Ori­ga­mi aus ge­krümm­tem Holz

Ibois Pavillon, Mendrisio

Das Forschungslabor für Holzkonstruktionen Ibois der EPFL hat 2013 in Mendrisio einen Pavillon aus gekrümmten Holzschalen aufgestellt. Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts berichtet über dessen interdisziplinären Entstehungsprozess.

Publikationsdatum
20-08-2014
Revision
16-02-2017

Seit 2006 forscht das Ibois im Bereich der komplexen Geometrien im Holzbau. Der Institutsleiter Prof. Yves Weinand untersucht den architektonischen Gestaltungsprozess anhand neuer Technologien und Formen. Dem Ingenieur und Architekten Weinand ist es ein Anliegen, den Graben zwischen den beiden Disziplinen zu überbrücken. Mit einem interdisziplinären Team, dem neben Architekten und Bauingenieuren auch Mathematiker und Informatiker angehören, lotet er die Möglichkeiten des Baustoffs Holz sowohl in numerischen als auch in physischen Modellversuchen aus.

Der Holzpavillon ist das jüngste realisierte Exemplar von mehreren in diesem Gebiet. Schon 2006 baute das Ibois eine Holzrippenschale, bei der geodätische Linien1 auf Freiformflächen appliziert wurden. Der damals entstandene Prototyp dient heute als Kinderspielgerät im Park der Vallée de la Jeunesse in Lausanne. 2008 kamen die Faltkonstruktionen des Ibois bei der Kapelle Saint-Loup in Pompaples VD erstmals konkret zur Anwendung. Die von der japanischen Faltkunst Origami inspirierten Strukturen erinnern weniger an traditionelle Holzkonstruktionen als an Skulpturen, Falt- oder Flechtwerke. Seit 2010 arbeiten die Forscher nun daran, die geometrischen und statischen Eigenschaften dieser Konstruktionen auf gekrümmte Oberflächen auszuweiten. Sie gehen von der Feststellung aus, dass gekrümmte Holzplatten über eine höhere Biegefestigkeit verfügen als ebene Elemente. 

Der inzwischen wieder abgebaute Pavillon in Mendrisio diente dazu, die planerischen und konstruktiven Ansätze des gekrümmten Holzbaus in die Praxis umzusetzen. Für den temporären Bau war keine Bewilligung nötig. Die Accademia di Architettura in Mendrisio stellte lediglich ein Gesuch bei der Gemeinde, auf deren Gelände der Prototyp installiert wurde.2 

Der Pavillon war 13.5m lang, 4.5m breit und bis zu 3.2m hoch. Er bestand aus fünf gekrümmten Brettsperrholzplatten, wovon zwei als Wand- und drei als Dachelemente dienten. So konnte die Struktur mit nur 77mm Holzstärke Spannweiten von bis 13.5m überbrücken. Die Platten wurden an ihren Rändern mit Holz-Holz-Verbindungen zusammengefügt.

Fügung und Festigkeit der Kurve

Das bereits für die Holzfaltwerke programmierte Entwurfswerkzeug wurde für die gekrümmten Oberflächen weiterentwickelt. Aufgrund verschiedener Parameter wie Krümmungsradius, Winkel oder Verbindungsgeometrie wurde die Form des Pavillons generiert. Durch die Rückkopplung mit den statischen Analysen lässt sich die Form iterativ optimieren. Die praktische Umsetzung und die Eigenschaften des Materials setzen weitere Rahmenbedingungen.3 

Anhand der numerischen Simulation massgebender Lastkombinationen wurde die notwendige Stärke der Brettsperrholzplatten ermittelt. Am Pavillon zeigte sich, dass die Kombination von konkaven und konvexen Platten die Gesamtkonstruktion steifer macht. Die entgegengesetzt gekrümmten Platten halten Kräften senkrecht zur Ebene stand, die normalerweise dazu neigen, die Krümmungen einzuebnen. 

Die Forscher haben bei der Projektierung ein Modell des Pavillons im Massstab 1:5 erstellt, um die fertigungstechnischen Herausforderungen besser abschätzen zu können. Die Holzverbindungen wurden dann zusammen mit dem Bauunternehmer am Modell im Massstab 1:1 in ihrer Endform entwickelt. 

Das Herstellungsverfahren war eine Entwicklung des Unternehmers Merk: Um die Herstellungskosten der gekrümmten Formen zu optimieren, wurde für die fünf Bauteile des Pavillons jeweils dieselbe Krümmung mit einem Radius von 5.9m verwendet. Eine Lage 15.4mm dicker Fichtenholzbretter wurde in dieser Form genagelt. Anschliessend wurden vier weitere Schichten kreuzweise darauf angeordnet und miteinander verklebt, bis eine 77mm dicke Brettschichtholzplatte entstand. Damit sich die Schichten infolge der Zwangsbiegung nicht wieder voneinander lösten, wurden sie zusätzlich mit Aluminiumnägeln verbunden. Nachdem der Einkomponenten-Polyurethankleber trocken war, wurden die Nägel der Einfachheit halber gleich im Holz gelassen, denn sie sind weich genug, um direkt mit dem Holz zugeschnitten zu werden. 

