Tor­wäch­ter der Bau­kul­tur

Baukulturdialog Österreich–Schweiz

Ein zweitägiger österreichisch-schweizerischer Dialoganlass wies viele Wege zur Baukultur, liess aber auch Fragen offen. Eine studentische Anamnese nach Wiener Art.

Publikationsdatum
04-12-2015
Revision
04-12-2015

Die mit unserer gebauten und noch zu bauenden Umwelt verbundenen Prozesse unterliegen stetiger Transformation. Mit ihnen wandeln sich unser Verständnis für die Art und Weise zu bauen und auch unsere Erwartungen an das Produkt, die Architektur. 

Der SIA hat sich mit dem Symposium in Wien zum Ziel gesetzt, Erfolg versprechende und notwendige Wege zur Baukultur aufzuzeigen. Eine Aufgabe, die denkbar viele Interpretationsmöglichkeiten zulässt. Die grosse Zahl an geladenen Experten mit je eigenen Sichtweisen und Erfahrungen zum Thema trug der Komplexität des Themas Rechnung und machte die unterschiedlichen Zugänge aus diversen Entscheidungsebenen der Bauproduktion sichtbar: von Initiativen, Baukultur tiefer in die politischen Strukturen einzubetten, über die Architekturvermittlung gegenüber Laien bis hin zu Wettbewerbswesen und Stadtmarketing.

Die unterschiedlichen Inhalte der Vorträge hatten letztlich einen gemeinsamen Nenner: die Auseinandersetzung mit der gebauten Umwelt und die Implementierung von jeweils subjektiv definierter Qualität.

Baukulturverständnis zu vage?

Im Lauf dieser zwei Tage wurden Informationen ausgetauscht, Berufe präsentiert sowie das Wort Baukultur stark strapaziert. Keiner der Referenten liess sich allerdings auf die schwierige Aufgabe einer persönlichen Annäherung an die Essenz des so anpassungsfähigen Begriffs ein.

Auch bei der abschliessenden, männerdominierten Podiumsdiskussion wurde das Thema Baukultur in seiner Begrifflichkeit nicht wirklich thematisiert. Vielmehr wurde klar, dass ein gemeinsames Grundverständnis zu der Frage «Was bedeutet Baukultur für mich?» an beiden Veranstaltungstagen seitens der Ini­tiatoren vorausgesetzt oder zumindest vermutet wurde. 

Eine diskursive Annäherung an die Materie im Vorfeld hätte geholfen, zu verstehen, worüber hier gesprochen werden soll; nicht klar beantwortet wurde zudem die Frage, ob es gemeinsame Ziele gibt, die kulturell-qualitativer und nicht politischer Natur sind, und ob der Dialog der Länder mehr leisten will als einen reinen Systemvergleich.

Das gewählte Format des Vortragssymposiums, bei der die Zuhörerschaft einer zentralen Person folgt, verstärkte den Eindruck, wir Architekten seien für den Schutz unseres geistigen Kinds verantwortlich und damit sozusagen Torwächter der Baukultur, die entscheiden, wer mitreden darf und wer mit ­Kultur im baubaren Sinn nichts zu tun hat. 

Stränge laufen bei Architekten zusammen 

Schon während unserer Ausbildung sind Interdisziplinarität und Vermittlungsarbeit Teile des Curriculums, sie bilden Stränge, die beim Architekten zusammenlaufen. Genau diese Gesamtheit des Themas war wichtiger inhaltlicher Bestandteil des Symposiums, allerdings nur aus Sicht einer homogenen Gruppe. Wo doch sowohl der SIA als auch der ÖIAV die Berufsgruppe der Ingenieure repräsentieren.

Genauso wie die TU Wien als Aus- und Bildungsstätte so vieler an der Produktion unserer gebauten Umwelt beteiligter Berufsgruppen das Potenzial und vielleicht sogar die Pflicht hätte, unter dem Schirm des vielseitigen Begriffs Baukultur interdisziplinäre Diskussion noch mehr als bisher zu fördern.

Das Symposium hat uns gefordert und herausgefordert. Es hat uns gezwungen, über den Begriff Baukultur zu diskutieren, eine eigene Begriffsannäherung zu versuchen und aus unserer vielleicht noch unbedarften, etwas idealistisch- studentischen Sichtweise zu formulieren: Wir möchten integrative und nicht selektive Bestandteile einer Baukultur sein. Das allein ist ein sehr zufriedenstellendes Privat­resümee aus der reflexiven Auseinandersetzung mit diesem so umfassenden Thema.


Weitere Informationen

Die SIA-Auszeichnung «Umsicht – Regards – Sguardi» bildete den Ausgangspunkt für den Anlass. Er bot neben dem intensiven Erfahrungs- und Informationsaustausch auch die Gelegenheit, wertvolle Netzwerkkontakte zu knüpfen. Die im Jahr 2013 prämierten Umsicht-Projekte wurden in Wien zum letzten Mal präsentiert, nun wird die Ausstellung aufgelöst. Derweil laufen schon die ersten Vorbereitungen für die nächste Umsicht-Auszeichnung, die im Frühjahr 2017 vergeben wird.

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