Ju­gend­stil trifft En­ter­pri­se

Tiefgreifende Sanierung bietet Platz für Neues

Ein moderner Anbau ergänzt das Haus im Stil eines Landschlösschens aus dem Jahr 1902. In dessen alter Hülle steckt viel Technik und Innovation.

Publikationsdatum
27-08-2014
Revision
18-10-2015

David Gastrau steht in der Küche und fingert auf seinem Tablet herum. Nach einigen Taps und Swipes geht das Licht über dem Esstisch an. Er hätte auch einen der zierlichen neuen Porzellanschalter betätigen können, doch mit Begeisterung führt er alle Gimmicks vor, die das Haus zu bieten hat. Kameras überwachen Haus und Garten, alle Räume verfügen über Sensoren, die Bewegungen, Temperatur und Licht registrieren. Man kann von jedem Punkt der Welt darauf zugreifen – so weit das Internet reicht. Und wenn die Bewohner keine Zeit haben, einen Blick auf das Geschehen zu werfen, übernimmt dies das intelligente System der Haustechnik.

Gastrau ist Architekt und stammt ursprünglich aus Los Angeles, wo er einige Jahre bei Frank Gehry gearbeitet hat. Auch wenn er nun seit über 20 Jahren zusammen mit seiner Büropartnerin Monika Fürer in Gossau SG tätig ist: Das Temperament ist ihm geblieben, die grosszügige Geste, die Freude an der Technologie. Dies zeigt sich in dieser Sanierung, die modernste Technik in einem historischen Gewand präsentiert und dem verträumten Landschlösschen einen trockenen Anbau in Sichtbeton an die Seite stellt.

Das Haus auf dem St. Galler Rosenberg war über lange Jahre in tiefen Schlaf versunken. Im Garten wucherte Gestrüpp, Wasser drang ein und setzte der Substanz ebenso zu wie die Ameisen, Holzwürmer und Marder, die das Haus bewohnten. Der Unterhalt war über 70 Jahre lang liegen geblieben – die Liste der anstehenden Arbeiten entsprechend lang. Auf der anderen Seite befand sich der Innenausbau noch weitgehend im Urzustand: mit eleganten Jugendstilformen verzierte Türen, originale Fenster sowie das ursprüngliche Parkett unter Linoleum und Teppichen. 

Im Endausbau zeigt sich die Struktur der Villa nahezu unverändert. Lediglich eine einzige Wand musste weichen, um Platz für die grosse Küche mit den Cortenstahlfronten zu schaffen. Doch während der Bauphase reichte der Raum vom Erdgeschoss bis unters Dach – die Decken und Wände mussten umfassend saniert werden. Dieser tiefe Eingriff bot Gelegenheit, moderne Technik einzubauen und die Oberflächen wieder mit ihrem Gewand zu verkleiden, denn die Architekten wollten den Ausdruck des Gebäudes nicht nur von aussen wahren, sondern auch im Innern so viel wie möglich vom Charme des Hauses erhalten. Da die Heizung auf eine Wärmepumpe mit Erdsonde umgebaut wurde, sind die Fussböden nun mit einem Unterlagsboden mit Bodenheizung ausgeführt. Die neue Komfortlüftung ist diskret in die Einbauschränke integriert.

In den meisten Räumen befand sich ein Boden aus Douglasie, in Wohn- und Esszimmer kam ein Nussbaumparkett hervor, das ausgebaut und für die Treppenabsätze wieder verwendet wurde. Einzige Abweichung der stilgerechten Sanierung: Um einen einheitlichen Eindruck zwischen der Villa und ihrem Anbau herzustellen, ist im gesamten Stockwerk ein neues Parkett verlegt. Zwar entspricht der kleinteilige Bodenbelag aus Nussbaumholz nicht dem ursprünglichen Stil des Hauses, dafür passt er sich an die unterschiedlichen Raumgrössen und Architektursprachen von Bestand und Anbau an.

