Ab durch die Mit­te

Studienauftrag Marktplatz Flawil SG

Auf dem Marktplatz von Flawil werden heute Autos parkiert und Abfall entsorgt. Eine neue Freiraumgestaltung mit einem Kulturhaus für Veranstaltungen und Märkte soll den Platz beleben.

Publikationsdatum
07-09-2017
Revision
07-09-2017

Zu den wichtigsten sehenswerten Baudenkmälern in Flawil zählen das Alte Rathaus, der Gasthof Hirschen sowie die evangelische und die katholische Kirche. Der Marktplatz gehört definitiv nicht dazu. Er wird als Autoabstellplatz und Entsorgungsstandort genutzt. Die viergeschossigen Gebäude der Migros im Westen und der Raiffeisenbank im Norden bestimmen die unmittelbare Umgebung. Die Bebauung entlang der Gupfengasse mit Stickerhäusern ist dagegen eher kleinmassstäblich. Um den Marktplatz aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken, hat die Gemeinde verschiedene Rahmenbedingungen für eine neue Nutzung mit Veranstaltungen und eine verbesserte Aufenthaltsqualität formuliert. Die Parkierung wird unter die Erde gelegt, das Feuerwehrmagazin zugunsten der Sanierung des Dorfbachs abgebrochen und die Entsorgungseinrichtungen an einem neuen Standort verschoben. Auf dem leer geräumten Platz ist ein multifunktionales Kulturhaus mit Markthalle vorgesehen. Die Magdenauerstrasse im Westen soll wie die nördlich anschliessende Bahnhofstrasse zur Begegnungszone werden. Das Tüfibächli und der Dorfbach im Osten sollen offen gelegt werden.

Zur Gestaltung des neuen Marktplatzes hat die Gemeinde Flawil einen Studienauftrag im selektiven Verfahren ausgeschrieben. Aus 28 Bewerbungen wurden fünf Teams aus Landschaftsarchitekten und Architekten zur Teilnahme am Studienauftrag ausgewählt. Zur Überarbeitung der Beiträge wurden den Teams folgende Erkenntnisse aus den Zwischenbesprechungen mitgegeben: Es ist ein Wochenmarkt mit befestigten Ständen vorgesehen, die durch mobile Marktstände auf dem Platz ergänzt werden können. Für die Nutzung als Kulturraum mit Markthalle ist ein rohes, robustes Volumen gewünscht. Es soll kein Konzertsaal sein, aber ein beheizbarer Raum. Die Bühne kann integriert oder mobil sein. Wichtig ist der Aussenraumbezug.

Fehlende Ränder – gedeckte Mitte

Schmid Landschaftsarchitekten und Esch Sintzel Architekten entwickeln ihr Projekt laut Jurybericht mit «grosser konzeptioneller Klarheit und Selbstverständlichkeit». Getreu dem Motto «Wenn die Ränder fehlen, muss die Mitte umso kräftiger werden» teilen sie den Platz mit einem schmalen, langen Dach in Längsrichtung. Dadurch schaffen sie zwei Aussenräume mit unterschiedlichem Charakter, die über die gedeckte Mitte miteinander verbunden bleiben. Der ganze Marktplatz ist mit Baumgruppen bepflanzt. Mit dem langen Dach und dem Baumhain beziehen sich die Verfasser auf dörfliche Klassiker aus dem germanischen Kulturraum.

Die typologischen Bezüge des Holzbaus mit weit auskragendem Satteldach kommen aus der Landwirtschaft mit ihren Scheunen und Remisen. Die Gebäude sind polyvalent, weil darin nicht nur Geräte und die Ernte aufbewahrt werden, sondern auch Theateraufführungen, Hochzeiten, Märkte oder Konzerte stattfinden können. Ihre Konstruktion verspricht eine hohe Alltagstauglichkeit und die nötige Robustheit im Gebrauch.

Der Baumhain wiederum nimmt Bezug auf die «Anger», grasbewachsene Dorfplätze im Gemeinbesitz. Die Tiefgarage weist genügend Erdüberdeckung auf, um eine durchgehende Baumbepflanzung zu ermöglichen. So kann der ganze Marktplatz mit einem lockeren Hain aus Spitzahornbäumen bepflanzt werden, der sich über die Magdenauerstrasse bis an die Fassade der Migros ausdehnt. Entlang der Strasse stehen einzelne Bäume in Reih und Glied, sodass die Strassenachse ablesbar bleibt.

