Lei­den an der En­er­gie­ef­fi­zi­enz

An einer Tagung des Bundes Schweizer Architekten (BSA) zum Thema «Architektur trotz Energieeffizienz» im September 2011 in Luzern ist die Befindlichkeit der Berufszunft ausgelotet worden: Energieeffizienzvor­gaben schränken die konstruktiven Möglichkeiten ein, wurde kritisiert. Konstruktive Lösungsansätze waren allerdings nur spärlich zu vernehmen.

Publikationsdatum
17-02-2012
Revision
25-08-2015

Strikte Regeln sind für Architekten ein wunder Punkt; die Umsetzung von Energieeffizienzvorgaben ist daher nicht sehr beliebt. «Der Architekt leidet», beschrieb Werner Binotto, Kantonsbaumeister aus St. Gallen, die Befindlichkeit vieler Berufskollegen an der diesjährigen Chefbeamtentagung des BSA, zu der die Sektion Zentralschweiz Anfang September 2011 die Leiter von öffentlichen Bauämtern nach Luzern eingeladen hatte. 

Kompetenz abgegeben

In vielen Punkten waren sich Redner und Publikum einig; fast durchwegs wurden der Minergiestandard, die dichten und dicken Hüllen sowie der «Lüftungszwang», kritisiert. «Dürfen wir überhaupt noch konstruieren », packte Reto Pfenninger, Partner von agps Architekten, den generellen Befund in einen Satz. Aber es wurde auch Selbstkritik geübt: «Nach der Ölkrise hat die Architektur aufgehört zu denken», konstatierte Pfenninger. Obwohl die Energiediskussion seither allgegenwärtig ist, hätten die Architekten Mühe, neue konstruktive und gestalterische Lösungsansätze aufzuzeigen. Auch Kantonsbaumeister Binotto stellte fest, dass das Thema Energieeffizienz der Architektur entglitten ist. Die Umsetzung der Labels werde zu oft an die Fachingenieure delegiert. Mit dem Effekt, dass «wir für eine Welt bauen, in der wir offensichtlich nicht mehr leben wollen». Binotto macht dies vor allem an der Konstruktion dichter Gebäudehüllen fest: «Früher bot die Gebäudehülle Schutz und blieb eine durchlässige Schnittstelle zwischen innen und aussen. Heute ist die Aussenhaut vollständig versiegelt.» Zudem habe der Technisierungsgrad von energieeffizienten Gebäuden zugenommen. Als Bauherr und Betreiber von öffentlichen Immobilien wolle er sparsame Gebäude mit weniger Technik, aber wieder mit mehr Architektur. 

Inspirierende Verbindung

Wie «inspirierend» sich Energieeffizienz und Architektur miteinander verbinden lassen, vermochte dagegen Christian Hönger, Partner von giuliani.hönger Architekten, zu zeigen. Sein Referat «Klima als Entwurfsfaktor» begann zwar ebenfalls mit einem kritischen Befund: «In den Architekturausbildungen werden die regionalen Klimazonen kaum erwähnt, was zum Verständnis lokaler Bautraditionen wichtig wäre.» Dennoch sei sein Berufsstand verpflichtet, Verantwortung im Umgang mit der Umwelt zu übernehmen. Mit einem «Tuning» von Gebäuden sei es nicht getan. «Energieeffizienz ist eine Frage der Architektur. Ausrichtung, Grösse und Form eines Gebäudes beeinflussen den Spareffekt oder das passive Gewinnen von Energie unmittelbar.» Zwei mögliche Entwurfsstrategien hob Hönger hervor: die standortunabhängige Raumkapsel oder das Objekt, das sich mit Umgebung und regionalen Traditionen verwurzelt. Die kombinierte Variante präsentierte Hönger an einem Fallbeispiel, dem Umbau einer ehemaligen Weichenbauhalle zum Hörsaalkomplex der Universität Bern. Als «Haus im Haus» konzipiert, hat die ursprüngliche Industriearchitektur weiterhin Bestand (vgl. TEC21, Dossier «Umsicht – Regards – Sguardi 2011»). Die Gebäudehülle wurde konstruktiv belassen; Gänge und Foyer zwischen bestehender Aussenhaut und innerer Kapsel dienen nun als Klimapuffer. Die Absicht war, mit der Umnutzung keine Maschine, sondern einen Lowtech-Organismus zu schaffen. Daran ist aber nicht die Architektur allein beteiligt: «Wir sollten früher und besser, bereits in der Entwurfsphase, mit Fachingenieuren zusammenarbeiten», fordert Hönger.  

Ziel statt Weg vorgeben

Teamwork von Architektur und Technik fordert auch Werner Waldhauser, Gründer und ehemaliger Inhaber der Waldhauser Haustechnik AG. Ein Gebäude mit massvollem Energieverbrauch sei Pflicht, der Minergiestandard aber nicht zwingend. Die zentrale Umsetzungsfrage laute: «Wie viel Technik brauchen wir überhaupt » Anstelle einer kontrollierten Lüftungsanlage gebe es oft einfachere Alternativen. Zudem biete sich der SIA-Effizienzpfad Energie als «sympathischeres» Planungsinstrument an. «Damit wird das Ziel vorgegeben, aber – im Gegensatz zu den meisten Labels – nicht der Weg.» 
Mechanismus und Zielwerte des Effizienzpfads wurden von Hans Ruedi Preisig, Architekt und Mitautor der SIA-Planungsdokumentation, aufgezeigt und einige realisierte Bauten präsentiert. «Am schwierigsten ist es jeweils, die Treibhausgase zu reduzieren.» Gestalterisch aber seien unterschiedliche, auch konventionelle Bauweisen möglich. Im Gegensatz zu energieeffizienten Bauten herrschen nicht nur kompakte Formen vor. 
Am Schluss der Tagung versprach BSA-Präsident Paul Knill, dass das Thema intern weiterdiskutiert wird und man sich um eine einheitliche Positionierung bemühen werde.

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