Die Schwalbenschwanzverbindungen zwischen den Wänden und dem Dach ermöglichten ein passgenaues Zusammenfügen der gekrümmten Elemente. Für die Verbindung der konkav und konvex gekrümmten Platten im Dach war jeweils ein Zwischenstück aus Furniersperrholz notwendig. Diese blieben in der Endkonstruktion sichtbar, was nicht nur einfacher umzusetzen war, sondern auch eine ästhetische Wirkung hatte. Mit dieser zusätzlichen Verbindungstechnik konnte der Zuschnitt vereinfacht und die Herstellungszeit verkürzt werden. Die Holzkonstruktion wurde an acht Punkten im Boden fixiert. Dafür wurde ausnahmsweise ein Stahlprofil in die Holzplatten eingeschlitzt und geschraubt.

Der vorgestellte Pavillon zeigt nur eine der vielen Anwendungsmöglichkeiten von gekrümmten Holzplattenkonstruktionen auf. Das Entwurfswerkzeug dürfte sich auch für nachfolgende Forschungsprojekte anpassen lassen. Die Statiksimulationen werden nach wie vor eine Rolle bei der Formgebung haben. Die so berechneten Formen müssen nicht nur statische, sondern auch Transport- und Montageanforderungen erfüllen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Rahmen- oder Gewölbekonstruktionen hat der Pavillon vier anstatt zwei Knicke in der Ansicht. Diese könnte man aus ästhetischer Sicht als Abweichung von der Klarheit der Form infrage stellen. Aus konstruktiven Gründen waren sie dennoch notwendig, denn drei Flächen lassen sich schwer in einem Punkt zusammenfügen.

Die Entwicklung der verschiedenen Verbindungstypen ist zurzeit Gegenstand der Dissertationen von Christopher Robeller und Stéphane Roche vom Ibois. Die Ergebnisse ihrer technischen Studien am Pavillon eröffnen neue Möglichkeiten für gekrümmte Holzkonstruktionen. So hat sich gezeigt, dass das manuelle Zusammenfügen mit Verbindungselementen zeitaufwendiger ist als mit der Schwalbenschwanztechnik. Die konkrete Umsetzung und die Widerstandsfähigkeit gegen Witterungseinflüsse bedürfen aber noch weiterer Untersuchungen.  

Ein Plädoyer für den modernen Holzbau

Der Pavillon entwickelte sich schnell zum beliebten Treffpunkt für Apéros, Picknicks und Anlässe der Studierenden und Dozierenden der Akademie. Darüber hinaus beweist er, dass Holzkonstruktionen von dieser Spannweite ohne Rippen und mit dünneren Holzstärken als bisher gebaut werden können. Die Krümmung steift das Tragwerk aus und erweitert dadurch die bisherigen statischen Grenzen – und ebnet so den Weg zu neuen architektonischen Formen. 

Die aktuelle Forschung verspricht vielfältige Anwendungsmöglichkeiten des Werkstoffs Holz, deren Potenzial dieser Pavillon erahnen lässt. Der Holzbau hat sich von einer handwerklichen zu einer industriellen Bauweise entwickelt und findet heute seine Fortsetzung in digitalisierten Entwurfs- und Herstellungsprozessen. Numerische Berechnungen und digitalisierte Produktion ermöglichen die Fertigung individueller Formen zu einem relativ geringen Preis. Somit sollte der Pavillon als Prototyp fungieren und die technische Machbarkeit dieses Ansatzes beweisen. Nicht nur für Bushaltestellen und Überdachungen, sondern auch für grössere Projekte könnten diese Versuche neue Impulse geben. Nach Ansicht von Yves Weinand gibt es hinsichtlich der Grösse keine Grenzen.

Projektierung: Laboratoire de la construction en bois, Lausanne (Ibois-EPFL, Prof. Yves Weinand): Christopher Robeller, Sina Nabaei
Ausführende Firma: Merk Timber GmbH, Aichach (D)

Anmerkungen
1 Die geodätische Linie ist die lokal kürzeste Verbindungskurve zweier Punkte. Ein gerades Holzbrett, das nach diesem Prinzip auf eine frei geformte Fläche gezwängt wird, wird nicht auf Biegung um die starke Achse beansprucht – das erhöht seine Formbarkeit.
2 Weitere Informationen zum Pavillon: C. Robeller; S. Nabaei; Y. Weinand: «Design and Fabrication of Robot-Manufactured Joints for a Curved-Folded Thin-Shell Structure Made from CLT», in Robotic Fabrication in Architecture, Art and Design, Wien/New York 2014, S. 67–81.
3 So Antoine Picon: «In ihren klarsichtigsten Momenten, in denen sie nicht auf spektakuläre Überraschungseffekte aus ist, ist sich die digitale Architektur bewusst, dass eine ihrer zentralen Aufgaben darin besteht, die sich ständig verändernde Grenze zwischen der physischen und der digitalen Welt auszuloten.» (Antoine Picon: Digital Cultur in Architecture: An Introduction for the Design Professions. Basel 2010).

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