Ur­ba­ne In­sze­nie­rung

Im nordwestlichen Zipfel des Campus der EPFL wurden im September 2013 eine Einkaufspassage und Wohnungen für Studierende eingeweiht. Die Eröffnung des Swiss Tech Convention Center ist für April 2014 geplant. Diese Projekte des Lausanner Architekturbüros Richter · Dahl Rocha & Associés bringen neue Nutzungen auf den Campus. Christophe Catsaros, Chefredaktor der Baufachzeitschrift Tracés, beschreibt, wie die neuen Gebäude das ehemals streng monofunktionale Hochschulgelände verändern und welchen Nutzen das der Agglomeration im Lausanner Westen bringt.

Publikationsdatum
28-11-2013
Revision
30-10-2015

Auf dem Campus der EPFL, an der gleichnamigen Haltestelle der Metro M1 zwischen Lausanne und Ecublens, entsteht ein neues Quartier mit fast 50.000m2 Nutzfläche. Es beinhaltet ein Kongresszentrum mit einem grossen Saal für 3000 Personen, Wohnungen für 516 Studierende und einen offenen Platz, der von Ladenlokalen und Geschäften gesäumt ist. Das Ensemble orientiert sich am städtischen Massstab und soll Urbanität in das abgelegene Gebiet bringen.

Der Entwurf verwebt die Entwicklung des Universitätsgebiets mit den Plänen für Lausanne West, nach denen die Agglomeration in diesem Bereich städtischer werden soll. Das bedeutet, dass sich der Campus in einer Weise entwickeln wird, die zwar vom ursprünglichen Campus-Masterplan abweicht, nicht aber mit dessen Raison d’Être bricht.

Der Campus soll zu einem Stadtquartier werden, aus dem das Leben nicht mit dem Ende der letzten Vorlesungen verschwindet. Dazu wird die Trennung der Funktionen aufgehoben und der Dialog mit der Umgebung gesucht: Der Campus wird in Zukunft auch den Menschen in seiner Umgebung dienen, statt den Studierenden vorbehalten zu sein. Eingeläutet wurde dieser Wandel bereits 2010 mit dem Bau von ersten Wohnungen für Studierende und einem Hotel, die hinter der Kantonsstrasse im Süden liegen.

Angereichert mit einem städtischen Programm weist das Swiss Tech Convention Center ebenfalls in diese Richtung: Die Studentenwohnungen sind um einen Platz versammelt, der von Ladenlokalen gesäumt ist. Das Projekt von Richter · Dahl Rocha öffnet den Campus – und zwar weit mehr als das Learning Center von Saana. Durchaus zu Recht darf man hoffen, dass die Grenzen zwischen Campus und Agglomeration in zwanzig Jahren komplett verschwunden sein werden. 

Symbolisches Tor zum Campus

Dieses «Stadt-sein-Wollen» bildet aber nur eine der beiden konzeptionellen Stossrichtungen im Projekt. Die zweite beschäftigt sich mit einer anderen Abgrenzung, die ebenso brisant ist: das Verhältnis der Stadt zu ihrem Umland. Die Metro verdeutlicht den Übergang von einem Territorium ins nächste. Von Renens kommend macht die M1 zunächst einen Schwenk nach links und biegt dann in den Campus ein. Sie verlässt die Avenue du Tir Fédéral (eine Achse ohne besondere Eigenschaften), um in einen dicht bebauten Raum mit unverwechselbarer Identität einzufahren. Das Convention Center mit seinem auskragenden Vordach steigert den Eindruck dieses Übergangs von der Leere in die Dichte.

Im Verhältnis zur Landschaft sucht das Kongresszentrum eine klare Bruchlinie und nicht die Durchlässigkeit, die es zum Campus hin bietet. Die symbolische Grenze zwischen dem hybriden, dispersen Milieu und dem sich städtisch gebärdenden Ensemble soll klar und schneidend sein. An der Haltestelle EPFL betritt der Nutzer die Universitätsstadt und landet im Herzen eines urbanen Archetypen: eine von Geschäften gesäumte Piazza. Die Haltestelle öffnet sich zum Platz hin und inszeniert dieses neue Stadtgefühl im Campus.

