Nach­hal­tig auf «al­pen­län­di­schem Ni­veau»

Im Gespräch mit Werner Sobek, Jurymitglied der Auszeichnung «Umsicht»

Zum ersten Mal war der renommierte Ingenieur und Architekt Werner Sobek aus Stuttgart Mitglied der «Umsicht»-Jury. Im Gespräch spricht er über das Spezifische der Auszeichnung und die interdisziplinären Qualitäten von Nachhaltigkeit. 

Publikationsdatum
15-12-2016
Revision
15-12-2016

SIA: Herr Sobek, Sie haben erstmals an der Jurierung von «Umsicht – ­Regards – Sguardi» teilgenommen. Was unterscheidet diesen Jurierungsprozess von anderen?

Werner Sobek: Ich nehme nur noch selten an Jurys teil – vor allem, weil mich viele Abläufe bei den einschlägigen Jurierungs­prozessen in Deutschland nicht befriedigen. Bei «Umsicht» war es eine wunderbare Jury, die sich durch eine sehr breite fachliche Zusammensetzung ausgezeichnet hat – was angesichts der Vielfalt der eingereichten Arbeiten erst eine wirklich kompetente Bewertung ermöglichte. Und wir waren nicht durch einen zu eng gefassten Zeitrahmen gedrängt, die Dinge eher abzuhandeln als zu disku­tieren. Dass man dann eine Endrundenauswahl schafft mit einer gehörigen Anzahl von Arbeiten,
die aufgesucht werden, um sich ein persönliches Bild machen zu können, finde ich formidabel.

SIA: Nachhaltige und energieeffiziente Projekte sind Ihnen aus jahrzehntelanger Projektarbeit vertraut. Haben Sie hier trotzdem neue Ansätze entdeckt oder etwas gelernt?

Werner Sobek: Man lernt immer etwas! Zum einen waren teilweise sehr einfache Ansätze da – und das mei-ne ich in keiner Weise negativ –, die auch eine hohe poetische Qualität aufwiesen. Zum anderen zeigte sich bei vielen Projekten, dass die Planer bewusst versucht haben, die Komplexität zu reduzieren. Im Einzelnen können die Elemente für sich dann immer noch sehr anspruchsvoll oder gar Hightech sein, aber der systemische An-satz zielt auf eine Reduktion der Komplexität. Das ist eine wichtige Entwicklung.

SIA: Wie sehen Sie die eingereichten Schweizer Projekte im internationalen Vergleich?

Werner Sobek: Unter dem Gesichtspunkt des nachhaltigen Bauens lassen sich meines Erachtens zwei Niveaus differenzieren. Es gibt ein, wie ich es nenne, «alpenländisches Niveau» – Norditalien, Schweiz, Österreich und Deutschland – das sich durch sehr hohe Standards und eine seit vielen Jahren intensive Beschäftigung mit diesen Fragestellungen auszeichnet. Es gibt zwischenzeitlich auch in Südkorea und in China ein sehr starkes Engagement und konti­nuierlich steigende Standards im Bereich des nachhaltigen Bauens. Wenn wir allerdings auf den amerikanischen Kontinent schauen, insbesondere Nordamerika, wo man es sich eigentlich leisten könnte, verantwortbar zu bauen, oder Südamerika und Afrika, ist das Niveau ein völlig anderes.

SIA: Was identifizieren Sie als spezifisch schweizerische Stärken in der ­Planung?

Werner Sobek: Die Schweizer Planenden liefern Spitzenqualität. Zugleich zeichnet sich ihre Arbeit durch eine hohe Sorgfalt, aber auch durch eine umfassende und tief gehende Diskussion aus. Die Stärke liegt darin, sich in kompetenter Art und Weise im Gesamtkomplex des nachhaltigen Bauens zu bewegen – also von nicht fossilen Energiequellen über die CO2-Emissionen bis hin zur Materialreduktion und dem recyclinggerechten Konstruieren ganz unterschied­liche Aspekte gleichzeitig im Blick zu behalten.

SIA: Die «Umsicht»-Initiatoren vertreten die These, wirklich beachtenswerte nachhaltige Planungs­lösungen könnten heute nur noch von interdisziplinären Teams ­erarbeitet werden. Trifft das zu?

Werner Sobek: Ja, das trifft zu. Punkt. Das Bauen war ja schon immer ein interdisziplinärer Vorgang; dieser ist nun allerdings seit einigen Jahrzehnten von einer immer weiter steigenden Komplexität gekennzeichnet.

SIA: Was sind denn die Hauptprobleme?

