Se­xy, nicht arm

Concept-Mall «Bikini Berlin», Deutschland

Auch in Berlin erwartet in Einkaufszentren niemand angesichts der immer gleichen Handelsketten ein kurzweiliges Einkaufserlebnis. Genau das will die Concept-Mall «Bikini Berlin» seit gut einem Jahr liefern: lässige Atmosphäre, fotogene Motive, angesagte Produkte. Kurz: in Erinnerung bleibende Reize, die zur Wiederkehr animieren.

Publikationsdatum
27-08-2015
Revision
22-11-2015

Das namengebende Bikini-Haus ist ein ausgezeichneter Ausgangspunkt für innovativen Handel. Als Teil des 1957 von Paul Schwebes und Hans Schosz­berger errichteten «Zentrums am Zoo», ursprünglich als Ersatz für den seinerzeit im Ostsektor Berlins gelegenen Standort des Textil­gewerbes gedacht, steht es für den heroischen Wiederaufbau des Westteils der Mauerstadt.

Auf vielen Fotografien kontrastiert die moderne horizontale ­Gliederung die vis-à-vis aufragende Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Die 210 Meter lange Arkade hatte schnell einen eigenen Nimbus bei den Berlinern er­wor­ben, die sonntags von dort aus zum «Schlendern» auf die Einkaufsmeile Kurfürstendamm starteten.

In den 1980er-Jahren geriet das Geschäftshaus durch die trennenden Aufbauten eines Autotunnels ins Abseits der Fussgängerrouten, und damit sank auch das Niveau der Geschäfte. Die Beteiligung am Tunnelrückbau 2005 war denn auch das erste finanzielle Engagement des Immobilienunternehmens Bayerische Hausbau, das das Zentrum am Zoo drei Jahre zuvor erworben hatte.

2008 begann die Entwicklung des ­Bikini-Hauses zum Einkaufszentrum. Zunächst war der belgische Architekt und Künstler Arne Quinze direkt beauftragt worden, eine unverwechselbare «Markenarchitektur» zu kreieren. Als sich im Oktober 2012 bei der Ausführung seines Entwurfs ­massive finanzielle Schwierigkeiten abzeichneten, übernahm das bis dahin beratende Münchner Büro Hild und K die Planung. 

Neue Konzepte hinter gewohnten Fassaden

Die zweigeschossige Mall «Bikini Berlin» entstand aus der Überbauung des einstigen Lieferhofs bis zur Grundstücksgrenze. Gemäss Quinzes Entwurf – der die Grundlage des zwischen öffentlicher Hand und Bauherrschaft ausgehandelten städtebaulichen Vertrags gebildet hatte – waren die markanten Treppentürme dort bereits abgerissen worden, trotz ­Denkmalschutz.

Die neuen expressiven Oberlichter für die Mall hingegen durften die Architekten von Hild und K nicht mehr infrage ­stellen – sie waren zwar noch nicht gebaut, aber schon beauftragt; dank einem grünen Farbton er­scheinen die ­massiven Träger nun zurückhaltend wie technische Verkehrsbauwerke. Auch im Weiteren gelang es dem verantwortlichen Büropartner Dionys Ottl, das noch Vorhandene zu sichern oder wenigstens zu kartieren, und – soweit noch möglich – die innere und äussere Gestaltung visuell zu beruhigen.

Statt auf Markenarchitektur setzte Ottl auf die Authentizität des Bestands und auf formal zurückhaltende Elemente wie das grosse Panoramafenster gegenüber dem Haupteingang, das einen grandiosen Blick in das Paviangehege des unmittelbar angrenzenden Zoologischen Garten eröffnet.

Ein wesentliches Element der Concept-Mall sind die im Verkehrsbereich stehenden Verkaufsboxen, zwischen 19 und 34 m2 gross. Die roh belassenen, mit Gittern versehenen Holzrahmenbauten wirken provisorisch wie Marktstände. Die Mietdauer dieser Pop-up-Stores ist auf drei oder sechs Monate limitiert – was dennoch gut nachgefragt wird von Anbietern neu entwickelter Produkte, von bislang nicht in Deutschland vertretenen internationalen Labels oder von Onlineplattformen, die kleinere Produzenten vertreten und den Effekt des ­stationären Handels ausprobieren wollen. 

