Der klei­ne, aber wich­ti­ge Un­ter­schied zwi­schen Über­stun­den und Über­zeit

Der SIA-Einzelarbeitsvertrag

Regelmässig auf grösstes Interesse bei der Einzelarbeitsvertragsgestaltung stösst die Überstunden- bzw. Überzeitproblematik. Deshalb werden im Folgenden die entsprechenden Grundsätze bzw. Unterschiede durchleuchtet.

Publikationsdatum
07-09-2017
Revision
07-09-2017

Der überarbeitete SIA-Einzelarbeitsvertrag enthält in Ziffer 11 Vorschläge zur Überstunden- bzw. Überzeitkompensation. Aufmerksame Leserinnen und Leser haben sich an meinen Beitrag in TEC21 13/2014 erinnert, in dem ausgeführt wurde, dass durch schriftliche Abrede sowohl die Kompensation von Überstunden durch Freizeit als auch deren Entschädigung samt dem gesetzlich vorgesehenen Zuschlag von 25 % wegbedungen werden kann. Der SIA-Einzelvertrag sieht jedoch keine solche Lösung vor. Daher sei darauf hingewiesen, dass der Vertrag als Anregung für die Vertragsgestaltung gedacht ist. Zum Teil sind daher auch andere Lö­sungen denkbar als im Vertrag vorgeschlagen. In den Erläuterungen steht unter dem Titel «Einführung» ebenfalls der Hinweis, dass das ­Vertragsformular SIA 1031 nur ein Muster ist. Es handelt sich gewissermassen um eine vorgedruckte «Vertragsschablone», die den Vertragsabschluss rationalisieren und erleichtern soll.

Der Knackpunkt: Über­stunden versus Überzeit

Überstunden wie Überzeit können unter den gemeinsamen Begriff «Mehrzeit» eingeordnet werden. Beiden ist gemein, dass deren Leistung dringend notwendig ist. Ausserdem müssen diese «Mehrstunden» dem Arbeitnehmer zumutbar sein. Un­zulässig bzw. unzumutbar ist z. B. eine Anordnung des Arbeitgebers, während vier bis sechs Wochen täglich zwei Stunden Überzeit zu leisten, oder wenn eine zeitliche Verhinderung des Arbeitnehmers schon länger bekannt war (z. B. regelmässiger Besuch eines Abendkurses). Gemäss Art. 36 Abs. 2 ArG dürfen Arbeit­nehmer mit Familienpflichten nur mit ihrem Einverständnis zu Überzeitarbeit herangezogen werden.

Überstunden sind Mehr­stun­den gegenüber dem vertraglich vereinbarten oder durch den Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag be­stimmten zeitlichen Umfang der Arbeit (Art. 321c Abs. 1 OR). Dagegen definiert sich Überzeit als Überschreitung der Höchstarbeitszeit, gemäss Arbeitsgesetz (ArG). Zu beachten ist, dass die Überzeit immer auch Überstunden sind, denn sie übersteigen zwangsläufig den vertraglich vereinbarten zeitlichen Arbeitsumfang. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Überstunden und Überzeit in Bezug auf die Frage der Kompensation bzw. Entschädigung: Soweit Überstunden nicht gleichzeitig Überzeit darstellen, sind die gesetzlichen Vorschriften betreffend Kompensation bzw. Entschädigung durch die Parteien zu Ungunsten der Arbeitnehmer ab­änderbar. Sobald sie gleichzeitig Überzeit darstellen, sind die entsprechenden Regelungen des Arbeits­­gesetzes zwingend.

Wer arbeitet wie viel?

Gemäss Art. 9 ArG beträgt die wö­ch­entliche Höchstarbeitszeit 45 Stunden für industrielle Betriebe, Büropersonal, technische sowie andere Angestellte (Bürotätigkeiten oder büroähnliche Berufe) und Ver­kaufs­personal in Grossbetrieben; für Arbeitnehmende in nicht in­dustriellen Betrieben (Gewerbe/vorwiegend handwerklich oder manuell Beschäftigte) 50 Stunden. Für angestellte Architekten beträgt also die wöchentliche Höchstarbeitszeit gemäss Gesetz 45 Stunden. Arbeitet eine angestellte Architektin bei einer vereinbarten Arbeitszeit von 42 Stunden/Woche in einer Woche ­(notwendigerweise) 47 Stunden, erbringt sie drei Überstunden und zwei Stunden Überzeit.