Werner Sobek: Auf der einen Seite erleben wir eine zunehmende Fokussierung auf die juristische Lösung strittiger oder künstlich strittig gemachter Punkte – Dinge wie nicht eingehaltene Kostenansagen oder nicht eingehaltene Termine, angeblich unvollständige Planungen usw. usw. erschweren nicht nur die planerische Arbeit, sie ­vergiften auch das Klima zwischen den Beteiligten und können schnell existenzgefährdend werden.
Auf der anderen Seite haben wir durch eine geradezu explodierende Vielfalt unterschiedlichster Baustoffe kaum noch die Möglichkeit, uns einen tief gehenden Einblick zu verschaffen. Beispiels­weise, was Recyclingqualitäten, biotoxische Phänomene (oder bei diesen Baustoffen eventuell versteckte Kinderarbeit) angeht. Dazu kommt, dass wir fossile Energien vermeiden wollen, materialsparend und recyclinggerecht bauen – aber gleichzeitig soll es atemberau­bend schön werden.
Die aus all dem resultierenden Komplexitätssteigerungen sind dramatisch. Ein einzelner Planer kann sie gar nicht mehr beherrschen. Da braucht sich niemand etwas einzubilden, ich gehöre auch nicht dazu. Dieser enormen Komplexität kann man nur noch mit einem Teamansatz begegnen, mit interdisziplinärer, integraler Planung. Hierüber wird schon seit min­destens 40 Jahren gesprochen, hauptsächlich sonntags, gelebt wird es aber faktisch nicht. Es wird vielleicht deshalb nicht gelebt, weil man innerhalb eines Teams natürlich jemanden braucht, der vorangeht. Aber der Vorangehende – typischerweise der Architekt – muss so viel Anstand haben, andere, die Wesent­liches beigetragen haben, später auch mit auf das Podest zu heben.

SIA: Konnten Sie in der «Umsicht»-Jury den Teamansatz bei allen Arbeiten erkennen?

Werner Sobek: Es war interessant, dass wir bei den «Umsicht»-Einreichungen einige hervorragende Architekturarbeiten sahen, bei denen aber die beteiligten Ingenieure, deren Arbeit man überall durchschimmern sah, nicht in angemessener Weise gewürdigt wurden. Ingenieure, die in einem Projekt wichtige Dinge einbringen, werden in vielen Architekturmagazinen nicht einmal in der Liste der Projektbeteiligten aufgezählt. Angesichts einer solchen Behandlung ist es verständlich, wenn die beteiligten Ingenieure beim nächsten Mal nur ein bedingtes Engagement zeigen. Woher soll die Motivation kommen?

SIA: In welche Richtung wird sich nachhaltiges Planen und Bauen in den kommenden Jahren ent­wickeln? In Richtung von noch mehr Technologie und Digi­ta­li­­sierung – oder zu bewusster Reduktion von Komplexität, inklusive der Low-Tech-Ansätze?

Werner Sobek: Ich bin davon überzeugt, dass wir eine Kopplung zwischen Mobilität und Immobilität herbeiführen müssen. Das, was sich in der Mobilität durchsetzen wird, ist ein autonomes und elektrisches Fahren, zumindest in den Städten und Dörfern. Die elektrische Stadt ist die Zukunft. Wir werden dann auch in ganz anderer Art und Weise mit Fragen der Strassenraum­gestaltung umgehen. Wenn die Leute kein Auto mehr besitzen, nur noch Call-on-Demand nutzen, dann braucht es vor allem Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten, aber sehr viel weniger Parkplätze. Dadurch kann man künftig wesentlich dichter bauen.
Ein zweiter wichtiger Aspekt ist, dass wir angesichts der globalen Bevölkerungsexplosion künftig mit weniger Material für mehr Menschen bauen müssen. Das ist nur erreichbar, wenn wir leichter und gleichzeitig recyclinggerecht bauen, sodass man das Material, das wir verbauen, später wieder in sortenreine biologische oder technische Kreisläufe zurückführen kann.
Ein drittes wichtiges Thema ist für mich, dass wir – nicht nur im Bauwesen – immer nur von Energieeffizienz sprechen. Dabei wissen wir, dass wir faktisch kein Energieproblem haben, denn die Sonne trägt 10 000 Mal mehr Energie auf die Erde ein, als die Menschen überhaupt benötigen. Wir aber benutzen immer noch fossile Energieträger, insbesondere auch zur Herstellung der Baustoffe und Gebäude (graue Energie). Wir müssen in der gebauten Umwelt, aber auch in der Bauwirtschaft selbst, die Umstellung auf nicht fossile Energie viel stärker vorantreiben, als wir es bisher getan haben.
Das sind die drei grossen technischen Herausforderungs­felder, die ich als hauptsächlich erachte. Dass das Ganze nie und nimmer in irgendeine Entsagungsästhetik führen darf oder in ein Low-Tech im trivialsten Sinn, darüber sind wir uns einig. Es wird wahrscheinlich subkomplex im Ganzen sein, aber relativ komplex im Einzelnen – denkt man beispielsweise an ein Haus, das mit antizipativer Heizung, Kühlung und Lüftung ausgestattet ist und vorausschauend agiert. Dies er­fordert relativ wenig technisches Gerät, muss aber angemessen ­geplant werden. Die Behauptung vieler Architekten, je weniger Technik man verwende, desto ­besser sei es, ist nach meinem ­Dafürhalten ein Irrweg.

«Umsicht – Regards – Sguardi»

Die Auszeichnung des SIA für die zukunftsfähige Gestaltung des Lebensraums Schweiz wird am 22. März 2017 im Neubau des Landesmuseums in Zürich zum vierten Mal vergeben.
Die Jury hat schon am 30. September 2016 getagt und ihre Wahl getroffen.
www.sia.ch/umsicht

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