So­lar­tech­no­lo­gie und Ar­chi­tek­tur – ei­ne kunst­vol­le Syn­the­se

Solares Bauen: Entwürfe, Projekte und Bauten

Dank ihrer fast unbegrenzten Verfügbarkeit und der zahlreichen aktiven und passiven Nutzungsmöglichkeiten spielt Sonnenenergie in den Strate­gien zur nachhaltigen Erzeugung von Betriebsenergie für Gebäude eine wichtige Rolle. Für die Einbettung der technischen Elemente in ein ­kohärentes Gesamtbild ist ein ganzheitlicher architektonischer Ansatz erforderlich. Die Architekten brauchen Informationen, neue Kompetenzen und ästhetisch überzeugende Produkte.

Publikationsdatum
10-11-2017
Revision
10-11-2017

Im Lauf des vergangenen Jahrzehnts hat die Öffentlichkeit begonnen, sich ernsthaft mit der Erderwärmung und den durch fossile Energieträger verursachten Problemen zu beschäftigen. Dieses neue, durch die Katastrophenserie der jüngsten Zeit noch verstärkte Bewusstsein bringt Politiker und Entscheidungsträger dazu, immer einschneidendere Massnahmen zum Energiesparen einerseits und zur Nutzung von erneuerbaren Energien andererseits zu treffen. In Bezug auf den Energieverbrauch von Gebäuden – in Europa 40 % des Gesamtenergieverbrauchs – wurden strenge Normen erlassen, deren Anforderungen laufend erhöht werden. In der Schweiz wurde die seit 2003 gültige Norm SIA 380/1 im Jahr 200  verschärft; neu sind darin die Anforderungen des (freiwilligen) Minergie-Labels an die Gebäudehülle zur Pflicht ­­er­klärt. Das Minergie-Label selbst wurde ebenfalls angepasst und schreibt nun eine zusätzliche Senkung des Verbrauchs an Heizenergie um fast 20 % vor. Zudem wurden mehrere spezifische Labels definiert.

In der Europäischen Union sind die Regeln nicht weniger streng: Die neue Rich­t­linie des Euro­päischen Parlaments vom Mai 2010 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (2010/31/EU) schreibt vor, dass sich bis 2020 alle neuen Gebäude – gemäss der Norm Nearly Zero Energy ­Buildings NZEB – dem Konzept der Nullenergiegebäude annähern müssen. Dieser Standard sieht vor, dass die zum Betrieb des Gebäudes erforderliche Energie «fast gleich Null oder sehr niedrig» ist und dass der Bedarf «zum grössten Teil durch die vor Ort oder in der Nähe aus erneuerbaren Energiequellen […] erzeugten Energie gedeckt muss». Diese Bestimmung ist für alle neuen öffentlichen Gebäude bereits ab 2018 bindend.

Wirksam und flexibel

Um diese neuen Normen einzuhalten, genügt es nicht, den Heizenergieverbrauch durch sorgfältiges Dämmen der Gebäudehüllen zu reduzieren. Es gilt auch, neue Strategien zur nachhaltigen Erzeugung von Betriebsenergie umzusetzen. Dank der fast unbegrenzten Verfügbarkeit und der flexiblen Nutzungsmöglichkeiten ist Sonnenenergie eine der bevorzugten Ressourcen für die Zukunft. Dank ihrer diversen passiven und ak­tiven Nutzungsmöglichkeiten kann die ­Sonne den Bedarf an unterschiedlichen Energieformen im Gebäude effizient und kostengünstig decken.

Die Nutzung von natürlichem Licht mittels Öff­nungen und reflektierenden Flächen (daylighting) senkt den Bedarf an künstlicher Beleuchtung auf ein Minimum. Die passive Nutzung der Sonnenenergie, die durch Fensterverglasungen einfällt, kann die Räume grösstenteils oder sogar ganz heizen. Solarthermie ist ideal für die Warmwassererzeugung, kann aber auch ergänzend zum Heizen – und bald auch zum Kühlen – von Räumen verwendet werden. Photovoltaik wiederum erzeugt Strom für Elektrohaushaltsgeräte, zur Beleuchtung und eventuell zum Betrieb einer Wärmepumpe.

Die Architektur ist gefragt

Die kohärente Umsetzung dieser Strate­gien bedingt einen ganzheitlichen architektonischen Ansatz. Wie die neuen Wärmedämmungsstandards die Materialisierung und die Formsprache der Gebäudehülle verändert haben, wird auch die Nutzung von Sonnenenergie einen radikalen Einfluss auf die Gestaltung der exponierten Gebäudeoberflächen haben. Zum einen spielt die Position und Grösse der Öffnungen eine wichtige Rolle für die Belichtung und die passive Nutzung der Sonnenenergie. Zum anderen sind die aktiven Solar­elemente (Photovoltaik und Solarthermie) so gross, dass sie das Erscheinungsbild des Gebäudes erheblich prägen. Fehlt die notwendige Kompetenz zur Integration der neuen Elemente in ein in sich stimmiges Ganzes, wird das Ergebnis in architekto­nischer Hinsicht kaum zufriedenstellend sein.

