Surf­ba­re Wech­sel­sprün­ge

Zu den Spielplätzen von Surfern und Kajakfahrern gehören auch stehende Flusswellen. In der Natur kommen sie zwar selten vor, sie lassen sich aber künstlich erzeugen.

Publikationsdatum
31-12-2014
Revision
05-10-2015

Wasser zu nutzen war schon immer ein menschliches Interesse. Die nötigen Infrastrukturen dafür herzustellen ist eine klassische Fachdisziplin der Bauingenieure. Relativ neu ist die Frage, wie eine surfbare Welle für Wassersportler aussieht.

Die Antwort klingt einfach: Die perfekte Welle läuft 24/7, ist leicht zugänglich, sicher, möglichst steil und hoch und vor allem breit. Im Gegensatz zu gängigen Ingenieurdisziplinen findet man in der Literatur hierzu noch keine Bemessungsgrundlagen. Es gibt lediglich einige Anhaltspunkte – die aber nicht unbedingt erfolgversprechend sein müssen, da die ­Natur weitgehend unberechenbar bleibt.

Betrachtet man das Thema von der wasserbaulichen und hydraulischen Lehre her, kommt man zunächst einmal auf einen Wechselsprung. Dessen Eigenschaft ist allerdings in erster Linie, höchst effizient Energie umzuwandeln, und nicht, für Sportler surfbar zu sein. Die klassische Aufgabe eines Wasserbauingenieurs ist es, das Tosbecken nach einem Querbauwerk so zu dimensionieren, dass auch bei wechselnden Randbedingungen eine gute Energieumwandlung (d. h. eine kräftige, ortsfeste Walze) nah am Bauwerk stattfindet.1 

Aber auch hinter einem Querbauwerk kann eine ste­hende Welle entstehen. Wassertiefe, Fliessgeschwindigkeit und Höhe der Stufe bzw. der Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasser bestimmen Form und Höhe der Welle, die sich in Fliessrichtung bildet. Im Gegensatz zum klassischen Wechselsprung wird bei einer solchen sogenannten «grünen Welle» weniger Energie umgewandelt.2

Dr. Helge Fuchs (ETH Zürich, Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie) erklärt: «Eine Welle ist genau genommen kein Massentransport, sondern ein Energietransport. Zwei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um surfen zu können: Einerseits wird die geneigte Wasseroberfläche gebraucht, die durch die Wellenform unter dem Surfer entsteht, sodass er immer nach unten gleitet. Andererseits braucht man Wasser, das entgegen der eigenen Bewegungsrichtung fliesst, damit sich für den Surfer eine Art Gleichgewichtszustand einstellt.»

Dieses Wasserspiegelprofil ergibt sich bei Wechselsprüngen, die sich in unterschiedlicher Art und Weise ausbilden können (vgl. pdf), wenn ein schiessender Abfluss, der sich aus einer kleinen Zuflusswassertiefe kombiniert mit einer hohen Fliessgeschwindigkeit ergibt, auf einen strömenden Abfluss mit einer höheren Wassertiefe und einer langsameren Geschwindigkeit trifft – oder kurz: wenn eine Strömung mit hoher Geschwindigkeit gebremst wird.

Diese Konfiguration hängt sehr stark vom Unterwasserspiegel ab. Übertragen auf die surfbare Welle heisst das: Wenn der Unterwasserspiegel schwankt, verändert sich die Wellenform. 

Einfluss der Froude-Zahl 

Dr. Peter Rutschmann, Leiter des Lehrstuhls für Wasserbau und Wasserwirtschaft der Technischen Universität München und Mitplaner der Rodeo-Welle in Graz4, erläutert, warum zur Berechnung einer stehenden Welle die Froude-Zahl wichtig ist. Sie wird aus dem Verhältnis von Strömungsgeschwindigkeit und Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Störung in flachem Wasser gebildet: Fr=v/ gh.

«Die Froude-Zahl im Zulauf der Welle sollte mindestens 1.7 sein. Im Bereich von 1.7 bis 4.5 ergibt sich wohl die beste Welle. Ab 4.5 beginnt der Übergang in den klassischen Wechselsprung mit ausgeprägter Deckwalze. Hier können Kajaker noch spielen, die Surfer eher nicht mehr», erklärt Rutschmann (vgl. «Sicher in der Töss»).

Wenn sich in einem Fluss eine Welle ausbildet, so nehmen in der Regel die Froude-Zahlen mit steigendem Abfluss ab. Bei kleineren Abflüssen entsteht somit ein schwer fahrbarer, klassischer Wechselsprung; mit steigendem Abfluss kommt man in den optimalen Bereich, steigt der Abfluss weiter, fällt die Welle in sich zusammen. Eine gute Welle für alle Nutzer zu kreieren ist sehr schwierig, es sei denn, es herrschen immer konstante Bedingungen oder es gibt eine Möglichkeit, die relevanten Parameter zu regulieren. 

Die Froude-Zahl ist keine konstante Grösse über den Querschnitt, sondern ändert sich in einem natür­lichen Abflussquerschnitt über die Breite gesehen und nimmt auch bei morphologischen Veränderungen unterschiedliche Werte an. Durch eine Variation der Geometrie über den Querschnitt steigt die Wahrscheinlichkeit, dass an einer Stelle eine schöne Welle entsteht.