Die Ladenflächen hingegen sind dauerhaft vermietet, mit einem Fokus auf Berliner Marken wie dem Brillenhersteller Mykita oder Personen wie dem Arrangeur schöner Dinge, Andreas Murkudis. Die Nachbarschaft zu dessen Concept-Store bewog einige Modefirmen, hier einen Flagshipstore zu eröffnen. Live Networking for Fashion & Art LNFA wiederum vermietet stangenweise an Modedesigner. Insgesamt präsentiert sich ein sorgfältig zusammengestelltes Händlerspektrum, das von einem Supermarkt und dem Ableger eines Steakhauses unaufdringlich geerdet wird.

Wandlungen nach einem Betriebsjahr 

Ein Jahr nach der Eröffnung fällt eine bislang vermisste Weite auf, denn die Boxen sind von 19 auf 14 reduziert worden. Einige der 59 dauerhaften Mieter fühlten sich durch die dichte Belegung zu sehr an den Rand gedrängt, obwohl der Anteil der Boxen an der Retailfläche von insgesamt rund 17 000 m2 nur 2 % beträgt.

Zudem erschwerten enge Verkehrswege die Orientierung innerhalb der drei Verkaufsebenen. Unterstützt von einer helleren Beleuchtung hat die Mall nun eine angemessene Grosszügigkeit erhalten, die jedoch den vormaligen Marktcharakter schwächt. 

Die Mall ist von 9 bis 21 Uhr geöffnet (Geschäfte: 10 bis 20 Uhr), auf der Dachterrasse kann von 9 bis 23 Uhr flaniert werden, um die Nachtruhe der Tiere im Zoologischen Garten zu gewährleisten. Laute und hell beleuchtete Feste sind dort ausgeschlossen, allerdings soll bis zum nächsten Winter eine indirekte Beleuchtung installiert werden, um auch bei Dunkelheit einen ­attraktiven Weg zu den hier liegenden Geschäften zu ­bieten. Insgesamt wird das Wegeleitsystem überarbeitet, um den bislang wenig frequentierten Haupteingang, der direkt gegenüber der Gedächtniskirche liegt, ins Bewusstsein der Besucher zu rufen.

Die Concept-Mall «Bikini Berlin» ist auf mehreren Ebenen bemerkenswert: Sie schliesst die Lücke zwischen stationärem Handel und Onlinehandel, hat einen ins Abseits geratenen Stadtraum belebt und einen tradi­tionell beliebten Einkaufsort kongenial erneuert. Dass die Konsumenten dies als Unterschied zum Üblichen positiv vermerken, ist das Ergebnis professionellen Handelns an diesem Ort.

Hinweis: Im Juni 2015 ist die Publikation «Bikini Berlin und seine Story» zu Geschichte, Planung und Bau des Bikini-Ensembles erschienen

Am Bau Beteiligte
 

Bauherrschaft
Bayerische Hausbau, München


Masterplan
SAQ architects, Brüssel


Architektur
Hild und K, München und Berlin


Generalobjektplanung
Bis 31.10.2012: KEC Planungsgesellschaft, Berlin


Tragwerksplanung
WTM Engineers, Berlin; bis 31.10.2012: GuD Planungsgesellschaft für Ingenieurbau, Berlin


Bauleitung
BIP Beratende Ingenieure für das Bauwesen VBI, München


Projektsteuerung
Bauplanung Stoessel, Berlin


Fassadenplanung
Architektur | Technik | Fassade, Frankfurt am Main


Brandschutz
TPG Technische Prüfgesellschaft, Berlin


Prüfstatik
Leonhardt, Andrä und Partner, Berlin


Freiflächenplanung
Lützow 7, Berlin


Bauphysik-Wärmeschutz
Dipl.-Ing. (FH) Benno Ellerböck, München


Lichtplanung
Licht Kunst Licht, Berlin


Gutachter Denkmalpflege
Bureau für Architektur und Baugeschichte, Berlin


LEED-Zertifizierung
Prof. Jürgen Schwarz Consulting, Neubiburg/München


Signaletik
Integral ruedi baur, Zürich

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