War­um ver­hält sich je­mand un­ethisch?

SIA-Tagung der Ethik

Die Ethik – als sittliches Verständnis, in dem moralisches Handeln im Vordergrund steht – spielt im SIA eine ebenso wichtige Rolle wie technische Normen. Eindrücke von der SIA-Ethiktagung.

Publikationsdatum
19-01-2017
Revision
20-01-2017

Regeln zu befolgen, die eindeutige Vorgaben machen, ist nicht schwer. Schwieriger wird es, wenn Regeln wie die der Ethik auslegungsbedürftig sind. Ethisches Handeln ist an verschiedenen Orten beim SIA ein Thema: in den Statuten, in der Standesordnung SIA 151 und in weiteren Normen – z.B. der SIA 102, 103 und 108, aber auch in der SIA 142, 143 und 144. Die SIA-Ethiktagung im November 2016 in der Zürcher Sihlcity widmete sich Bereichen, die vom Thema Ethik besonders betroffen sind.

Die Standesordnung des SIA

Die SIA-Mitglieder sind den Standesregeln des Vereins verpflichtet. Sie bezwecken, dass die berufliche Ehre und das Ansehen der Mitglieder gewahrt wird, die Regeln einer ethisch beispielhaften Berufsausübung und des fairen Wettbewerbs durchgesetzt und Verstösse gegen diese Grundsätze geahndet werden. Konkret müssen die SIA-Mitglieder einstehen für Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue, für berufliche und ethische Verant­wortung, für die Einhaltung des SIA-Normenwerks, für die Einhaltung von Pflichten bei der Abgabe von Gutachten und Fach­urteilen. Sie verpflichten sich zur Wahrung des Geschäfts­geheimnisses und fügen sich dem Verbot, Provisionen und Vergünstigungen entgegenzunehmen.

Die Regeln decken das gesamte Tätigkeitsspektrum der SIA-Mitglieder ab, unabhängig davon, ob sie als Planer, Bauherr, Behördenvertreter oder Berater tätig sind. Standesunwürdiges Verhalten von SIA-Mitgliedern kann geahndet werden. Die Standesordnung SIA 151 ist vielleicht vielen nicht geläufig; die Beherzigung der Artikel 3 und 4 wird von den Organisatoren der Tagung jedoch dringend empfohlen!

Prinzip der Gewalten­trennung

Die Standesordnung und die darin vorgeschriebenen Befugnisse der Standeskommissionen stehen für die Gewaltentrennung, verhindern Machtkonzentration und Willkür. Standesunwürdiges Verhalten kann der Standeskommission gemeldet werden. Der Judikativen des Staats vergleichbar, fällt das Standesgericht einer Berufsgruppe einen Entscheid, indem es Verwarnungen, Verweise oder den Ausschluss aus dem Verein verhängt. Damit handelt es im Sinn der SIA-Mitglieder, indem es ihre berufliche Ehre und ihr Ansehen wahrt.

Jacques Aeschimann, Präsident der Standeskommission der Berufsgruppe Architektur (BGA), ermuntert die Anwesenden, bei ­Verstössen gegen die ethischen Regelungen des SIA Standesklagen bei der Standeskommission zu erheben. Denn es sei wie bei der staatlichen Gewaltenteilung: Stabilität und Prosperität kann nur dann gedeihen, wenn sich alle an die Verfassung halten und auf ein unabhängiges Gericht zählen können.

Problemfeld Wettbewerbe

Insbesondere das Wettbewerbswesen führt immer wieder zu ethischen Problemen. Während Gross­unternehmen Wettbewerbe meist korrekt durchführen, sind kleine, regionale oder lokale Wettbewerbe oft problematisch.

Aus der Tagungsdiskussion geht hervor: Eine Schlüsselrolle kommt hier den Fachjuroren zu – sie halten die SIA 142 oft nicht ein, indem sie Wettbewerbe jurieren, die gegen diese verstossen. Gerade aber Juroren tragen die Verantwortung für die standeskonforme Durchführung eines Wettbewerbs. Warum werden inkonforme Vorgehensweisen überhaupt geduldet? Warum greift die Standesordnung hier nicht? Aufgrund von Unkenntnis  – oder erhofft man sich als Juror ­individuellen Nutzen aus standesinkonformem Verhalten?

