Prä­ven­tiv ver­stärkt

Unterhaltsstrategie in die Praxis überführen

Die baulichen Massnahmen an der A9 und A5 gelten als Fallbeispiele für die präventive Strategie des Astra im Umgang mit Stützbauwerken. Die Konstruktionsprinzipien werden bei künftigen Projekten angewendet.

Publikationsdatum
29-09-2016
Revision
30-09-2016

Als Pilotobjekte für ein mustergültiges Verstärkungsverfahren boten sich die Stützbauwerke der A9 zwischen Lau­sanne-Vennes und Villeneuve sowie der A5 zwischen La Neuveville und Biel an. Zwischen 2010 und 2015 wurde ihr offenkundig schlechter Zustand mittels unterschiedlicher baulicher Massnahmen aufgehoben:

Bei Nagelwänden gewährleisten neue permanente Spannanker und Bauteile wie Wände, Longarinen oder Platten den neuen Kraftabtrag. Die Planenden definierten mittels Risikoanalysen, Untersuchungen am Objekt und ergänzender statischer Überprüfungen die erforderliche Ankerkraft, die auf der bestehenden Wand aufgebracht werden sollte. Ergänzend dazu führten sie ein Überwachungssystem ein, das auf Mess- und Kontrollankern basiert und geotechnische Instrumente beinhaltet – etwa Neigungsmesser, Dehnungssensoren oder Piezometer.

Für Winkelstützmauern kamen drei Verstärkungsmethoden der bestehenden Wand infrage: Sie wurden in eine Schwergewichtsmauer umgebaut durch den Einbau eines Gewichtskörpers auf der Wand­rückseite, oder es wurde eine neue Nagelwand mit gespannten Anker oder eine Winkelstützmauer davor betoniert. Für jede bestehende Stützmauer wurde eine Kosten-Nutzen-Analyse nach vorgegebenen Kriterien durchgeführt, um die wirtschaftlichste der drei Lösungen zu eruieren.

Die Nutzungsdauer der neuen Bauwerke beträgt 100 Jahre, während die verstärkten, bestehenden Bauwerke 60 Jahre aufweisen. Bei den Nagelwänden besteht die Möglichkeit, die Massnahmen gegebenenfalls in 25 Jahren zu ergänzen. Die neuen Bauwerke sind mono­lithisch und ohne Dilatationsfugen konzipiert und somit auch statisch unbestimmt und dauerhaft. Aus der In­standsetzung der Stützbauwerke konnten Lehren bezüglich des Betons, der Anker und der Drainagesysteme gezogen werden.

Rezepturen mit reduziertem Zementgehalt

Für das Beanspruchungsniveau, dem eine Stützmauer ausgesetzt ist, ist ein Beton der Druckfestigkeitsklasse C25/30 oder C30/37 ausreichend. Einerseits ­erlaubt die tiefere Druckfestigkeit eine reduzierte Mindestbewehrung zur Begrenzung der Rissbreite. Andererseits erfordert der hohe Frost-Tausalz-Widerstand des Betons (Expositionsklasse XF4) einen entsprechend hohen Zementanteil, was zwei Auswirkungen hat: Der effektive Tragwiderstand wird deutlich höher als bei der gewünschten Betonklasse (Überfestigkeit von bis zu vier Klassen), und der Beton schwindet stärker. Diese Effekte führen dazu, dass die Mindestbewehrung erhöht werden muss, was höhere Kosten und einen grösseren Rohstoffverbrauch verursacht.

Deshalb wurden in Zusammenarbeit mit den Betonlieferanten Rezepturen entwickelt, deren Zementgehalt reduziert ist, die CEM II/A-L und Flugasche enthalten, einen w/z-Wert von etwa 0,45 aufweisen und denen Luftporenbildner zugesetzt werden, ohne jedoch die spezifischen Eigenschaften des Betons zu beeinträchtigen. Die Überfestigkeit wird somit um zwei Klassen abgestuft und die Mindestbewehrung zur Begrenzung der Rissbreite reduziert.

