke bei Oberengstringen wiederzubeleben.

Weichholzauen sind Uferbereiche von Bächen und Flüssen, die wiederkehrend von Hochwasser überflutet werden und mit dem Grundwasser verbunden sind. Sie zeichnen sich durch «weiche», biegsame Baumarten wie die Silberweide aus, die länger anhaltende Überschwemmungen und starke Strömungen aushalten. Auch das Werdhölzli war bis vor 200 Jahren eine Weichholzaue, die mehrmals pro Jahr überschwemmt wurde.

Als die Limmat in ihren engen Lauf gezwängt wurde, verlor sie an Dynamik und überflutete das Werdhölzli nur noch bei extremen Hochwassern. Es entwickelte sich zunächst zu einer Hartholzaue. Deren Baumarten, wie beispielsweise Eschen und Ulmen, zeichnen sich durch ein «hartes» Holz aus. Da das Werdhölzli in den vergangenen Jahrzehnten immer seltener überflutet wurde, trocknete auch die Hartholzaue weiter aus und veränderte sich allmählich zu einem Laubmischwald.

Die renaturierte Limmat ist nun wieder mit dem Werdhölzli vernetzt. Ein Rohr schwemmt durchschnittlich 18-mal pro Jahr Flusswasser in den geschützten Landschaftsbereich ein. Es entsteht wieder ein Lebensraum für typische Arten der Hartholzauen.

Holz ist hier weder dauerhaft noch nachhaltig

Um diese Landschaft zugänglich zu machen, ohne sie zu beeinträchtigen oder gar zu beschädigen, liess Grün Stadt Zürich die Auenlandschaft mit einem Steg erschliessen. Von ihm aus lässt sich das Gebiet beobachten. Die Materialisierung war dabei von Anfang an klar: Holz musste es sein; es ist nachhaltig und fügt sich optisch und gefühlsmässig ansprechend in die Landschaft ein.

Allerdings, so gibt der verantwortliche Bauingenieur Josef Kurath zu bedenken, sei Holz aus technischer und ökologischer Sicht in diesem feuchten Auenlandwald nicht das richtige Konstruktionsmate­rial für den Steg – auf 400 m ü. M., bei Luftfeuchtigkeiten von meist über 80% im Mittellandklima, sei es nicht nachhaltig und dauerhaft. Bewittertes Holz hat hier eine Lebensdauer von nur acht bis zehn Jahren, dann muss es ersetzt werden.

Baumstämme, die neben dem Steg liegen, zeigen die Verhältnisse auf: Ungeschützt verfaulen sie in nur wenigen Jahren. Man wird ungeschütztes oder schlecht geschütztes Holz in der Konstruktion ­deshalb immer wieder ersetzen müssen, ausser man ­verwendet Tropenholz wie Teak oder Iroko. Diese häufigen Unterhaltsmassnahmen erfordern viel graue Energie, die im ­Transport und in der Verarbeitung steckt.

Glasfaserverstärkter Kunststoff ist geeignet

Eigentlich, so Kurath, wäre glasfaserverstärkter Kunststoff (GFK) in dieser feuchten und sonnenarmen Umgebung konstruktiv und bezüglich Nachhaltigkeit geeigneter gewesen. Dies zeigt auch eine Ökobilanz, die im Rahmen der EXPO.02 gemacht wurde, relativ deutlich (vgl. Kasten). Das Erdöl ist bei GFK-Bauten in grossen Bauelementen gebunden, diese sind zwar ­naturfremd, verrotten aber nicht und haben gerade in dieser Um­gebung eine hohe Lebensdauer.

Entsprechend einer Kaskadennutzung können sie später weiterverwendet werden und lassen keine Spuren im Wald zurück. Doch dem Menschen, so sinniert Kurath weiter, widerstrebt es optisch und gefühlsmässig, «Plastik» in der Natur zu verwenden. Dies haben auch die Diskussionen im Planungsteam gezeigt. Viele Besuchende würden diese Materialien hier nicht schätzen und den Einsatz als falsch empfinden. «Was begreiflich ist», fügt er schliesslich an. Der Mensch soll sich hier wohl fühlen, und der Steg soll den Besuchern Freude bereiten.

Kompromisse für die Holzlösung

Naturwissenschaftliche und emotionale Aspekte müssen vereinbar sein. Das Vergnügen der Besuchenden sollte im Vordergrund stehen, allerdings innerhalb klarer Grenzen. Die Konstruktion des Werdhölzlistegs ist ein Kompromiss, den sich die Beteiligten erarbeitet haben, wobei die Planenden vor allem drei Grundsätze befolgten: Der Förster des Waldreviers Nord Grün Stadt Zürich, Emil Rhyner, und sein Team sollten den Steg erstens selber und zweitens mit möglichst viel eigengeschlagenem Holz bauen können. Der Anspruch, eine unaufgeregte Stegkonstruktion zu bauen, schlug sich positiv im Budget nieder: Normalerweise setzt man für einen Fussgängersteg 2500 bis 4500 Fr. pro m2 ein; hier waren es 1500 Fr./m2. Drittens sollte der Holzsteg dem Ort entsprechend eine ökologische und nachhaltige Bauweise aufweisen.

