Vil­la Tu­gend­hat re­stau­riert

Ludwig Mies van der Rohes Villa Tugendhat in Brünn ist zwei Jahre lang restauriert worden. Seit 6. März 2012 ist sie wieder für das Publikum offen. Die Geschichte der Instandstellung mutet streckenweise ebenso abenteuerlich an wie jene der Villa selbst.

Publikationsdatum
05-03-2012
Revision
01-09-2015

Bis zum Zweiten Weltkrieg war Brünn im heutigen Tschechien eines der lebendigsten Zentren des damaligen, multikulturellen Osteuropa. Die Koexistenz von tschechischen, deutschen und jüdischen Gemeinschaften führte zu einem äusserst regen Kulturleben. Aus der Zwischenkriegszeit verfügt die Stadt unter anderem über ein beeindruckendes Erbe an modernen Bauten – die heute, nach Jahrzehnte langer Vernachlässigung durch die sozialistischen Machthaber, der Erneuerungswut von Investoren und der Gleichgültigkeit der Stadtverwaltung zum Opfer fallen. Zumindest dem berühmtesten Gebäude Brünns, der Villa Tugendhat, bleibt dieses Schicksal erspart. Das Gebäude wurde 1995 zum Nationalen Kulturdenkmal erklärt und gehört seit 2001 zum UNESCO-Welterbe. Entsprechend aufwendig war ihre Restaurierung, die sowohl die Villa als auch den dazu gehörenden Garten umfasste. Insgesamt kann das Unterfangen auch als gelungen bezeichnet werden. Dennoch erstaunt, dass der Auftrag für die Rettung des funktionalistischen Kunstwerks nicht an ein Architekturbüro ging, das sich auf die frühe moderne Architektur spezialisiert hat. Der beste Kenner des Gebäudes, der sich seit Jahrzehnten für deren Rettung eingesetzt hat, aber als politischer Querulant gilt, wurde aufgrund eines Formfehlers aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschlossen. Der Hauptauftrag ging an eine Firma, die sich neben guten Beziehungen zu den Behörden bisher vor allem mit der Instandsetzung von barocken Schlössern hervorgetan hat. Auf eine Sichtung der originalen Detailpläne, die in grosser Zahl im Mies-Archiv im Museum of Modern Art in New York lagern, haben die Architekten denn auch verzichtet. Andere kompetente Fachleute wurden zwar beigezogen, doch nur für eng umrissene Bereiche wie die Möblierung oder die Gestaltung der neuen Ausstellung im Keller. Es gibt Anzeichen dafür, dass das gute Ergebnis nicht zuletzt ihrem informell eingebrachten Wissen sowie der Aufsicht eines mit namhaften Experten besetzten Aufsichtskomitees zu verdanken ist.

Villa, Büro, Stall und Spital

Dass von der Villa nach über 80 bewegten Jahren noch so viel übrig war, grenzt an ein Wunder. Ludwig Mies van der Rohe hatte das Haus für das jüdische Industriellen-Ehepaar Fritz und Grete Tugendhat 1929-1930 erbaut, fast zeitgleich mit dem Barcelona-Pavillon. Die Komposition von fliessenden Räumen, die Gegenüberstellung von tragenden Stahlstützen und trennenden Wänden aus kostbaren Materialien wie Onyx und Makassar-Ebenholz oder die versenkbaren Fenster zum Park waren für die damalige Zeit geradezu revolutionär – im Gegensatz zum Raumprogramm, das gutbürgerliche Wohnvorstellungen widerspiegelt. Bewohnt wurde die Villa allerdings nicht lange. Nach der Annektion des Sudetenlandes durch das Deutsche Reich 1938 musste die Familie Tugendhat vor den Nazis flüchten. 1939 wurde das Haus für die Gestapo beschlagnahmt. Nach Einmarsch der Roten Armee diente der Bau deren Kavalleristen als Pferdestall. 1950-1979 nutzten ihn die tschechoslowakischen Behörden für die orthopädische Abteilung des benachbarten Kinderspitals, das Wohnzimmer mutierte zur Turnhalle. 1980 ging die Villa in den Besitz der Stadt Brünn über. In den 1980er-Jahren wurde der Bau für Repräsentationszwecke eingesetzt. Bei der damaligen «denkmalpflegerischen Wiederherstellung» hat man trotz hehrer Absichten weitere Originalteile zerstört – unter anderem wurde das letzte noch erhaltene Fenster der Gartenfront ersetzt, das die Explosion einer Bombe im Krieg nur deswegen überstanden hatte, weil es gerade versenkt war. Fast alle Holzeinbauten wurden «erneuert». Anderes wurde mehr schlecht als recht rekonstruiert, etwa die verloren geglaubte Makassar-Wand: Weil das Regime nicht über den Willen oder die Mittel verfügte, das richtige Furnier zu beschaffen, erhielt die Wand ein dominantes Vertikalmuster und einen horizontalen Saum, die ihre Wirkung ruinierten.