In der Praxis stehen Juroren oft unter Zeitdruck, sind unterbezahlt und mangelhaft informiert − und geben unter diesem Druck ihr Einverständnis zu fachinkonformem Vorgehen. Sie sollten bei inkonformen Wettbewerbe jedoch konsequent die Unterschrift verweigern oder besser gar nicht erst Einsitz in der Jury nehmen.

Unsensibles Vorgehen

Ein Beispiel für inkonformes Vorgehen kann am Urheberrecht auf­gezeigt werden: Wird in einem Wettbewerb gefordert, dass die Urheberrechte abgetreten werden, oder wird in einem Projekt der Architekt ausgewechselt und dessen Idee von jemand anderem ausgeführt – spätestens dann sind ethische Fragen berührt. Doch auch hier fallen SIA-Mitglieder immer wieder durch unsensible Vorgehensweisen auf.

Ein weiteres Ethikproblem sind die Honorare. Der SIA sensi­bilisierte mit der «Charta faire ­Honorare» Mitglieder dafür, beim Auftraggeber für angemessene Honorare einzustehen. Aber zu tiefe Honorare sind nach wie vor ein ernstes Problem. Wie soll man dem begegnen? Davon ausgehen, dass der freie Markt es schon richten wird? Muss sich der Planer mit tiefen ­Löhnen abfinden, weil die Globa­lisierung auch vor der Schweizer Planungsbranche nicht haltmacht? Verzicht auf Schweizer Qualität ­zugunsten billiger Auftragsver­gabe ins Ausland? Oder gibt es ­Möglichkeiten, dem Sinkflug der Planerlöhne Einhalt zu gebieten, ohne den freien Wettbewerb der Wirtschaft zu tangieren?

Die Planer, so der Tenor an der Veranstaltung, sollten sich konsequent nur zu ihrem Wert verkaufen. Einige Teilnehmer der Tagung tun dies bereits konsequent und mit Erfolg. Folgt der Berufsstand diesem Beispiel, sendet das klare Signale an die Auftraggeber. Oft ist es also nicht unbedingt der Bauherr, der die Preise drückt, sondern es sind die Planer, die eifrig ihre Auftragsbücher füllen wollen und sich gegenseitig unterbieten.

Architekten beobachten zudem, dass viele ihrer Kollegen ihre spezifischen Kompetenz zu wenig kommunizieren. Wie beim Urheberrecht ist es auch hinsichtlich der Honorare wichtig, dem Kunden genau zu erklären, worin die eigene Leistung besteht. Geschieht dies plausibel und transparent, ist der Kunde meist bereit, den Preis dafür zu bezahlen.

Wie hältst du’s mit der Ethik?

Warum aber gibt es immer wieder Situationen, in denen sich SIA-Mitglieder nach ethischen Gesichtspunkten nicht standeskonform verhalten? Vielleicht muss die Frage anders gestellt werden: Warum soll sich der Einzelne standeskonform verhalten, wenn er grösseren Nutzen daraus zieht, nicht standeskonform zu handeln?

Ein rein nutzenorientiertes Argument, das die Ethik zum Mittel macht, wäre: Mit der Befolgung der Regeln einer ethisch beispielhaften Berufsausübung wahrt das einzelne Mitglied für seinen Berufsstand das Ansehen, den Ruf, die Vertrauenswürdigkeit. Langfristig wirkt sich das günstig auf die Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern und damit auch auf finanzielle Aspekte aus. Oder aber die Motivation ist intrinsischer Natur, entspricht einer inneren Haltung – und hier kommen wir dem moralischen Handeln näher. Der Präsident der Schweizerischen Standeskommission, Jacques Richter, drückte es so aus: «Es ist wichtig, sich am Ende des Tages im Spiegel in die Augen schauen und ruhig schlafen zu können.»
 

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