Sta­bi­li­täts­nach­weis nach Theo­rie 2. Ord­nung

Bemessung von Holzbauten nach Norm SIA 265

Bislang gibt es zwei Verfahren, um das Knickverhalten von Stabsystemen aus Holz zu untersuchen. Wie die Normkommission 265 beide Methoden besser in Einklang bringt, erläutert dieser Artikel. 

Publikationsdatum
16-11-2015
Revision
16-11-2015

In Holztragwerken treten häufig auf Druck beanspruchte Stabsysteme (Bogen, Rahmen etc.) und Einzelstäbe (z. B. Fachwerkstäbe) auf. In solchen Fällen ist der Einfluss von Verformungen, die sich aus möglichen geometrischen Ungenauigkeiten, aber auch mit zunehmender Auslenkung der Stäbe aus der Stabachse ergibt, bei der Bestimmung der Auswirkungen zu berücksichtigen. 

Neben der Kontrolle der ­Stabilität der Einzelstäbe ist bei Stabsystemen eine Bemessung nach Theorie 2. Ordnung erforderlich, bei der das Gleichgewicht am verformten System formuliert wird; die sich aus der Exzentrizität der wirkenden Druckkraft ergebenden Biegemomente müssen hier in die Bemessung einfliessen. Die sich einstellenden Auslenkungen sind abhängig von der Steifigkeit der Bauteile (Elastizitäts- und Schubmodul) und der Verbindungen (Verschiebungsmodul). 

Vorgehensweise des Eurocode 5 übernommen

Da es sich um einen Nachweis der Tragsicherheit handelt, sind die Steifigkeiten zu reduzieren. In der Norm SIA 265 wurde dafür die Vorgehensweise des Eurocode 5 (EN 1995-1-1) übernommen und wurden die reduzierten Steifigkeiten durch Division der Mittelwerte durch den Teilsicherheitsbeiwert  M (EN 1995-1-1) bzw. durch den ­Verhältniswert  M /M (SIA 265) ermittelt. Bei der Reduktion von den Mittelwerten der Steifigkeiten auszugehen, lässt sich dadurch be­gründen, dass nicht alle Stäbe und Verbindungen des Stabsystems Steifigkeiten aufweisen, die geringer sind als die Mittelwerte.

Die Stabilität von Einzelstäben weist man üblicherweise mit dem Ersatzstabverfahren nach. Die entsprechenden Knickkurven und Formeln zur Berechnung der Knickbeiwerte kC  in Funktion der relativen Schlankheit  rel der Stäbe sind in der Norm SIA 265 angegeben. Auch diese Bemessungsansätze wurden aus dem Eurocode 5 in die Schweizer Norm übernommen. Bei der Berechnung der relativen Stabschlankheit, die neben der geometrischen Schlankheit  = lk/i(Knicklänge lk, Stabquerschnitt bzw. Trägheits­radius i) den Einfluss der Materialisierung des Stabes (Elastizitätsmodul) umfasst, geht man wegen der Streuung der mechanischen Eigenschaften von Holz vom 5 %-Fraktilwert des Elastizitätsmoduls aus. Auf Druck beanspruchte Einzelstäbe können auch mit der oben beschriebenen Berechnungsmethode nach linear-elastischer Theorie 2. Ordnung bemessen werden. 

Höhere Knickwiderstände nach Theorie 2. Ordnung

Eine kürzlich an der ETH Zürich abgeschlossene Forschungsarbeit, in deren Rahmen Knickversuche an 50 Stützen aus Brettschichtholz der Festigkeitsklassen GL24h und GL32h und numerische Untersuchungen durchgeführt wurden, hat gezeigt, dass für Stützen mitSchlankheiten  > 50 Abweichungen zwischen dem Ersatzstabverfahren und einer Bemessung nach linear-­elastischer Theorie 2. Ordnung ­auftreten. 

Mit einer Bemessung nach linear-elastischer Theorie 2. Ordnung ergeben sich für diese Schlankheitsbereiche bei Brettschichtholz bis zu 20 % und bei ­Vollholz bis zu 40 % höhere Knickwiderstände als nach dem Ersatzstabverfahren. In diesen Schlankheitsbereichen wird der Knickwiderstand eines Druckstabes zunehmend vom Elastizitätsmodul beeinflusst. Der Grund für die Abweichungen liegt im ­unterschiedlichen, in der Be­messung angesetzten Niveau des Elastizitätsmoduls (Ersatzstabverfahren: 5 %-Fraktilwert E0.05; Tragwerks­analyse nach Theorie 2. Ordnung: Mittelwert Em,mean).

Um die Ergebnisse aus Berechnungen mit den beiden Methoden zu einer besseren Übereinstimmung zu bringen, hat die Normkommission 265 sich entschlossen, die Angaben in der Norm SIA 265 zur Tragwerksanalyse nach Theorie 2. Ordnung dahingehend zu präzisieren, dass beim Nachweis von Einzelstäben, vom 5 %-Fraktilwert der Steifigkeiten der Bauteile (Elastizitätsmodul, Schubmodul) und der Verbindungen (Verschiebungsmodul) auszugehen ist, während beim Nachweis von Stabsystemen nach wie vor von den Mittelwerten der Steifigkeiten ausgegangen werden kann. Siehe dazu die Korrigenda (vollständiger Artikel) zur Norm SIA 265, Ziffer 5.8.3.1 unter: www.sia.ch/Korrigenda.

Sollten Einzelstäbe (ins­besondere Vollholzstützen) nach linear-elastischer Theorie 2. Ordnung auf Basis des Mittelwerts des Elastizitätsmoduls bemessen worden sein, empfiehlt die SIA- Normenkommission, diese Bauteile zu überprüfen, falls sie eine geometrische Schlankheit  = lk / i> 50 aufweisen. Dabei sind neben der Festigkeitsklasse des Bauteils (bzw. dem ­tatsächlichen Wert des Elastizitätsmoduls) die Holzfeuchte, die geo­metrischen Verhältnisse (Querschnittsabmessungen und Länge des Bauteils), die Lagerung und die Ausbildung (Steifigkeit) des Anschlusses, seine Abweichungen von wirkender Normalkraft und Stützenachse, der Zustand des Bauteils und die massgebenden Einwirkungen zu untersuchen.

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