Daher ist unabdingbar, dass Archi­tektinnen und Architekten klare fachspezi­fische Informationen über die neuen Bauweisen erhalten – verfügbare Technologien und Folgetechnologien, Kriterien zur Posi­tionierung und Dimensionierung der Elemente, am Markt erhältliche Produkte, die gut integrierbar sind, Ähnlichkeiten und Unterschiede der diversen Technolo­gien oder Optimierungsprinzipien bei der Nutzung der verschiedenen Flächen der Gebäudehülle.1 Diese Informationen existieren, sind aber oft entweder zu detailliert und komplex, weil sie für Spezialisten bestimmt sind, oder zu oberflächlich und allgemein, um daraus praxistaugliche Lehren für die Projektphase zu ziehen.

Arbeitshilfen und Produkte

Um diese unbefriedigende Situation zu ­verbessern, hat die Internationale Energieagentur (IEA) Ende des Jahres 2009 den dreijährigen internationalen Task «Archi­tektur und Solarenergie» initiiert. Die Hauptzielsetzung ist die Erstellung von fachgerechten und leicht zugänglichen Informa­tionen über die Möglichkeiten, Solartechnik in den Entwurf zu integrieren. Die unterschiedlichen Möglichkeiten, aktive Solarenergiesysteme in das Gebäude einzufügen, wurden in einem für Architektinnen und Architekten konzipierten Handbuch2 aufgelistet und beschrieben; praktische Fallstudien und eine umfangreiche Palette von erhältlichen Produkten dienen als Ergänzung.

Die gleichen Produkte werden auf einer fachspezifischen Website3 auf ihre Integrationsfähigkeit hin analysiert und ­präsentiert. Zudem gibt es eine Ad-hoc-Web­site4, auf der Solarbauten – ausgewählt nach ihrer energetischen und architektonischen Qualität – als praktische Fallstudien verfügbar sind. Solche Dokumente sind eine solide Grundlage für Fachleute, die sich mit dem neusten Stand der Technik vertraut machen möchten. Allerdings müssten Architektinnen und Architekten, um den ­Entwurf wirklich zu beherrschen, auch auf ­einfache Arbeitshilfen zur Vordimen­­sionierung der Systeme und auf mass­geschneiderte praktische Fortbildungs­angebote zurückgreifen können.

Daher ist es zu begrüssen, das die Berufsverbände allmählich solche Fortbildungsangebote machen. Auch bei den Vordimensionierungstools, die für einen Einbezug von energetischen Überlegungen in die Vorprojektphase unerlässlich sind, sind Fortschritte zu ver­melden: Die ersten Arbeitshilfen dieser Art stehen seit kurzer Zeit zur Verfügung, viele andere befinden sich im Entwicklungs­stadium. Weitere Schritte wurden auch auf Produktebene getätigt, denn allmählich haben die Hersteller begriffen, wie wichtig es ist, dass ihre Produkte sich gestalterisch befriedigend in das Gebäude integrieren ­lassen. So sind neue, als multifunktionale Bauelemente konzipierte Produkte auf den Markt ge­kommen, während gleichzeitig an noch besser angepassten Systemen geforscht wird. Mit diesen neuen Arbeitshilfen können Architektinnen und Architekten die ener­getischen Anforderungen in die Reihe der Randbedingungen aufnehmen, die den Entwurf formen und reizvoll machen. Damit leisten sie einen Beitrag zum geplanten Atomausstieg der Schweiz.

Fussnoten
1 Anm. der Red.: Ein Beispiel sind die unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten von kristallinen ­Photovoltaikzellen und Dünnschichtmodulen. Der Wirkungsgrad kristalliner Photovoltaikzellen beträgt bis zu 20 %, derjenige von Dünnschichtmodulen liegt mit bis zu 12 % deutlich tiefer. Dafür sind diese Produkte günstiger und weniger hitzeempfindlich; zudem haben sie eine tiefere graue Energie und weisen höhere Erträge im Schwachlichtbereich auf. Daher bietet es sich an, Dünnschichtmodule an Lagen mit ungünstiger Exposition ­einzusetzen (Nordseite), wo sie zu ökonomisch und ökologisch vertretbaren Bedingungen ­einen zwar bescheidenen, aber nicht zu vernachlässigenden Beitrag zur Energieversorgung ­leisten. Dank diesem Beitrag fallen Dünnschichtmodule nach wenigen Betriebsjahren günstiger aus als einfache Glaselemente, die Modulen mit kristallinen Photovoltaikzellen nachempfunden sind – und eignen sich darum für All-over-Gestaltungen (gebaute Beispiele vgl. S. 20 und 36).
2 Das Handbuch steht gratis zur Verfügung
3 www.solarintegrationsolutions.org
4 Die URL wird auf der Website von Task41 erscheinen, s. Anm. 1.

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