Die Platzseite zur Migros hat öffentlichen Charakter und wird durch Markt, Veranstaltungen und die angrenzenden Nutzungen belebt. Privater geht es in der rückwärtigen Platzseite zu, wo mit Kinderspielangeboten eine familiäre Atmosphäre angestrebt wird. Dorfbach und Tüfibach grenzen den Marktplatz vom Parkplatz der Raiffeisenbank und von den Gärten der Stickerhäuser ab. Die Gewässer sind mit Natursteinmauern kanalisiert. Auch dies ist eine Rückbesinnung auf die Geschichte, als die Gewässer noch industriell genutzt wurden.

Bepflanzte Ränder – offene Mitte

Einen anderen Ansatz verfolgen Mettler Landschaftsarchitektur und Geisser Streule Inhelder Architekten. Ihr grosses Thema ist die Offenlegung der Bäche. Sie gestalten die Bachböschungen naturnah und bepflanzen sie locker mit einheimischen Baumarten. So bleiben Durchblicke zum angrenzenden Quartier, und der Platz ist doch klar gefasst. Zwei Fussgängerbrücken verbinden den Marktplatz mit den angrenzenden Dorfteilen. Konsequent wird auf eine Bepflanzung der Tiefgarage mit Bäumen verzichtet. Die naturnahe Gestaltung der Gewässer kann aber angesichts der geringen Wassermengen, der beachtlichen Höhenunterschiede und der dafür erforderlichen aufwendigen baulichen Massnahmen nicht überzeugen.

Die Kulturhalle besetzt den südwestlichen Teil des Perimeters. Der kompakte polygonale Baukörper lässt eine grosse zusammenhängende Fläche für den Marktplatz frei. Mit der semitransparenten Hülle aus beweglichen Schiebeelementen kann sie für unterschiedliche Nutzungen angepasst werden. Trotzdem ist die Markthalle wegen der peripheren Lage, der fehlenden gedeckten Vorbereiche und des schattigen Eingangs nicht alltagstauglich. Die baumlose Fläche, die nur spärlich möbliert ist, bietet viel Flexibilität in der Nutzung. Abstriche macht die Jury hingegen bei der Aufenthaltsqualität.

Offen oder gedeckt?

Die fünf eingereichten Projekte zeigen das grosse Potenzial auf, das im Marktplatz von Flawil schlummert. Der Entwurf von Schmid Landschaftsarchitekten und Esch Sintzel Architekten erfüllt die aus dem Studienauftrag heraus entwickelten Rahmenbedingungen am besten. Überzeugend sind auch die Neuinterpretationen der Scheune als Lager und Veranstaltungsort, des Angers als Mittelpunkt des dörflichen Lebens und der kanalisierten Gewässer. Das offene Dach gliedert den Marktplatz und verbindet die beiden unterschiedlichen Platzseiten gegen die Magdenauerstrasse mit öffentlichem Charakter und zu den privaten Gärten der Stickerhäuser.

Ein Projekt, das die Mitte besetzt, geht immer das Risiko ein, an Grosszügigkeit im Aussenraum einzubüssen. Nicht so bei diesem Beitrag, den die Jury einstimmig zur Weiterbearbeitung empfiehlt. Das ausladende Dach und verschiedene Baumgruppen bieten Schutz und laden zum Verweilen ein. In den stimmungsvollen Visualisierungen bei Tag und bei Nacht wird die Kraft dieses Konzepts deutlich, das mit dem schlanken Dach die Länge betont und Querbezüge öffnet.

Weitere Informationen finden Sie unter der Rubrik Wettbewerbe.

Auszeichnungen
 

Zur Weiterbearbeitung empfohlen:
Schmid Landschaftsarchitektur mit Esch Sintzel Architekten

 

Weitere Teilnehmende:
Appert Zwahlen Partner mit Schoop Architekten;
Mettler Landschaftsarchitektur mit Geisser Streule Inhelder Architekten;
Carolin Riede Landschaftsarchitektin mit camponovo baumgartner architekten;
Maurus Schifferli Landschaftsarchitekt mit Lussi + Partner

 

Fach Jury
 

Regula Hodel, Landschaftsarchitektin; Tom Munz, Architekt; Bernhard Müller, Architekt und Raumplaner; Hanspeter Woodtli, Strittmatter Partner (Ersatz)

 

Sach Jury
 

Elmar Metzger, Gemeindepräsident; Ueli Siegenthaler, Schulleiter; Richard Hollenstein, Gemeinderat bis 2016 (Ersatz); Paul Bossart, Gemeinderat ab 2017 (Ersatz)

Verwandte Beiträge