Ka­lei­do­skop Ba­sel: ein städ­te­bau­li­ches Por­trät

Wie in einem Brennglas bündelt sich am Rheinknie eine Vielfalt von aktuellen Themen und Herausforderungen der Stadtentwicklung: Aufzeichnungen zu einem Miniaturenkabinett der Stadt der Gegenwart.

Publikationsdatum
07-01-2016
Revision
16-02-2016
Angelus Eisinger
Direktor des Amts für Regionalplanung Zürich und Umgebung RZU; Städtebau- und Planungshistoriker mit sozial- und wirtschaftsgeschichtlichem Hintergrund

Basel spiegelt auf engstem Raum die condition urbaine der Gegenwart wider. Denn der Blick auf den Stadtkanton gleicht einem Kaleidoskop, das mit jeder Drehung neue Perspektiven auf die Existenz- und Produktionsbedingungen der Stadt von heute erlaubt. Im Folgenden wird sieben Mal an diesem Kaleidoskop gedreht. Daraus entstehen sieben Kristallisationen, die sich zu einem bewusst lückenhaften Porträt der Stadt Basel und ihres Umlands fügen.

Gemeinsam lassen sie ein Nebeneinander von Themen, Realitäten und Reaktionen erkennen, die in Basel gleichsam unter dem Brennglas deutlich hervortreten: Die planerische und städtebauliche Agenda der Stadt der Gegenwart ist darin ebenso zu erkennen wie die Modi, mit denen sie verhandelt wird.

1. Drehung am Kaleidoskop: Basel als trinationaler Alltagsraum 

Die Fakten kennt jedes Schulkind: Basel liegt an der nordwestlichen Spitze der Schweiz und grenzt an Südbaden und das Elsass. Längst vereinen sich die drei Regionen zu einem Alltagsraum, der durch den täglichen Gebrauch, durch die Berufspendler und über den Freizeit- und Einkaufsverkehr die Teilräume eng miteinander verwoben ist.

Es ist nicht nur ein exemplarischer Fall eines Funktionalraums, der sich durch räumliche Arbeitsteilungen charakterisiert, sondern die trinationale Agglomeration ist auch gekennzeichnet durch scharfe Kontraste: Die hohe wirtschaftliche Dynamik in und um Basel ist nur wenig entfernt von einer der strukturschwächsten Regionen Frankreichs, und Badens Süden liegt fernab von den Entscheidungsräumen der Politik in Stuttgart und Berlin. 

Das Grenzüberschreitende hat aber in Basel nicht einfach nur die normative Kraft des Faktischen, die dazu drängt, Infrastrukturvorhaben abzustimmen und in grösseren räumlichen Zusammenhängen zu planen. Die Trinationalität hat kulturelle Tradition.

Die hier erfolgte Ausrufung der ersten europäischen Agglomeration vor mehr als fünfzig Jahren zeugt von einem weitsichtigen politischen Programm. Im biederen Alltag verheddert sich der Vollzug dieser Vision allerdings – wie auch anderswo – bis heute oft genug im Gefüge unterschiedlicher nationaler Planungskulturen, rechtlicher Vorgaben und Zuständigkeiten. 

2. Drehung: 3Land – Leuchtturmprojekte auf den Boden der Realität bringen

Die vergangenen gut zwei Jahrzehnte waren in vielen europäischen Städten von Hamburg bis Helsinki, von Lyon bis Kopenhagen geprägt von städtebaulichen Grossvorhaben, die aus der Zeit und Nutzung gefallene Stadtgebiete durch ambitionierte Planungen unter ­Beizug von Stararchitekten zu Motoren der Stadtentwicklung zu machen versuchten. Das Projekt 3Land am Dreiländereck schien, so zumindest sahen es viele Kommentatoren, diesen Geist nach Basel tragen zu wollen.

