Strah­len­de Kö­ni­gin?

Rigi: Architektur

Hotelpaläste, Ferienhäuser, Ruinen, Leerstand – Aufbruch? Seit Anfang des 19. Jahrhunderts prägen starke Brüche Bautätigkeit und Tourismus auf der Rigi. Nun zeigen sich zaghafte Zeichen eines Neustarts.

Publikationsdatum
16-04-2015
Revision
06-10-2015

Die Rigi wird auch die ­«Königin der Berge» genannt. Der Begriff geht auf eine Beschreibung des Einsiedler Stiftdekans Albrecht von Bonstetten zurück, der sie 1479 als «Montium Regina» und eigentlichen Mittelpunkt der Welt bezeichnete. Anders als die abenteuerumwobenen Drei- und Viertausender wie Eiger und Matterhorn liegt das Rigimassiv mit seinen maximal 1797.5 m ü. M. in den Voralpen, in einer Insellage zwischen Vierwaldstätter-, Lauerzer- und Zugersee. Und der wohl grösste Unterschied: Die Rigi ist ein gezähmter, ein bebauter Berg.

Mythos und Zerfall

Die ersten Bergreisenden waren Pilger, die sich von der 1585 geweihten Felskapelle in Rigi Kaltbad und der rund 100 Jahre später erbauten Kapelle «Maria zum Schnee» in Rigi Klösterli Wunder erhofften. In der ­Felskapelle war die Pilgerfahrt mit einem Bad im namengebenden kalten Wasser der örtlichen Quelle verbunden – frühe Wurzeln der späteren Molke- und Wasserkuren.

Die touristische Reisetätigkeit auf die Rigi ­begann Anfang des 19. Jahrhunderts, als deutsche und britische Adlige, aber auch wohlhabende Zürcher zunächst noch zu Fuss, auf Pferden und Sänften den Berg entdeckten. Letztere finanzierten 1816 gar den Bau des ersten Wirtshauses auf Rigi Kulm. Damit setzte ein regelrechter Tourismusboom ein: Um den legendären Sonnenaufgang auf dem Gipfel zu erleben – dem wichtigsten Programmpunkt einer Rigireise –, musste man nun nicht mehr den mehrstündigen Aufstieg im Dunkeln ab Klösterli oder Kaltbad auf sich nehmen. Um dem Ansturm Herr zu werden, entstanden in der Folge weitere Gasthäuser in Klösterli und Kaltbad, und der Bau auf Kulm wurde erweitert, sodass bis 1825 bereits sieben Gastbetriebe mit 200 Betten existierten.

1837 ging die Dampfschifffahrt auf dem Vierwaldstättersee in Betrieb, was die Anreise erleichterte und sich in den Übernachtungszahlen niederschlug. Hatte die Schifffahrt die Nachfrage angekurbelt, liess sie der Bau der ersten Bergbahn Europas explodieren. Die Vitznau-Rigi-Bahn führte ab Mai 1871 von Vitznau über Rigi Kaltbad nach Rigi Staffel.1 Vier Jahre später folgte die Arth-Rigi-Bahn mit einer Verbindung von Arth-Goldau nach Rigi Kulm. 

In kurzer Folge entstanden weitere Gasthäuser und die grossen Hotelpaläste der Belle Epoque – darunter Kurhaus Scheidegg (1840), Hotel Rigi Kulm (1847), Grandhotel Kaltbad (1849), Regina Montium (1856/57, Kulm), Hotel Bellevue (1874, Kaltbad), Grandhotel Schreiber (1875, Kulm) und Hotel Rigi First (1875). Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs hatte sich das Angebot an Gästebetten auf 2000 verzehnfacht. Gut erschlossen, in gesunder Höhe und mit spektakulärem Ausblick – die Rigi als Inbegriff des Schweizer Aussichtsbergs war geboren. 

Der Krieg und die anschliessende Weltwirtschaftskrise beendeten die goldenen Zeiten. Die ausländischen Gäste blieben aus, gleichzeitig manifestierte sich ein Schweizer Unbehagen gegenüber den in den Bergen als urbane Fremdkörper empfundenen Bauten der Belle Epoque und gegen die Eliten, als deren Sinnbild sie galten. Einige der Hotels auf der Rigi verfielen, andere wurden zu einfachen Pensionen rückgebaut. Jahrzehntelang befeuerte der 1905 gegründete Schweizer Heimatschutz eine Kampagne gegen die «verlotterte Erbschaft aus der schlechtesten Zeit des letzten Jahrhunderts».2

Der Bund unterstützte die Initiative zum Um- und Rückbau der grossen Berghotels als Erwerbsmöglichkeit für die Arbeitslosen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. 1951 widmete der Heimatschutz den Erlös der jährlichen Schoggitaler-Verkaufsaktion der «Säuberung des Rigi-Gipfels». Von 1952 bis 1954 wurde das Grandhotel Schreiber abgerissen, auf dem ehemaligen Westflügel entstand ein neuer – heimatschutzkonformer und wesentlich bescheidenerer – Bau nach Plänen von Landidörfli-Architekt (und Heimatschutzbauberater) Max Kopp.