Folglich verwendeten die Pla­nenden grundsätzlich Material aus des städtischen Wäldern, das ohne weite Transportwege in die Betriebe der Försterei gelangte – einzige Ausnahme bilden die Tragpfähle. Das Holz wurde zwei Jahre zuvor in den Wintermonaten geschlagen, gesägt und an der Luft getrocknet. So konnte einer frühzeitigen Pilzbildung vorgebeugt werden, und der Energieaufwand für die übliche Ofentrocknung entfällt.

Wichtig für die Energiebilanz dieses Bauwerks ist ein guter Holzschutz, damit der Steg eine hohe Lebens­dauer aufweist und nicht viel Energie für eine ­häufige Instandsetzung verwendet werden muss. Auf einen chemischen Schutz wurde trotz des unwirtlichen Klimas für den Holzsteg verzichtet, denn dieser hätte ausge­waschen werden können und hätte die Natur belastet. Man strebte darum einen konstruktiven Schutz des unbehandelten Holzes an.

Die beste Schutzvariante wäre eine Überdeckung des gesamten Stegs. Um die Aussicht nicht zu beeinträchtigen, verzichteten die ­Beteiligten darauf. Der ungeschützte Brückenbelag muss deshalb voraussichtlich in acht bis zehn Jahren instandgesetzt oder ersetzt werden. Um trotz allem eine möglichst ­dauerhafte Brücke erstellen zu können, muss die Kon­struktion sorgfältig geplant und ausgeführt werden. 

Holzkonstruktion in feuchter Umgebung

Der 320m lange Holzsteg fügt sich in einer Zickzacklinie in die Auenlandschaft ein. Er besteht aus einzelnen Einfeldträgern, die auf Rundhölzern lagern, welche mit einem kleinen Bagger in den Boden gerammt wurden; es sind FSC-zertifizierte Robinien aus Ostdeutschland. Die Pfähle konnten mit einer maximalen Länge von zwei bis drei Meter geliefert und dadurch nur einen Meter tief in den Boden eingebunden werden. Ihre Belastung musste deshalb gering gehalten werden. Dies und die Länge des für die Tragbalken verwendeten Rundholzes ergab die obere Grenze für die Spannweiten; mit sechs bis zehn Meter belassen sie den Boden trotzdem möglichst frei.

Die Hauptträger sind nicht unter, sondern über dem Laufsteg angeordnet. Der Raum unter der Brücke wird so besser durchlüftet, was für den Belag und die darunter liegenden Sekundärträger in Eiche vorteilhaft ist. Die oben liegenden Hauptträger sind gut umlüftet und sichtbar, können phasenweise wieder austrocknen und von Unterholz freigeschnitten werden. Ausserdem kann sich die Vegetation unter der aufgestelzten Brücke hindurch entfalten.

Im rohen Förstersteg stecken die Finessen in den Details

Jeder Hauptträger besteht aus einem unverleimten Brettschichtholzträger, der mit einem rohen Stahlblech abgedeckt ist. Vorgespannte Schrauben ziehen die Konstruktion zusammen und bewerkstelligen den Verbund. Die Anzahl der Vorspannschrauben ist auf die Grösse der Querkraft abgestimmt; mit abnehmender Querkraft  nimmt auch die Anzahl Schrauben ab – es entsteht eine auf die Statik abgestimmte Komposition.

Über ­Reibung gibt der Brettschichtholzträger den Schub ­weiter an die Trägerenden und vor dort auf die Pfähle. Das Stahlblech ist breiter als die Holzbretter, was eine umlaufende Wassernase an der unteren Kante ermöglicht. Das Stahlblech hat also mehrere Funktionen: Es beteiligt sich an der Quervorspannung und schützt den Holz­träger vor der Witterung. Zudem trägt es zur Steifigkeit der Brückenkonstruktion bei und übernimmt die Wider­lager­funktion. Und schliesslich sind darauf die Handläufe aufgeständert.

Der Abstand zwischen den Hauptträgern und dem Gehbelag beträgt etwa 30 cm – ausreichend, um die Kon­struktion vor Spritzwasser zu schützen. Einzig bei der Überspannung des Mäanders ist das nicht der Fall. Um den Handlauf durchgehend auf derselben Höhe zu behalten, erweiterte man den Träger, der wegen der Spannweite eine grössere statische Höhe erforderte, gegen unten – auf Kosten des Spritzschutzes.