Die Skyline auf der neuen Rheininsel vor dem heutigen Hafengebiet erinnerte an ähnliche Projekte rheinabwärts. Das von Winy Maas und den beiden oft unkon­ventionell agierenden Basler Planern Philippe Cabane und Martin Josephy formulierte Konzept hat sich aber in der Zwischenzeit weit vom Vorwurf autistischer Star­architektur entfernt.

Basel wagt in dieser Entwicklungsvision heute den Quantensprung, indem es die Insel mittlerweile explizit als Nukleus eines trinationalen Herzstücks begreift, das Basel, Huningue und Weil am Rhein enger miteinander verzahnt. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Konzeption der öffentlichen Räume und der Wegverbindungen.

Sie nutzt das Vorhaben als Hebel, um Aufenthalts- und Bewegungsräume für Menschen aus allen Teilen des Basler Grossraums zu schaffen und damit die unterschiedlichen nationalen Seiten stärker in den Agglomerationsraum zu integrieren.

3. Drehung: Novartis und die Roche-Towers – markante Prioritätensetzungen

Das auf einem Masterplan von Vittorio Magnago Lampugnani beruhende Novartis-Areal und die beiden ­Roche-Türme von Herzog & de Meuron schreiben die Unerbittlichkeit eines längst global gewordenen Standortwettbewerbs um Innovationsfähigkeit und kluge Köpfe mit markanten architektonischen Setzungen in den Basler Stadtraum ein.

Während das Novartis-Areal seine urbanistisch als Stadtquartier ideali­sierte Campus-Realität über im strengen stadträumlichen Raster eingefasste, gestalterisch ambitionierte Ge­bäude konkretisiert und durch eine Mauer von den Zugriffen und Blicken der umliegenden Stadt abschottet, ist der gerade erst fertig gestellte erste Roche-Tower ein schon aus grosser Distanz unübersehbarer Stadtbaustein, der schon bald durch einen zweiten Turm ergänzt werden dürfte.

Beim Novartis-Areal wie bei den Roche-Türmen übersetzt Architektur Unternehmensstrategien vor dem Hintergrund harter unternehmerischer Fakten in urba­nistische Konzepte der Konzentration von Ressourcen und Kompetenzen. Sie manifestieren nicht einfach nur die Präsenz der viel beschworenen Wissensgesellschaft in der Stadt.

Die daraus resultierenden markanten baulichen Verdichtungen machen deutlich, was solche Unternehmensstrategien heutigen Städten abverlangen. Der Autor dieser Zeilen kann sich in diesem Zusammenhang noch gut an eine Podiumsveranstaltung im baz-­Forum vor einigen Jahren erinnern, an der Herzog & de Meuron ihr Vorgehen und die Überlegungen dahinter en détail darlegten.

Die Herleitung der Stapelungen von Terrassen und der Einsatz der Horizonalität der Brüstungsbänder plausibilisierten dem Publikum triftig die innere Logik der Formfindung und der Organisation des Gebäudes. So kam es an der anschliessenden Diskus­sion im Plenum auch keineswegs zu den von einem Ausstehen­den wie mir erwarteten Wortgefechten um die Umwertung der bisherigen Hierarchie im Weichbild der Stadt, hatte doch das Grossmünster mit diesem Vorhaben endgültig seine dominante Position in der Stadtsilhouette aufzugeben.

Das Publikum schien um die Prioritäten zu wissen, mit denen diese sich auf den Planwelten ankündigenden Friktionen zwischen aktuellen Herausforderungen an die Stadtentwicklung und der Bewahrung der gewachsenen und lieb gewonnenen Konturen des Stadtbilds zu behandeln sind. Heute mag die nicht mehr zu leugnende Präsenz des Turms im Stadtbild bei nicht wenigen ob der auf Schritt und Tritt sichtbaren Folgen dieser Prioritätensetzung Irritationen ausgelöst haben. An der nüchternen Faktenlage freilich verändert sich nichts.