Die M1 wird von den neuen Gebäuden buchstäblich in die Mangel genommen. Der Schienenstrang durchkreuzt zunächst die Peripherie von Lausanne, um plötzlich als Achse eines Hyperzentrums zu erscheinen. Diese Dramaturgie hat einen doppelten Effekt: Die Metro bietet ihren Fahrgästen ein städtisches Spektakel und stärkt gleichzeitig den städtischen Charakter des Campus. Dank dieser Kombination gelingt es schliesslich, einen Moment der Dichte herzustellen. Das Kongresszentrum bildet nicht nur die Eingangspforte zum Campus, sondern die eines ganzen Stadtteils.

Das Gebäude zieht zwei Register zugleich, um zwei gegensätzliche Effekte zu erzeugen. Es erhöht die Durchlässigkeit zwischen Stadt und Campus – und verhindert im selben Moment jene Form von Durchlässigkeit, die wir Zersiedelung nennen. Am Rand des Campus gelegen, ist es schon von Weitem als Zeichen in der Landschaft sichtbar. Das kompakte Volumen des Hauptgebäudes geht ein Spiel mit den verbliebenen Weiden ein, die ihm gegenüberliegen. Fast könnte man glauben, das Kongresszentrum sei extra entworfen worden, um den Kontrast zwischen den ruhevollen Feldern und dem dichten und belebten Wesen des neuen Quartiers zu unterstreichen.

Meisterstück in einer Kollektion von Architekturen

Das Hauptgebäude ist ein Abbild der verschiedenen Säle, die es beherbergt; seine Form nimmt deren Geometrien auf. Die modularen Sitzreihen können über einen Mechanismus angehoben, gedreht und im Boden versenkt werden: Das abgetreppte Auditorium für 3000 Zuhörer verwandelt sich in einen ebenen Festsaal für 1200 Personen. Die Galerien lassen sich als kleine Säle nutzen. Auf der verglasten Westfassade kommen zum ersten Mal auf einer grossen Fläche Graetzel-Photovoltaikzellen zum Einsatz.

Trotz grosser formaler Unterschiede treten das Hauptgebäude und die angrenzenden Wohnungen für Studierende über ihr Fassadenmaterial in einen Dialog. Man findet die gleichen Farbtöne auf den geneigten Aussenwänden des Zentrums wie auf den rechteckigen Fassaden des Wohnheims. Diese gestalterische Kohärenz wird der zukünftigen Entwicklung der EPFL wohl fehlen: Die drei grossen Baustellen (Richter Dahl Rocha, Dominique Perrault und Kengo Kuma) werden den Campus ohne Bezug zueinander in den kommenden Jahren radikal transformieren.

Diese formale Eigenständigkeit der Projekte lässt sich wiederum mit der Suche nach Urbanität erklären. Die drei Projekte unterstreichen die stilistische Pluralität des Campus. Offensichtlich sollen auf dem Universitätsgelände verschiedene Sprachen miteinander in einen Dialog treten. Von modern bis radikal funktionell setzt der Campus auf seine Polyphonie. Darin sollen sich die Attribute seines «Stadt-sein-Wollens» spiegeln. Dank der Qualität der einzelnen Projekte wird dieses Ansinnen auf formaler Ebene wohl ein Erfolg werden.

Dieser Pluralismus muss sich nun in die DNA des Campus einschreiben, in seinen Modus Operandi. Sich lediglich mit urbanen Versatzstücken zu begnügen wird nicht reichen. Um einen echten Wandel einzuläuten, muss sich der Campus öffnen: gegenüber allen Beteiligten – denjenigen aus der Kultur ebenso wie den Partnern aus der Wirtschaft, selbst wenn diese nicht zwingend direkt mit dem Hochschulbetrieb verbunden sind. Auch wenn das Kongresszentrum und seine Umgebung in diese Richtung weisen, steht dieser tief greifende Strategiewechsel nicht auf der Tagesordnung. Das «Stadt-sein-Wollen» des Campus ist noch kein echter Kurswechsel – er bleibt vorläufig ein rhetorisches Element in der generellen Entwicklung des Universitätsgeländes.

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