Um das zu erreichen, muss man allerdings komplexere Untersuchungen an einem physikalischen oder numerischen Modell durchführen. «Bisher sind mir nur wenige Fälle bekannt, wo für eine solche Untersuchung Geld zur Verfügung stand. Deshalb spielt vielfach der Zufall die entscheidende Rolle, ob eine geplante Welle gut funktioniert oder nicht», sagt Rutschmann.

Trial and error

Wie schwierig es tatsächlich ist, zeigt das Beispiel der Sillwelle in Innsbruck. 2011 wurde die neu gestaltete Sillmündung als Hochwasserschutz und Naherholungsraum eröffnet. Die integrierte Welle sollte in der Mündung der Sill in den Inn entstehen. Die Planung wurde von einem wasserbaulichen Modellversuch begleitet.

Erste Betriebserfahrungen mit der komplexen Anlage haben Optimierungsbedarf aufgezeigt. Nach intensivem Monitoring und Strömungsversuchen vor Ort wurden diverse Adaptierungsvorschläge erarbeitet. Die Verbesserung der Situation ist bis heute Gegenstand von weiterführenden Versuchen und Analysen.5

Hinsichtlich physikalischer Modellierung gibt Fuchs zu bedenken, dass Wassereigenschaften, sprich Oberflächenspannung oder Viskosität, im Versuchslabor nicht skaliert werden. Am Beispiel des Lufteintrags heisst das, so Fuchs: «Damit Luft in eine Strömung eingetragen wird, braucht es eine gewisse Turbulenz. Die Luftblasen haben eine gewisse Mindestgrösse, die sich im Modell nicht beliebig verkleinern lässt. Im Modell fehlt quasi der Anteil an kleinsten Luftblasen, und wir unterschätzen damit den Lufteintrag.»

Die Ergebnisse aus dem Modellversuch müssen daher von Experten interpretiert werden, um sie in das gebaute Gerinne vor Ort übertragen zu können. Dann sollten diese Mass­stabseffekte keine entscheidende Rolle spielen.

Verstellbare Strukturen

Die Verfügbarkeit eines surfbaren Wechselsprungs lässt sich durch verstellbare Strukturen wie Klappen an der Absturzkante erhöhen. Mit einer solchen Klappe können die Strömung variiert und vor allem der Gegendruck eingestellt werden. «Eine richtige Grundlagenunter­suchung über den Einfluss der Klappe gibt es aber noch nicht», erklärt Fuchs. Er möchte das ändern und schreibt für das nächste Semester eine Masterarbeit aus, um das Thema aufzuarbeiten.

Eine Welle im Hauptschluss eines Flusses oder durch Einbauten am Ufer zu generieren ist schwierig, da eine Regulierung fast unmöglich ist. Hydraulisch einfacher, aber baulich aufwendiger ist es, einen Teil des Wassers in ein Nebengerinne auszuleiten. Damit ist es von den Zuflussbedingungen entkoppelt. Können Zufluss- und Abflussbedingungen im Seitengerinne fixiert werden, genügt im Prinzip schon ein Absturz, den die Hydrauliker so berechnen können, dass der Wechselsprung nicht wegwandert. 

Die ingenieurtechnisch spannende Frage, wie ein Wechselsprung zu einer surfbaren Welle wird, ruft immer mehr Ingenieure auf den Plan – Tüftler und Wissenschaftler gleichermassen.6 

Anmerkungen
1 Der Quotient aus Wellenhöhe und Wellenlänge ist ein wichtiges Kennzeichen für die Beurteilung der Stabilität der Wellen und wird als Wellensteilheit S bezeichnet. Steile Wasserwellen sind gekennzeichnet durch ausladende Täler und spitze Kämme.
2 Es wird zwischen Wellen mit grünem Wasser und einer Walze mit weissem Wasser unterschieden. Der Hydrauliker bezeichnet die entsprechenden Zustände als ondulierenden bzw. klassischen, eingestauten Wechselsprung.
3 Benjamin Di-Qual, Gerry Schlegl, Markus Aufleger, Erzeugung stehender Flusswellen für den Surfsport, Deutsches Ingenieurblatt, Ausgabe 6/2014
4 In Graz fanden im Mai 2003 die Rodeo-Weltmeisterschaften der Kajakfahrer statt. Dr. Peter Rutschmann half mit seinen Strömungssimulationen, den Spot, sprich die Terminator-III-Welle, zu optimieren.
5 Michael Kremser, Forum Flusswellen 2013
6 Damit Wissen und Erfahrungen nicht verloren gehen und ein Austausch zwischen allen Interessierten stattfinden kann, gibt es seit 2013 das Forum Flusswellen unter der Schirmherrschaft der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. Laut Angaben von Benjamin Di-Qual, Bauingenieur und Mitorganisator des Forums Flusswellen, macht das Forum 2015 eine Pause, die nächste Veranstaltung ist für Herbst 2016 geplant. 

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