Die Betonarten der bestehenden Stützwände der A9 wurden je nach Zusammensetzung, festgestellten Schäden und Alkali-Aggregat-Reaktion-(AAR)-Risiko in fünf Kategorien eingeteilt. Die mechanischen Eigenschaften des Betons ändern sich im Zug einer AAR-Entwicklung (Reduktion der Festigkeitswerte und des Elastizitätsmoduls, Restquellmass). Diese wurde zwar mittels Laborergebnissen prognostiziert, jedoch lassen sich die so gewonnenen Ergebnisse nicht im gewünschten Mass auf die Bauwerke anwenden.

Wenn möglich, sollten alter und neuer Beton nicht kraftschlüssig miteinander verbunden werden. Das neue Material kann dann ungehindert schwinden, und die verbleibende Ausdehnung des alten Betons wird nicht auf den neuen übertragen. Bei den Varianten ohne gespannten Anker dürfen Polymerbitumen (PBD) als Trennschicht eingesetzt werden. Bei der Planung wurde eine angemessene Mindestbewehrung ermittelt und die Details der Ankernischen sorgfältig erarbeitet. Bei den verankerten Bauwerken tragen auch die charakteristischen Konstuktionsdetails zur Dauerhaftigkeit der Bauwerke bei. Versuchsanker wurden bei jedem verankerten Bauwerk eingesetzt, um die Trag­fähigheit der Ankerwand – insbesondere im Bereich von Sandsteinschichten – zu bewerten. In einigen Fällen mussten die Ankerbereiche zuvor abgedichtet werden.

Neuer Aufgabenbereich

Bestehende Stützmauern instandzusetzen und zu verstärken gehört zu den neuen Aufgabenbereichen der Bauingenieure. Im Rahmen dieser Projekte wurden entsprechend neue Entscheidungsvorgänge und kon­struktive Details ausgearbeitet. Auf dieser Grundlage stehen nun kohärente ­Methoden zur Verfügung, um Stützbauwerke zu überprüfen und ihre Verstärkung durch bauliche Massnahmen zu planen.


Gefährdungsanalyse

Angesichts der Vielfalt und Zahl der Stützbauwerke wurde eine Gefährdungsanalyse für den A9-Abschnitt erstellt. Dieser Ansatz gewährleistet ein für die Nationalstras­sen kohärentes Vorgehen für die zwei Hauptparameter einer Risikoanalyse: die Eintrittswahrscheinlichkeit und das Gefährdungspotenzial (die Auswirkungen auf die Verfügbarkeit der Autobahn) eines Bauwerkver­sagens. Für die Stützmauern sind drei Standardgefährdungsklassen definiert, die von der Geometrie des Bauwerks und seinen Abstand zum Verkehrsträger festgelegt werden:

  • maximal: langer Verkehrsunterbruch auf der Nationalstrasse oder der benachbarten Bahninfrastruktur.
  • normal: kurzer Verkehrsunterbruch auf der Nationalstrasse/Bahn oder langer Verkehrsunterbruch auf Stras­sen ab 6.0 m Breite
  • minimal: kein Verkehrsunterbruch auf der National­strasse/Bahn oder kurzer Verkehrsunterbruch auf Stras­sen ab 6.0 m Breite.

Das langfristige Ziel ist, alle Stützmauern mit ihrer jeweiligen Standardgefährdungsklasse in die Kunstbautendatenbank KUBA aufzunehmen, um eine automatische erste Priorisierung zu ermöglichen. Eine Analyse durch einen Ingenieur, die weitere Kriterien wie die Mauerhöhe, den Verkehr, die hydrogeologischen Bedingungen und das Ausmass der Verkehrsbehin­derung einbezieht, könnte eine zweite Priorisierungsstufe bilden.

An der A9 erhielten 61 der 208 erfassten Bauwerke erste Priorität. Davon wurden 38 ohne vorgängige Untersuchungen vorsorglich verstärkt, um das Risiko auf stark frequentierten Abschnitten mit einem durchschnittlichen Tagesverkehr (DTV) von 40 000 bis 60 000 Fahrzeugen sofort zu mindern. Die übrigen 23 Bauwerke wurden im Jahr 2010 mit destruktiven Methoden untersucht. Nur vier der untersuchten Stützmauern benötigten keine vorsorg­lichen Massnahmen und wurden in die nächste UPlaNS aufgenommen.

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