4. Drehung: das Tram 3 nach Saint-Louis

Dieser Tage erfolgte der Spatenstich für die Tramlinie 3, die Basel bald mit dem Bahnhof Saint-Louis im Elsass verbinden wird. Das Projekt vernetzt nicht nur verkehrs­infrastrukturell zukunftsfähig, was im Alltagsleben seit Jahrzehnten zusammengehört.

Verschiedene Beispiele aus dem In- und Ausland, von der Glattalbahn bis zu neuen Strassenbahnen in Strasbourg, Karlsruhe oder Bordeaux haben deutlich gemacht, dass solche Verkehrsprojekte als Katalysatoren für städtebauliche Aufgabenstellungen genutzt werden müssen, indem entlang der Linienführungen an den Haltepunkten Chancen zu einer städtebaulichen Neuorientierung unter den Vorzeichen von Verdichtung und Nutzungsmischung entstehen.

Die Strassenbahnlinie 3 erlaubt in diesem Zusammenhang gar einen konzeptionellen Quantensprung: Entlang der Linie und um den Endpunkt am Bahnhof von Saint-Louis lassen sich Stadtquartiere aus einem trinationalen Zusammenhang denken. Über solche Bestrebungen erhält der Funktionalraum robustere urbanistische Texturen, indem er Teilräume baulich stärker an den Gesamtzusammenhänge anschliesst. 

5. Drehung: z. B. DB-Areal, Gundeldinger Feld – Transformation weiter denken

Die planerischen buzzwords unserer Tage sind wohl Partizipation und zivilgesellschaftliche Initiative. Beide Begriffe gelten als Hauptingredienzen einer Trans­forma­tionspolitik, die die Zukunft von Stadträumen nicht mehr länger nur Experten überlassen möchte, sondern Bestand im weitesten Sinn als ele­mentare Ressource der Stadtentwicklung begreift, die es sorgsam zu aktivieren gilt.

Diese projektorientierte Vorgehensweise hat in Basel eine lange Tradition. Dabei sind besonders der Umbau von unten einer ehemaligen Maschinenfabrik im Gundeldinger Feld in einen neuen Brennpunkt des Quartierlebens zu nennen – oder der Transformationsprozess auf dem ehemaligen DB-Areal, wo über Zwischennutzungen das Gebiet neu auf der mental map verortet wurde und somit die Grundlagen für den Wettbewerb formte. 

6. Drehung: Birspark-Landschaft – urbane Zukunft von der Landschaft her denken

Im Birstal verdichten sich Gedanken zu urbanistischen und landschaftsplanerischen Konzepten, die eine scheinbar generische Gebrauchslandschaft zum Ausgangspunkt einer grundlegenden Stärkung der räumlichen Identität machen. Dass wir es im Birstal mit der Landschaft des Jahres 2012 der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz zu tun haben, unterstreicht, wie wenig romantische Landschaftserwartungen und oder Vorstellungen von Harmonie Orientierungspunkte eines tragfähigen Landschaftsverständnisses sein können.

Dort, wo die Grenzen mehrerer Gemeinden zusammenstossen, haben über die Jahre Autobahnbau, expandierende Siedlungsgebiete und öffentliche Zweckbauten einen bewaldeten Flusslauf zu einem landschaftlichen Torso verkommen lassen, wie man ihn vielerorts findet. Die aktuellen planerischen Aktivitäten im Birstal sind eine überzeugende Illustration dafür, welche Chancen aus empathischen Annäherungen an solche Resträume resultieren können.

Sie wandeln diese Räume zum wichtigsten Einsatz bei der Qualifizierung der umliegenden Siedlungsräume, weil sie die landschaftlichen Qualitäten der Zukunft aus der Verwebung der Resträume mit ihrer Umgebung denken. Damit findet eine elementare Erkenntnis der letzten Jahre zum öffentlichen Raum von den Innenstädten ihren Weg in die verstädterten Landschaften: Erst in der konzeptionell reflektierten Verwebung von Innen und Aussen können solche der Öffentlichkeit zugedachten Räume die ihnen zugewiesenen Aufgaben tatsächlich übernehmen. Landschaft und Siedlung werden so eins.

