Re­spekt­voll frei­ge­spielt

Ersatz Pfarreigebäude, römisch-katholische Pfarrei St. Maria, Ins (Kanton Bern)

Die Resonanz und das Interesse waren gross: Knapp 150 Architektenteams haben sich für den offenen Wettbewerb beworben, für das neue Pfarreigebäude gingen 118 Vorschläge ein. Das sorgfältige Projekt von Huber Waser Mühlebach Architekten überzeugte die Jury am meisten.

Publikationsdatum
16-12-2016
Revision
16-12-2016

Neben der überschaubaren und heute eher seltenen Bauaufgabe eines Pfarreigebäudes muss es wohl die prägnante Kirche St. Maria gewesen sein, die zahlreiche Architektenteams fasziniert und dazu bewogen hat, an diesem Wettbewerb teilzunehmen. Das skulpturale Bauwerk aus Backstein, Beton und Faserzement­eindeckung liegt mitten im Einfamilienhausquartier der Berner Seelandgemeinde Ins und wurde 1963/64 auf der Grundlage eines künstlerischen Konzepts von Peter Travaglini durch die lokalen Architekten atelier 64 gebaut. Die gesamte Anlage umfasst im traditio­nellen Sinn neben der Kirche einen Verbindungsbau, der als Sakristei genutzt wird, das Wohnhaus für den Pfarrer sowie Versammlungs- und Unterrichtsräume für die Gemeinde. Da sich jedoch die Anforderungen an das Pfarreigebäude in den letzten 50 Jahren stark verändert haben, entsprechen die Nutzungsmöglichkeiten und Raumgrössen trotz Anpassungen und Erweiterungen nicht mehr den heutigen Bedürfnissen. Dazu kommt der bauliche Zustand des Gebäudes, der zwingend umfassende Instandsetzungsarbeiten bedingt.

Herausfordernd und vielfältig

Nicht nur das Interesse, auch die Herausforderungen bei diesem offenen Wettbewerb waren gross. Es galt, einen Ersatzbau schlicht und stimmungsvoll in die bestehende Anlage einzupassen und gleichzeitig einen starken räumlichen Bezug zwischen Kirche, Pfarreigebäude und Aussenraum zu schaffen. Die Schwierigkeit lag primär darin, den Zugang und die Höhendifferenz zwischen Fauggersweg und der höher gelegenen Ebene mit Vorplatz und Kirche schlüssig zu klären, trotz der ­beengten Platzverhältnisse. Entsprechend vielseitig sind die Projektentwürfe und der Umgang mit Topografie und Programm ausge­fallen; das Spektrum reicht vom Pfarreigebäude im grossen Sockelbau über die Aufteilung der Räume in mehrere Häuser bis zum markanten Solitärbau teilweise direkt und konkurrenzierend neben der Kirche.

Weder schwebendes Dach …

Das drittplatzierte Projekt «Am Platz» von Giulio Bettini und Atelier Penzis versucht, zwischen der Kirche und dem pavillonartigen Neubau einen identitätsstiftenden Platz zu etablieren. Mit einem fast quadratischen Neubau wird in der südlichen Ecke des Grundstücks ein starkes Gegenüber zur Kirche geschaffen, was mit einem sich zum Bestand hin aufrichtenden Giebel­dach zusätzlich betont wird. Der Neubau erscheint als eingeschossige Holzkonstruktion auf einem massiven Sockel, der den Platz bildet, zwischen Kirche und Strasse vermittelt und über einen breiten Treppenaufgang erreicht wird. Die grossflächigen Verglasungen des pavillonar­tigen Holzbaus lassen sich gegen die Kirche und den Platz hin öffnen. «Das Thema eines ausladenden, fast über dem Sockel schwebenden Dachs bildet einen poetischen Ansatz, der, konsequenter durchgearbeitet, einen würdigen Beitrag zur Auf­gabenstellung leisten könnte», hält die Jury dazu fest.