Kompensation oder ­Entschädigung von ­Überstunden

Gemäss Obligationenrecht kann der Arbeitgeber die Überstundenarbeit im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer durch Freizeit gleicher Dauer ausgleichen (Art. 321c Abs. 2 OR) – innert eines angemessenen Zeitraums. Wird die Überstundenarbeit nicht durch Freizeit ausgeglichen und ist nichts anderes schriftlich verabredet oder durch den Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt, so hat der Arbeitgeber für die Überstundenarbeit Lohn zu entrichten. Dieser bemisst sich nach dem Normallohn samt einem Zuschlag von mindestens einem Viertel (Art. 321c Abs. 3 OR). Bei diesen Bestimmungen handelt es sich um dis­positive Normen. Sie gelten, wenn im Arbeitsvertrag nichts anderes – schriftlich – vereinbart wurde. Durch schriftliche Abrede können die Vertragsparteien entweder ­jegliche zusätzliche Zahlung für Überstunden oder auch nur den ­Zuschlag von 25 % ausschliessen. Wenn – schriftlich – vereinbart wird, dass die Überstunden im Lohn inbegriffen sind, bedeutet das, dass die Kompensation der Überstunden durch Freizeit wegbedungen wird.

Erst recht kann deshalb im schriftlichen Arbeitsvertrag auch die Zustimmungserfordernis des Arbeitnehmers zur Kompensation der Überstunden wegbedungen werden. Im SIA-Einzelarbeitsvertrag (Mustervertrag) stehen jedoch lediglich die Möglichkeit der Kompensation durch Freizeit ohne Zustimmung des Arbeitnehmers und die Möglichkeit, die Überstunden ohne Zuschlag zu entschädigen, zur Auswahl. Aber das gilt immer noch nur für den Fall, dass die Überstunden dringend notwendig und für den Arbeitnehmer zumutbar sind. Gelegentlich findet sich in Arbeitsverträgen die Klausel, dass Überstunden nur bei ausdrücklicher Anordnung geleistet werden dürfen. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind die nicht angeordneten, jedoch vom Arbeitgeber stillschweigend akzeptierten Überstunden den ausdrücklich angeordneten gleichzusetzen. Dementsprechend sind sie zu kompensieren oder zu entschädigen, soweit die Überstundenkompensation bzw. Überstundenentschädigung nicht wegbedungen wurde.

Kompensation oder Entschädigung von Überzeit

Im Gegensatz zur Regelung der Überstunden im OR ist die Entschädigung bzw. Kompensation der Überzeit im Arbeitsgesetz geregelt – und somit zwingender Natur. Sie besagt, dass der Arbeitgeber den Arbeit­nehmern einen Lohnzuschlag von mindestens 25 % auszurichten hat – denjenigen Arbeitnehmerkategorien, deren wöchentliche Höchstarbeitszeit 45 Stunden beträgt, jedoch nur für Überzeit, die 60 Stunden im Kalenderjahr übersteigt (Art. 13 Abs. 1 ArG). Kurz gesagt werden in diesem Fall die ersten 60 Stunden Überzeit wie Überstunden behandelt. Wurde im Arbeitsvertrag schriftlich vereinbart, dass Überstunden nicht zu entschädigen seien, so ist für die ersten 60 Stunden Überzeit nicht nur der Zuschlag, sondern auch der Basislohn nicht geschuldet. Ist dagegen im Arbeitsvertrag die gesetzliche Regelung der Überstundenentschädigung nicht wegbedungen worden, so hat der Arbeitnehmer auch für die ersten 60 Stunden Überzeit Anspruch auf den Grundlohn samt dem Zuschlag von 25 %.

Ab der 61. Stunde ist dagegen Überzeit immer entweder durch Kompensation mit Freizeit von gleicher Dauer oder mit dem Grundlohn samt einem Zuschlag von 25 % zu entschädigen (auch wenn im Arbeitsvertrag mit Bezug auf die Überstundenkompensation bzw. -entschädigung etwas anderes vereinbart wurde).

Fortsetzung folgt

Gerichtliche Auseinandersetzungen wegen Überstunden/Überzeit sind häufig. Oft spielt in derartigen Verfahren die vom Arbeitsgesetz dem Arbeitgeber vorgeschriebene Arbeitszeitkontrolle eine wichtige ­Rolle. Auf deren Problematik und Wichtigkeit wird im nächsten Artikel eingegangen.
 

Verwandte Beiträge