«Um­sich­tig»: Flan­kie­ren­de Mass­nah­men West­um­fah­rung Zü­rich

Umsicht – Regards – Sguardi 2013

Das Projekt wurde im Rahmen der letzten Auslobung der Auszeichnung «Umsicht – Regards – Sguardi» mit einer Anerkennung geehrt.

Publikationsdatum
22-03-2017
Revision
22-03-2017

Städtische Umfahrungstrassen führen nicht zwangsläufig zu einer Verkehrsberuhigung im Stadtraum. Das zeigte sich in -Zürich bereits in den 1980er-Jahren, als die Nordumfahrung in Betrieb genommen wurde. Die Rosengartenstrasse als bisherige Route wurde kurzfristig entlastet, langfristig stieg die Verkehrsbe-lastung allerdings wieder auf den Wert vor der Eröffnung im Jahre 1985 an. Die Stadt Zürich hat daraus gelernt, und als der Kanton im Jahr 1991 das Projekt der Westumfahrung Zürich in Angriff nahm – Autobahnen lagen bis 2008 in der Verantwortung der Kantone –, forderte sie mit Unterstützung von -Umweltverbänden die Einrichtung von flankierenden Massnahmen. Sie gelangte damit bis vor das Bundesgericht, das 1996 ein wegweisendes Urteil im Sinn der Beschwerdeführerin fällte (Abb. 02).

Seitdem sind in der Schweiz flankierende Massnahmen zum Schutz der Stadtquartiere und Dörfer beim Bau von National- und Umfahrungsstrassen unbestritten und zum Teil bereits vor denen in Zürich umgesetzt worden. Dort wurden die flankierenden Massnahmen erst nach der Eröffnung der Westumfahrung zwischen 2009 und 2012 umgesetzt (vgl. TEC21 17 / 2009). Sie konzentrieren sich auf das Quartier Aussersihl sowie das Gebiet Waldegg / Albisrieden mit Fokus auf den Raum der beruhigten Verkehrsachse West-, Sihlfeld- und Bullingerstrasse. In ihrer Komplexität, Grös-senordnung und Vielschichtigkeit gehen die Massnahmen deutlich über zuvor umgesetzte Projekte hinaus. 

Für die Neugestaltung der Strassen und Plätze wurden zahlreiche Ortsbildstudien durchgeführt. Es waren funktionale Vorgaben und Ziele, die die neue Formensprache bestimmten. Ortsübergreifende gestalterische Ansprüche wurden bewusst beschränkt. Der über 40 Jahre lang vernachlässigte und nun zurückgewonnene Stadtraum macht überraschende urbane Erlebnisse möglich. Stadtleben und Architektur können neu entdeckt und mit Musse erlebt werden. Neuer Raum lädt die Quartierbewohner zum Mitgestalten ein. Das ist heute zu sehen beim umgestalteten Bullingerplatz oder bei den zwar bereits vorhandenen, aber erst jetzt sichtbaren, neu benannten Plätzen Anny-Klawa-Platz und Brupbacherplatz.

Einzelne Bereiche erfüllen trotz teilweise verengten Fahrbahnen weiterhin in selbstverständlicher Weise die Funktion als inner-städtische Hauptverkehrsstrassen, allerdings mit deutlich reduziertem Verkehr. Der Individualverkehr wird zudem mittels Lichtsignalen am Stadtrand und an verkehrsbelasteten Quartieren dosiert. Der öffentliche Verkehr hat nun freie Fahrt. Neu gestaltet oder wesentlich verbessert wurden auch die Fuss- und Radwege in Längs- und Quer-richtung der ehemaligen Transitachse.

Die Verfasser und Projektbeteiligten haben Strassenbau als einen interdisziplinären, integrativen planerischen Prozess verstanden und mit umsichtigem Vorgehen die anvisierte Verkehrsentlastung tatsächlich erreicht. Die in den betroffenen Quartieren angestrebte Verkehrsberuhigung hat sich deutlich eingestellt, die Lebensqualität ist infolgedessen markant gestiegen. 

Die Dynamik der Veränderungen in den von den flankierenden Massnahmen betroffenen Quartieren mit ihren insgesamt über 58 000 Bewohnerinnen und Bewohnern ist beeindruckend und dank deren Teilhabe auch sozial verträglich. Nicht zuletzt profitieren von der Aufwertung der Quartiere auch Genossenschaftssiedlungen, ansässige gastronomische Betriebe und Geschäfte. Wie sich die Dynamik weiterentwickelt, ist derzeit offen. Der von Stadt und Kanton Zürich erfolgreich initiierte Prozess lässt bewusst einen experimentellen und damit spannenden Vorgang zu.     

Mit «Umsicht – Regards – Sguardi» zeichnet der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein SIA «umsichtig» ausgeführte Werke, Produkte und Instrumente unterschiedlicher Art und Grössenordnung aus, die sich exemplarisch mit unserer Umwelt auseinandersetzen und in besonderer Weise zu einer zukunftsfähigen Gestaltung des Lebensraumes Schweiz beitragen. Die Preisverleihung findet am 22. März 2017 im Landesmuseum Zürich statt. Weitere Infos: www.sia.ch/umsicht

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