… noch Einfriedung, …

Abgestützt auf eine genaue Analyse des Orts schlägt das zweitplatzierte Projekt von Stereo Architektur eine Einfriedung der Parzelle vor – nomen est omen! Mit einer umfassenden verputzten Mauer sollen Kirche und Aussenraum räumlich gefasst werden und ein schöner Garten entstehen. Am Fauggersweg wird die Einfriedung zur Stützmauer und das langgezogene Pfarreigebäude Teil dieser Mauer. Die Mauer selber wird zum Sockelgeschoss und beinhaltet Büro- und Nebenräume des Pfarreigebäudes. Darauf kommt ein filigraner eingeschossiger Holzbau zu stehen mit den öffentlichen Nutzungen wie Saal, Foyer, Unterrichtsraum, die sich gegen den Hof und die Kirche öffnen. Ein durchgehendes flaches Giebeldach überspannt die Räume und überdeckt grosszügig den seitlichen Treppenaufgang vom Fauggersweg. Ziel des Entwurfs ist ein neuer Ort mit starker Identität und prägnanter Atmosphäre. Das Element der Mauer ist jedoch nicht überall nachvollziehbar. Sie kann auch vorschnell im Widerspruch zur Kirche verstanden werden, die sich verstärkt zum Dorf und zur Bevölkerung hin öffnen möchte.

… sondern Ensemble

Dem Siegerprojekt «Thales» von huber waser mühlebach architekten gelingt es, neben die markante Kirche einen selbstbewussten und klar formulierten Neubau zu setzen. In die südliche Ecke des Grundstücks wird ein kompaktes, monolithisch anmutendes Gebäude aus Sichtbeton gesetzt, das zwischen Kirche und Fauggersweg vermittelt. Die beiden eigenständigen, aber dennoch verwandten Bauten lassen ein Ensemble entstehen und verstärken den öffentlichen Ort mitten im Wohnquartier. Die denkmalgeschützte Kirche wird freigestellt, offener und dadurch auch im Stras­senraum präsenter. Über einen Ankunftsplatz auf Strassenniveau und die zurückversetzte, grosszügige Freitreppe entlang der Nordostfassa­de des Neubaus werden die beiden Niveaus miteinander verknüpft.
Im Innern des Neubaus richten sich ­Foyer, Saal und Unterrichtsraum gegen den neuen Begegnungsplatz und die Kirche. Im darunter liegenden Geschoss orientieren sich die Arbeitsplätze gegen die etwas unin­spirierten Parkplätze vor dem Haus. Es gelingt, das Gebäude, die Räume und die verschiedenen Niveaus mit dem Kontext und in sich geschickt zu verweben und ein stimmiges Ganzes zu bilden. Gemäss Jury ist allerdings der Hauseingang auf Strassenebene zu ­überarbeiten und für die auf die Nordseite der Kirche verlegte Sakristei ein anderer Ort zu finden.
Dank dem Interesse und der grossen Anzahl von eingereichten Projekten präsentierte sich eine Vielfalt ganz unterschiedlicher Konzeptansätze und Lösungsmöglichkeiten. Diese breite Palette verlangte sowohl von der Jury als auch von der Kirchgemeinde eine intensive und kritische Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Kirchenbau und dem zukünftigen Pfarreigebäude.

Auszeichnungen
 

1. Rang / 1. Preis: «Thales»
huber waser mühlebach architekten, Luzern

2. Rang / 2. Preis: «Einfriedung»
Stereo Architektur, Zürich

3. Rang / 3. Preis: «Am Platz»
ARGE Giulio Bettini, Zürich, und Atelier Penzis, Zürich

4. Rang / 4. Preis: «Hecht»
Lebenspol architektur & entwicklungen, Jona

 

Jury


Sibylle Thomke, Architektin, Biel

Francesco Marchini, Architekt, Bern

Lars Mischkulnig, Architekt, Biel

Weitere Informationen zum Projekt Ersatz Pfarreigebäude, Römisch-Katholische Pfarrei St. Maria Ins unter der Rubrik Wettbewerbe

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