7. Drehung: die IBA Basel 2020 – Arbeiten an der Software der Stadt

«Au-delà des frontières, ensemble – Gemeinsam über Grenzen wachsen» lautet das Motto der IBA Basel 2020. Basel wird damit nicht nur die erste Internationale Bauausstellung ausserhalb Deutschlands ausrichten, es stellt sich damit explizit der Herausforderung, einen trinationalen Alltags- und Lebensraum zu entwickeln. Die IBA tut dies als Ausnahmezustand auf Zeit.

Sie entwickelt sich ausserhalb der üblichen Logiken und Sachzwänge des planerischen Business as usual und kann deshalb aussergewöhnliche Prozesse anstossen. Mit der IBA Basel erhält der trinationale Raum aber keine Immobilienmaschine, die Grossvorhaben umsetzt und ganze Landschaftszüge neu ausrichtet. Die IBA in Basel fokussiert anstelle der Hardware der Stadt auf neue Formen ihrer Programmierung.

Sie begreift sich als Plattform, die zwischen Verwaltungseinheiten, aber auch zwischen privater und öffentlicher Seite Katalysatoren für neue Formen der Zusammenarbeit ermöglicht. Sie trägt die Option des Experiments und die Option neuer Allianzen in den Lebensraum im Dreiländereck, indem sie das terrain vague der Agglomeration zu ihrem erklärten Arbeitsfeld erhebt.

Die IBA kann so in Basel den gedanklichen Freiraum für Politik und Behörden schaffen, der anderen Stadtlandschaften fehlt. Auf diese Weise lassen sich über IBA-Projekte entlang des Rheins oder des Flusslaufs der Wiese übergeordnete räumliche Zusammenhänge wiederherstellen, die über Jahrzehnte unterbrochen worden waren, oder sie tragen im Projekt «Aktive Bahnhöfe» die Optionen der Verdichtung und Durchmischung in die Verzweigungen des tri­nationalen öV-Systems.

Basel in sieben Motiven – eine Gesamtschau

Die sieben Drehungen am Kaleidoskop der Stadt Basel haben drängende Arbeitsfelder an der Stadt der Gegenwart zum Vorschein gebracht. Planerisch verbindet sie die Einsicht, dass der anstehende Um- und Weiterbau der sich aus diesen (und anderen, hier nicht thematisierten) Elementen konstituierenden widersprüchlichen Stadtlandschaft nicht mehr in die Ordnungen von Masterplänen und Richtplänen zurückziehen kann.

Von der Tramlinie 3 über die öffentlichen Räume und Verkehrs­infrastrukturen im 3Land zur Weiterentwicklung der fragmentierten Landschaftsräume an der Birs wird deutlich, dass die Antworten immer lokal und spezifisch ausfallen müssen, unter Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren, die das Wort Beteiligung wirklich verdient – verbindlich, kontinuierlich und materialisiert in konkreten Projekten.

Doch bei aller Einsicht in die Notwendigkeit einer projektorientierten Planung: Die Stadt der Gegenwart in Basel wie anderswo verlangt nach mehr als einer Sequenz von virtuos geschaffenen Akupunkturen. Sie verlangt nach einem belastbaren, weit geteilten übergeordneten und Konzept gewordenen Konsens für die Zukunft dieses Agglomerationsraums, der es versteht, die hier genannten und andere «Chantiers» aufzunehmen und ihnen eine übergeordnete ­Orientierung zu geben.

Dass diese Vorstellung in ausreichender Konkretion in Basel wie anderswo in Europa noch fehlt, belegt noch einmal, wie klar uns die Konturen der gegenwärtigen Stadtbedingungen in Europa entgegentreten, wenn wir uns vertieft auf Basel und sein Umland einlassen.

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