Mehr als schö­ne Bil­der

Kunst in Wiener Geriatriezentren

Programme, die Anreize zur Bewegung und zur geistigen Betätigung geben, sind ein wichtiger Aspekt in der geriatrischen Pflege. In Wien gehört es zum Programm der Häuser, temporäre Ausstellungen anzubieten, zudem hat der Wiener Krankenanstaltenverbund Künstler dazu eingeladen, ortspezifische und gebäudeintegrierte Arbeiten zu entwickeln, die das Ziel haben, positiv und anspornend zu wirken.

Publikationsdatum
23-08-2012
Revision
01-09-2015

Ehe sie ihre Interventionen an Glasflächen im neu erbauten Geriatriezentrum Liesing (s. «Neue Geriatriezentren in Wien») umsetzten, haben die Wiener Künstler Bele Marx und Gilles Mussard mehrere Monate lang mit den künftigen Bewohnerinnen gearbeitet. Sie besuchten die Menschen, kochten mit ihnen, nahmen an der Ergotherapiegruppe teil, schickten Postkarten von ihren Reisen und erfuhren so einerseits viel über die verschiedenen Lebensgeschichten und über das Leben im Geriatriezentrum. Andererseits wurden die Besuche des Künstlerpaares von Bewohnern wie Personal als bereichernd empfunden. Es ist möglich, dass aus dieser intensiven Auseinandersetzung weitere künstlerische Arbeiten entstehen.

Kaleidoskop aus Sternenstaub

«Wisst ihr, ich habe Sternenstaub auf mich rieseln lassen.» Aus den Buchstaben dieses Zitats eines Heimbewohners setzt sich die am Muster eines Kaleidoskops orientierte Gestaltung der Verglasung des Eingangsbereiches zusammen. Das Kaleidoskop wird hier zum Sinnbild für den Eintritt in eine andere Welt, das Buchstabengewirr zur Metapher für das Innenleben der Menschen. An einer Stelle fügt es sich wieder zu einem – nur vom Rollstuhl aus – erkennbaren Satz. Weitere Bewohnerzitate, die im Zuge der Künstlerbesuche gefallen sind, finden sich als Durchlaufschutz an Glasflächen in den Erschliessungsspangen.
Im Vorraum des Andachtsraumes schafften die Künstler mit einem im kaleidoskopartig aufgesplitteten Detail einer Häkelarbeit aus der Ergotherapiegruppe, das sich über die ganze Glasfläche erstreckt, eine ruhige Atmosphäre von heiterer Grundstimmung. Der Andachtsraum selbst liegt als holzverkleidete Schatulle unter dem aufgeständerten Gartentrakt. Innen mit Holzboden und gestockten Sichtbetonwänden ausgestattet, strahlt er eine erdige Ruhe aus. Die Künstlerin Svenja Deininger verlieh ihm mit einem strahlend weissen Faltobjekt, einer Textilarbeit und einem schlanken Holzkörper Akzente, die seine sakrale Ausstrahlung unterstützen.

Licht, Farbe, Reflexion

Im Pflegewohnhaus Simmering ergänzte der Künstler Friedrich Biedermann den als kristalline Betonskulptur ausgeformten – bewusst keiner Konfession zugeordneten – Andachtsraum mit einer medialen Lichtinstallation, die flächenbündig in Form von zwei gegenüberliegenden Dreiecken in die Betonhülle eingelassen ist und je nach gewünschter Stimmung mit unterschiedlichen Programmen bespielt werden kann. Einem Wunsch vor allem der katholischen Kirche entsprechend, wurde zentral im Erdgeschoss auch ein christlicher Gebetsraum eingerichtet. Siegrid Kurz gestaltete die Glaswände dieses Raumes mit einer Art Sonnenmotiv nach aussen als besonderen Ort und verlieh ihm nach innen eine intime, warme Grundstimmung.

Innere Landschaft

Im Pflegewohnhaus Meidling (Architektur: Hermann & Valentiny) gestaltete die junge Künstlerin Anna Zwingl den Andachtsraum, dessen ellipsenförmige Konfiguration und dessen Materialität weitgehend schon von der Architektur vorgegeben waren. In Anlehnung an eine gestalterische Ästhetik aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts schafft sie einen konzentrierten, in sich ruhenden Ort, der keine konkreten Kennzeichen einer spezifischen Konfession aufweist.
In den Stationen schuf die Künstlerin Julie Monaco in Kooperation mit dem Fotografen Davin Auner eine alle Pflegegeschosse und Stationen umfassende Installation von Landschaftspanoramen, die über die im Kern des Gebäudes situierten Raumgruppen gespannt sind. Die in Österreich aufgenommenen Gebirgs-, Wasser- oder Wiesenlandschaften öffnen den Raum in dem auf sehr kompaktem Grundriss organisierten Gebäude und appellieren an emotionale und sensorische Bedürfnisse der Bewohner. Es sind keine Bilder, wie wir sie aus dem Fremdenverkehrsprospekt kennen, sondern – wie wohl per GPS-Daten geografisch verortet – möglichst neutrale Landschaften, die menschenleer und auf Naturelemente wie geologische Formationen, Witterung und Vegetation konzentriert sind. In Abstimmung mit den Fachleuten aus der Pflege wurde darauf geachtet, keine Bildsituationen zu verwenden, die für die dementen Menschen irritierend oder gar furchteinflössend sein könnten. Die Künstlerin fügte surreale Details in die Bilder ein – Himmelskörper, Duplikationen von Gebirgsformationen, Reflexionen, florale Motive – und schuf so Vexierbilder, die zur «Fehlersuche» animieren. Die Werke sind daher auf etlichen Wahrnehmungsebenen auch langfristig mehr als nur schöne Bilder. 

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