Rückzug ins Private

Der Wandel von der glamourösen Feriendestination zum Tagesausflugsziel hatte allerdings bereits in den 1930er-Jahren begonnen: Statt Grandhotels entstand Parahotellerie, man baute einfache Gäste- und Ferienhäuser, vor allem am Hang über Kaltbad. Auf den ausländischen Adel folgten die neuen bürgerlichen Eliten: Wohlhabende Zuger, Luzerner und Zürcher liessen sich hier ihre Sommerfrischen bauen. 

Wie schon ihre Vorgänger beauftragten auch die neuen Bauherrschaften teilweise namhafte Architekten, darunter Alfred Roth, Werner Stücheli und Hans Vollenweider. Einer davon war der Obwaldner Heimatstilarchitekt Robert Omlin, der 1934 für die örtliche Hotelpionierin Rosa Dahinden das Kinderheim und spätere Hotel «Bergsonne» im Chaletstil errichtete sowie Ferienhäuser für den Hotelier Robert Stierlin (nach 1930)  und den Zürcher Bauunternehmer Wilhelm Halter (1939). Ebenfalls ein Holzhaus entwickelte 1930 der Werber Paul O. Althaus gemeinsam mit der Holzbau Lungern AG, die das «Schnäggehüsli» als Fertighausmodell im selben Jahr auf der Wohnbauausstellung in Basel vorstellte.

Dem Heimatstil eher kritisch gegenüber stand der Architekt und Gründer des Glarner Heimatschutzes Hans Leuzinger. Der Vertreter einer moderaten Moderne baute 1940 ein Ferienhaus für den Basler Rechtsprofessor und Sohn des gleichnamigen Bundesrats Robert Haab. Der Bau zeichnet sich durch die präzise Platzierung in der Landschaft sowie eine Mischung von ländlichen und modernen Elementen wie Laubengang und offenem Terrassenaufgang aus. 

1959 baute der Zürcher Architekt Ernst Gisel für seine Familie ein «regelrechtes kleines Meisterwerk».Das von aussen unscheinbar wirkende Häuschen überzeugt im Innern durch eine ausgeklügelte Raumkomposition. Vier Jahre später schuf Gisel die heute unter Denkmalschutz stehende Bergkapelle in Kaltbad. Besonders sind dabei vor allem die vertikale Raumfolge und die raffinierte Lichtführung. Ein weiterer Protagonist der Ferienhausarchitektur auf der Rigi ist ­Justus Dahinden, Enkel der bereits erwähnten Rosa Dahinden. Für seinen Vater plante er 1954 in Unterstetten das Zelthaus. Das erste realisierte Projekt Dahindens ist eine asymmetrische Dachpyramide auf Stelzen – die reduzierte Form ist ganz auf die Aussicht ausgerichtet und perfekt an die Witterung angepasst.

Trial and error

Ab Ende der 1960er-Jahre war die Bautätigkeit auf der Rigi vor allem durch fehlgeschlagene oder wenig gelungene Vorhaben geprägt. So plante in den 1990er-Jahren ein privater Verein zusammen mit einer Stuttgarter Unternehmensberatung auf Rigi Staffel das Projekt «Rigi Arche 2000». Die Vision scheiterte letztlich an den Finanzen: Die vorgesehenen 11.5 Mio. Franken für das Ausstellungsgebäude konnten nicht aufgebracht werden. Ein Beispiel für eine gestalterisch wenig überzeugende Lösung ist das Eventzelt, das seit 2007 auf Rigi Staffel anstelle des Hotels Rigibahn steht. 

Irrungen und Wirrungen gab es vor allem im Dorfkern von Kaltbad. 1998 kaufte ein deutscher In­vestor das heruntergekommene Hotel Bellevue, einen der letzten Repräsentanten der Haute Hotellerie auf der Rigi. Geplant war ein Neubau mit Ferienwohnungen, den Wettbewerb gewann das Basler Büro Diener & Diener. Statt einer fulminanten Eröffnung zum Millennium folgte dem raschem Abriss und Baubeginn aber Stillstand: Ende 1999 wurde der Investor wegen krimineller Machenschaften verhaftet, übrig blieb bis 2006 die Bauruine als weithin sichtbares Symbol des Scheiterns. 