Auch an den Brückenenden und in den Aufenthaltsbereichen weicht die Konstruktion vom Grundprinzip ab: Die Brückenenden sind mit einem Gitterrost bedeckt. Er sorgt für eine bessere Durchlüftung unter der Brücke und verhindert, dass an diesen heiklen Stellen Holzelemente verfrüht faulen. Die Aufenthaltsbereiche – grundsätzlich Verbreiterungen der normalen Rhythmen der Einfeldträger – erfordern quer zur Brückenachse grössere Spannweiten, weshalb zusätzliche Träger montiert werden mussten; sie sind zugleich Sitzgelegenheiten und laden zum Verweilen ein.

Der konstruktive Schutz muss stets greifen

Die Brücke muss gepflegt werden, damit der konstruktive Schutz wirkt. Die Wassernasen an den Stahllaschen müssen funktionieren und die Hauptträger von Unterholz befreit sein. Alle Abstände zwischen den Holzteilen müssen frei bleiben, damit die Stellen durchlüftet werden und nirgends auch nur wenig Wasser liegen bleibt. Nur auf diese Weise wird die Brücke die geplanten 40 Jahre halten. Wenn denn doch einmal einzelne ­Bretter, Latten oder Träger ausgewechselt werden ­müssen, kann die Instandsetzungsarbeit innerhalb des Brückenquerschnitts erfolgen; es ist nicht erforderlich, die Auenlandschaft zu betreten. So bleibt die geschützte Landschaft mit ihrer Flora und Fauna noch lang unbeschadet bestehen. 

Anmerkung:
1 Der Limmat-Auenpark Werdhölzli ist ein Projekt der Baudirektion des Kantons Zürich, unterstützt von der Stadt Zürich, der Gemeinde Oberengstringen, dem naturemade-star-Fonds von ewz, dem WWF in Kooperation mit der Zürcher Kantonalbank sowie dem Bundesamt für Umwelt.

Tragwerksplanung: Staubli, Kurath & Partner AG


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Ökologischer Vergleich Losgelöst von emotionalen Aspekten hat die Firma Swissfiber 2004 auf der Basis von Fiberglasprofilen – das sind Profile aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) ein System zum Bau von Belägen und Brücken entwickelt. Es ist geeignet, Holz- oder Holz-Stahl-Brücken zu ersetzen. Der wesentliche Vorteil dieser Beläge bzw. Brücken besteht in der langen Lebensdauer und dem geringen Unterhalt. Obwohl diese Brücken in der Erstellung rund 30% teurer sind als vergleichbare Holzkonstruktionen, ergibt sich aus den oben genannten Vorteilen eine Kostenreduktion von ca. 50% über die gesamte Lebenszeit der Brücke. Mit der Untersuchung wurde abgeklärt, wie hoch die Umweltauswirkungen im Vergleich zu einer entsprechenden Holz­brücke sind. Dabei wurde der gesamte Lebensweg von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung mit der Methode der Ökobilanzierung untersucht und ­be­urteilt. Die Analyse zeigt, dass die ­Brücken aus GFK die beste Ökoeffizienz haben: sie verursachen die geringsten Umweltauswirkungen bei den kleinsten Lebenskosten des Bauwerks. Um die Sig­nifikanz der Ergebnisse zu prüfen, wurden neben einer Unsicherheitsanalyse auch folgende Varianten und Optimierungen der Holzkonstruktionen geprüft: Annahme einer längeren Lebensdauer der Holzkonstruktionen Reduktion des Energiebedarfs für die Holztrocknung durch Lufttrocknung
an­statt Kammertrocknung Verwendung von massiven Holzbalken als Träger anstelle von Brettschicht­holzträgern Energetische Nutzung des unbehandelten Holzes in einer Schnitzelfeuerung
und Ersatz von Erdöl Diese Varianten würden zu einer Reduk­tion der Umweltauswirkungen und teilweise der Kosten der Holzkonstruktion führen. Doch alle weisen eine höhere oder im besten Fall vergleichbare Umweltauswirkung und höhere Kosten aus als die GFK-Konstruktion der Swissfiber. Aus diesem Grund kann das Ergebnis, dass es sich bei der GFK-Konstruktion um die ökoeffizienteste Lösung der untersuchten Varianten handelt, als signifikant bezeichnet und sowohl aus ökologischen wie auch aus ökonomischen Gründen empfohlen werden.  Bei geschützten Holzkonstruktionen im Hochbau oder bei geschützten Brückenbauten, wie sie Hans Ulrich Grubenmann oft gebaut hat, sieht die Ökobilanz für Holzstrukturen natürlich wesentlich besser aus.  Der Bericht kann unter www.swissfiber.com heruntergeladen werden.

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