Sorgfalt und Detektivarbeit

Trotz dieser Zerstörungen, Umnutzungen und Transformationen ist sehr viel Originalsubstanz erhalten geblieben. Die Lüftung im Keller ist weiterhin funktionstüchtig; rund 80% der Wandoberflächen sind im Original vorhanden und können in «archäologischen Fenstern» – zum Beispiel im Verputz der Fassade – begutachtet werden. Neue Elemente, die Verlorenes ersetzen, wurden mit den ursprünglichen Materialien nachgebaut: Der neu verlegte Linoleum wurde eigens nach der historischen Rezeptur hergestellt, die Schreinerarbeiten sind perfekt. Eine Sensation stellt die gewölbte Makassar-Wand im Essbreich dar. Während zwei Generationen galt sie als verloren, bis ein Kunsthistoriker sie auf eigene Faust aufspürte: Das Tagebuch eines deutschen Soldaten, das er in einem Antiquariat erstanden hatte, erwähnte eine Holzwand, die die Gestapo aus einer Villa in ihr neues Hauptquartier – heute eine Universitätsmensa – transferiert hatte. Tatsächlich fand er das wertvolle Edelholz, das dort seit zwei Generationen und von Tausenden von Studierenden unbeachtet als Brusttäfer diente. Die Teile wurden kaum sichtbar zusammengefügt und wo nötig ergänzt. Dank den sorgfältig ausgewählten Materialien und der äusserst hohen handwerklichen Qualität der Ausführung sind alt und neu nur für den geübten Blick zu unterscheiden. Nur wenige Misstöne sind zu vernehmen – im Schlafzimmer etwa feine Risse im Stucco, der aus Rücksicht auf die Proportionen der Fussleiste zu dünn aufgetragen werden musste, plumpe Vorhänge und Teppiche oder ein eckiges statt rundes Element im Abflussrohr an der Strassenfassade. Doch in der Gesamtwirkung ist die Villa wieder als das erlebbar, was sie einmal war – ein bis ins letzte Detail perfekt durchdachter, in seiner Wirkung umwerfender Bau.

Anmerkungen

  • Ausführliche Informationen zu den verschiedenen Eingriffen, Bilddokumentation der Baustelle, Reservation Besuchstermine: www.tugendhat.eu.

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
Stadt Brünn


Architektur
Omnia projekt, Brünn, dipl. Ing.
Vítek Tichý, dipl. Arch.
Marek Tichý; Archteam, Prag, Ph.D. Ing. Arch.
Milan Rak


Ausstellung
Atelier RAW, Brünn, Ing. Arch.
TomᚠRusín, Ing. Arch.
Ivan Wahla


Möbel
A.M.O.S. Design, Brünn, Ing. Arch.
Vladimír Ambroz

Zahlen und Fakten

 
Adresse
Cernopolní 45/237, Brno, 61300


Bauzeit
2009-2011


Kosten
7'080'000 Euro (85% EU, 15% Kulturministerium der Tschechischen Republik). Dies ist rund viermal mehr, als die Restauration der Villa Müller in Prag gekostet hat.

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