Neben dem Bellevue gab es ein weiteres Sorgenkind, die 1962 bis 1964 anstelle des 1961 durch Brandstiftung zerstörten Grandhotels Kaltbad erbaute «Hostellerie» von Justus Dahinden. Die als Grossprojekt konzipierte und nur teilweise ausgeführte Anlage aus Hotel, Ferien­wohnungen und Sportzentrum im zeitgenössischen «Mövenpick-Stil»4 war 30 Jahre später sanierungsbedürftig, entsprechende Vorhaben scheiterten zunächst aber jeweils an der Finanzierung. 

2005 präsentierte der Nebikoner Bauunternehmer Peter Wüest eine ehrgeizige Vision, Kaltbad als touristischen Hotspot neu zu erfinden. Dazu sollte neben der Instandsetzung der Hostellerie und dem Bellevue-Ersatzneubau ein Bergbad von Mario Botta gehören. Zwei Jahre später zog sich der Generalunternehmer zurück, es kam erneut zu einem Marschhalt. Erst mit dem neuen Gestaltungsplan der Gemeinde 2009, der eine Redimensionierung beinhaltete, sowie zwei neuen Betreibern kam wieder Schwung ins Projekt.5

Im Juli 2012 wurde die renovierte Hostellerie, jetzt Hotel Rigi Kaltbad, eingeweiht, zusammen mit dem – leider enttäuschenden – Mineralbad. Dass beschnittene finan­zielle Mittel die Planungen beeinflussten, ist offensichtlich: Statt atmosphärischer Dichte herrscht im Umkleidebereich Hallenbadflair, die Sauna ist karg und bietet statt Bergsicht freien Blick auf ein Wohngebäude. Auch der Granit der Fassade aus Domodossola passt nicht recht zur Nagelfluh der Rigi.

2014 folgte das neue Bellevue mit 18 Ferienwohnungen (Architektur Lischer Partner AG, Luzern). Jüngster baulicher Neuzugang und letztes Puzzleteil im Gestaltungsplan ist das im März eröffnete Bahngebäude der Rigi-Vitznau-Bahn (Strüby Konzept AG)  – räumlich gelungen, aber in der Materialisierung (Fassade und Dach teilweise aus Kupfer) erneut ein zusätzliches Element in der ohnehin bereits heterogenen Erscheinung von Kaltbad. 

Berg und Bauten bleiben ein Konglomerat. Heute besuchen jährlich rund 600.000 Gäste die Rigi, ihnen stehen 300 Gästebetten zur Verfügung. Nach den Wirren der vergangenen Jahre gibt es Anzeichen für eine positive Zukunft. In der RigiPlus AG, die 2012 aus einem interkantonalen Projekt der Neuen Regionalpolitik NRP hervorgegangen ist, sind alle Akteure auf und am Berg vertreten. Das Ziel ist ein gemeinsamer Auftritt der zwei Kantone, neun Gemeinden, neun ­Bergbahnen und 40 Gastronomiebetriebe – damit die Königin wieder strahlt.

Anmerkungen

  1. Konzipiert wurde sie 1869–1871 von Niklaus Riggenbach, Ferdinand Adolf Naeff und Olivier Zschokke. Zum Einsatz kam das nach Riggenbach benannte und in Frankreich patentierte Zahnradbahnsystem mit Leiterzahnstangen.
  2. Ernst Laur, Die Säuberung des Rigi-Gipfels – das grosse Talerwerk des Jahre 1951/52. In: Heimatschutz/Patri­moine, Bd. 46, 1951, S. 56.
  3. Jacques Herzog, Pierre de Meuron, Das kleine Haus auf dem Rigi – eine autobiografische Betrachtung. In: Bruno Maurer et al. (Hrsg.), Ernst Gisel Architekt, gta Verlag, Zürich 2010, S. 81.
  4. Jacques Herzog, Pierre de Meuron, Das kleine Haus auf dem Rigi – eine autobiografische Betrachtung. In: Bruno Maurer et al. (Hrsg.), Ernst Gisel Architekt, gta Verlag, Zürich 2010, S. 81.
  5. Bauunternehmer Rolf Kasper ist Besitzer von Bellevue und Hotel Rigi Kaltbad. Die Aqua-Spa-Resorts AG betreibt das Mineralbad & Spa Rigi Kaltbad.

Literatur (Auswahl)
Adi Kälin, Rigi – Mehr als ein Berg. Baden-Dättwil 2012.

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