«Nut­zungs­gren­zen im Un­ter­grund»

Erdsondenfelder als junge Energietechnologie

Geothermische Energiesysteme sind – anders als konventionelle ­Wärmequellen – in die Gebäudeplanung einzubeziehen. Thomas Mégel sammelt seit Langem Erfahrungen im Umgang mit Erdsondenfeldern.

Publikationsdatum
26-02-2015
Revision
06-10-2015

TEC21: Herr Mégel, Sie waren an der Realisierung der ersten grossen Erdwärme-Pilotanlagen beteiligt. Welche Erfahrungen lassen sich inzwischen aus dem Einsatz der jungen Technologie ziehen 
Thomas Mégel: Die positive Erkenntnis ist: Bei der Auslegung von Erdwärmesystemen haben wir ein sehr präzises Niveau erreicht. Schwierigkeiten entstehen im Betrieb allerdings dann, wenn das Nutzungskonzept oder die Leistungsdimensionierung in der Projektphase geändert worden ist. Erdsonden, die unter oder neben einem Haus abgeteuft oder verlegt werden, sind das Erste, was es zu bauen gibt. Daher ist die Fachplanung für ein Erdwärmesystem sehr früh auf präzise und klare Nutzungskonzepte angewiesen. Bei konventionellen Energiequellen kann die technische Umsetzung im Verlauf der Gebäudeplanung meistens zu einem späten Zeitpunkt erfolgen. Sind geothermische Anlagen vorgesehen, ist deshalb der Ablauf in der auf ein Gebäude oder Areal ausgerichteten Gesamtplanung weitsichtig umzusetzen. 

Wie kann die Planung verbessert werden 
Mégel: Um die Schnittstelle zwischen Gebäude und geothermischem Versorgungssystem besser in den Griff zu bekommen, führen wir vermehrt Gebäude­simulationen durch. Anstatt die Planung auf Normen abzustützen, können wir die gebäude­spezifischen Ansprüche präzisieren und simulieren.

Lassen sich konventionelle Heiz- oder Kühlanlagen in einem Planungskonzept ansonsten problemlos durch Erdwärmesysteme ersetzen 
Mégel: Die Wahl verändert nicht nur den Planungsablauf, auch die Spezifikation der Energiebereitstellung und des gebäudebezogenen Energiebedarfs ist daran anzupassen. Das Energievolumen aus dem Untergrund ist nämlich nicht unbeschränkt nutzbar. Während konventionelle Heiz- und Kühl­anlagen einzig auf den jeweiligen Leistungsbedarf ausgelegt sind, muss ein geothermisches Versorgungssystem auch die jährliche Energiebezugsmenge berücksich­tigen können. Erdspeicheranlagen funktionieren dynamisch und sind jeweils auf die Energieverteilung übers Jahr spezifiziert. Das Grundstück inklusive Untergrund bildet das Energiepotenzial; die Grösse des Erdspeichers definiert die übers Jahr nutzbare Energie. Daraus ergeben sich Nutzungsgrenzen.

Eine Studie der Stadt Zürich hat diesbezüglich für Aufregung gesorgt. Demnach ist das geothermische Energiepotenzial begrenzt. Wird der Untergrund als erneuerbare Energiequelle überfordert 
Mégel: Für die Wärmeversorgung von Ein­familienhäusern sind einzelne Erdsonden mit genügend Abstand, wie bis anhin propagiert, vorbehaltlos anwendbar. Nach kurzer Betriebszeit balanciert sich der Energieaustausch zwischen Untergrund und Gebäude auf einem nachhaltigen Niveau ein. Im Sommer fliesst so viel Wärme nach, wie die Erdsonde im Winter herausgezogen hat. Eine Auslegung nach der SIA-Norm bietet Gewähr, dass die Sondentiefe und die Dimensionierung der Wärmepumpe einfach und zweckmässig bestimmt werden können. Dennoch gilt, dass steiniger Boden ein schlechter Wärmeleiter und eher ein Isolator ist.
Der Wärmefluss lässt sich mit einem Grundwasserbrunnen vergleichen. Die hydraulische Durchlässigkeit im Untergrund limitiert die Nutzung: Wird zu viel Wasser gewonnen, senkt sich der Spiegel. Die Studie der Stadt Zürich weist korrekterweise darauf hin, dass die Nachhaltigkeit der Geothermie nicht per se gegeben ist. Dies wirkt sich vor allem im urbanen Raum bei zunehmender Erdsondendichte aus. Sonden, die sich zu nah kommen, graben einander nämlich die Wärme ab.

Sind schon Fälle von gegenseitigem Wärmeentzug aufgetreten 
Mégel: Mir ist bisher kein solcher Nachbarstreit bekannt. Trotzdem ist absehbar, dass sich die zunehmende Ausbaudichte im Untergrund bemerkbar machen wird. Wird dem Untergrund über Jahrzehnte Wärme entzogen, breitet sich ein Kältetrichter auf eine Distanz von 20 bis 30 m aus. Geraten zwei benachbarte Erdsonden gegenseitig in ihren thermischen Einflussbereich, verschlechtert sich der Wirkungsgrad der daran gekoppelten Wärmepumpenanlage. Eine Regeneration im Untergrund würde diesen Effekt hingegen begrenzen. 

Welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen 
Mégel: Statt reine Wärmeentzugssysteme für die Gebäudeversorgung zu konzipieren, ist vermehrt auf Erdspeicherung oder aktive Regeneration zu achten. Bei einem effektiv nachhaltigen Geothermie­system wird zusätzliche Wärme in den Boden geleitet. In warmen Zeiten bieten sich Solarkollektoren oder Rückwärmeanlagen an, um den Untergrund aktiv zu regenerieren. 

Auch in Einfamilienhausquartieren besteht die Gefahr, dass der Untergrund thermisch übernutzt wird. Können hier Wärmepumpenanlagen mit Kühlzusatzfunktion als Regenerator zum Einsatz kommen 
Mégel: Die Kühlung eines Wohnhauses über Erdsonden ist ein Komfortgewinn. Der thermische Regenerationseffekt im Untergrund bleibt jedoch gering. Im Vergleich zur Kühlung von Büroräumen fliesst viel weniger Wärme in den Untergrund. Eine Option zur nachhaltigen geothermischen Nutzung in eng gebauten Wohngebieten wäre dagegen, auf tiefere Erdsonden auszuweichen. Dadurch erhöhen sich das angezapfte Wärmeniveau und der Wirkungsgrad. Gleichzeitig steigen aber die Kosten für das tiefere Bohrloch. Eine Option ist, eine aktive Regeneration zu installieren.

Ist die aktive Regeneration bei grossen Erdwärme­anlagen aus technischer Sicht zwingend 
Mégel: Nicht unbedingt zwingend; auf jeden Fall aber sollen vertiefte Analysen zeigen, wie nachhaltig der Untergrund vor Ort genutzt werden kann. Bei Erdsonden sind die Abstände zu Nachbarn und die Tiefe zu klären sowie mögliche Regenerations­varianten aufzuzeigen. Im urbanen Raum wäre es zudem vorteilhaft, wenn die Behörde mit der Bewilligung ein nachhaltiges Nutzungsmass voraussetzt. Der Erdwärmemarkt ist eine Erfolgsgeschichte und hat in kurzer Zeit einen beachtlichen Stand erreicht. Nun ist es an der Zeit, Investoren und Bauherrschaften vermehrt auf den Regenerationsbedarf im dicht besiedelten Raum hinzuweisen. 

Regenerations- und Speicherkonzepte sind eine beliebte Energieversorgungsvariante für gemischte Büro- und Wohnareale. Wie gut passen die Ansprüche und das Energieangebot zueinander  
Mégel: Einerseits gut, weil die Abwärme direkt vor Ort genutzt werden kann. Andererseits werden die verschiedenen Nutzungsformen voneinander abhängig gemacht: Bürogebäude sind dadurch Energieproduzenten; Leerstände in der Vermietung verursachen ein Ausfallrisiko für die Energieversorgung. Hohe Versorgungssicherheit garantieren oft nur zusätzliche, redundante Systeme. Die Erdwärme­nutzung wird daher häufig in ein bivalentes Energieversorgungssystem eingebunden. Bei monovalenten Geothermieanlagen Reservekapazitäten oder Regenerationsanlagen vorzusehen oder diese mit maximaler Leistung auszustatten ist möglich, aber eine Kostenfrage. 

Sie haben die Schnittstelle zwischen Gebäudeplanung und geothermischer Energieplanung angesprochen. Was sind weitere Schwierigkeiten, die bei der Realisierung von Erdsondensystemen auftreten 
Mégel: Ein generelles Problem ist die Qua­li­tätssicherung beim Bohren und Abteufen der ­Erd­sonden, namentlich Hinterfüllung und Durchfluss können mangelhaft sein. Der Knackpunkt ist: ­Erd­sonden sind mittlerweile ein Massengeschäft, und die Bohrfirmen stehen unter grossem Preisdruck. Die Qualitätssicherung ist schwierig durchsetzbar; im Nachhinein lassen sich Mängel jedoch nur mit grossem Aufwand lokalisieren und beheben. Eine saubere Abnahme mit Qualitätsnachweis oder Prüfprotokoll gemäss der SIA-Norm schützt aber auch den Unternehmer, falls später Probleme auftreten. Einsicht und Bewusstsein sollen nicht erst mit Schadensfällen wachsen. 

Wie zeigen sich die Qualitätsmängel in der Realität? Bleiben die Häuser kalt 
Mégel: Solange die Heizung im Betrieb ­irgendwie funktioniert, fällt ein Mangel kaum auf. Trotzdem sind erdgekoppelte Wärmepumpenanlagen mit schlechtem Wirkungsgrad nicht ganz selten. Ob die Wärmepumpe schlecht eingestellt ist oder der Mangel eher bei der Erdsonde liegt, lässt sich nachträglich schwer feststellen – ausser man analysiert Stromverbrauch und Temperaturverlauf jeweils ganz genau.  

Welche Fragen sind hinsichtlich der geothermischen Nutzung noch zu erforschen 
Mégel: Zu erforschen gibt es eigentlich nicht mehr viel. Die grössten Wissenslücken betreffen Erkenntnisse aus den ersten Betriebserfahrungen einer Anlage. Zu oft kommt es vor, dass Neuanlagen kaum kontrolliert werden und auf ein rigoroses ­Funktionsmonitoring verzichtet wird. Zur Nutzung der geothermischen Quellen sind vor allem auch Schnittstellen zu beachten (vgl. «Damit die Linke weiss, was die Rechte tut»), weil verschiedene Kom­ponenten von der Erdsonde bis zur Wärmepumpe interagieren. Das heisst, um die versprochene ­Leistung erreichen zu können, braucht es jeweils eine Gesamtschau.

 

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