Ein weiteres prägnantes Element des Gebäudes sind die abgerundeten Zierrahmen der Türen. Auch sie wurden renoviert und wo nötig ergänzt. Lediglich die Fenster konnten nicht erhalten werden. Ihr Ersatz wurde jedoch in der gleichen Aufteilung erstellt. Auch in den Bädern passen die neuen Oberflächen zur Erstellungszeit: Neue Jugendstil-Keramikplatten und Zementfliesen zieren Böden und Wände.

Schönheitssinn und Fortschrittsglauben

Bei der Innenausstattung legten die Architekten grossen Wert auf Originale. Statt die Leuchten für das Haus einfach aus dem Katalog zu bestellen, gingen die Bauherren auf Beutezug im Internet: Zahlreiche Bauhausklassiker gingen ihnen ins Netz, ebenso drei Leuchten von Peter Behrens, die jetzt über dem Küchentisch hängen. Doch was antik ist, muss bei Gastrau nicht automatisch auch alt sein: Hinter dem historischen Mattglas leuchten LED-Lampen und verströmen mit ihrem engen Farbspektrum das Licht einer Bahnhofshalle. Den Einwand lässt der Hausherr nicht gelten: «Come on, wir leben im 21. Jahrhundert!» Wieder blitzt diese erfrischende Mischung aus kultiviertem Schönheitssinn und pragmatischem Fortschrittsglauben auf.

Das Haus wurde ursprünglich in einem Zweischalenmauerwerk mit zwei Schichten Backsteinen von 12cm Stärke errichtet – für seine Zeit eine aussergewöhnliche Konstruktion und für die energetische Sanierung des Gebäudes ein Glücksfall. Der 8cm breite Zwischenraum ist nun mit Dämmmaterial gefüllt, das durch Öffnungen in der äusseren Schale eingeblasen wurde. Doch dies ist nur ein Teil der neuen Dämmung. Da das Haus im Inventar der schützenswerten Bauten aufgeführt ist, kam eine Verkleidung von aussen nicht infrage. Gemäss einer ersten Studie sollten die Wände von innen gedämmt werden, wodurch viele Details hinter Gipskartonplatten verschwunden wären.

Die weitere Recherche führte die Architekten zu Aerogel – einem Dämmstoff, der ursprünglich von der NASA für den Einsatz im Weltall entwickelt wurde und nun Anwendung in der Baubranche findet. Die Eigenschaften des Materials sind erstaunlich: es ist wasserabweisend und zugleich dampfdiffusionsoffen, bei einer Wärmeleitfähigkeit von rund 0.018W/mK. Mit einem 3cm starken Dämmputz auf einer Matte aus Aerogel zeigen sich die Fassaden nun in ihrem ursprünglichen Ausdruck. Zusammen mit der Füllung im Hohlraum sinkt der Wärmedurchgangskoeffizient der Aussenwände von 1.1 auf 0.26W/m2K.

Das Dachgeschoss wurde mit einer Innendämmung mit 14 Zentimetern ausgebaut; einerseits verhinderte der Sichtriegel im turmartigen Aufbau den Einsatz des Dämmputzes, andererseits wechselt die Konstruktion auf ein massives Mauerwerk von 25cm Stärke. Hier verbessert sich der Wert von 1.4W/m2K auf 0.21W/m2K. Der Dachstuhl wurde erneuert, das Dach neu eingedeckt und ebenfalls gedämmt. Der Koeffizient sank von 3.0 auf 0.18W/m2K.

Dialog der Kulturen

Um mehr Platz zu schaffen, erweitert ein zweigeschossiger Anbau die Villa, ergänzt um eine Einstellhalle mit Platz für neun Autos – die Vermietung der Parkplätze finanziert einen Teil des Umbaus. Das obere Geschoss des Anbaus befindet sich bündig mit dem Hochparterre und enthält ein Wohnzimmer mit grossem Panoramafenster und Aussicht über die Stadt. Im unteren Geschoss ist das Atelier von Gastrau untergebracht, das an das Kellergeschoss anschliesst.

Eine Schalung aus OSB-Platten verleiht dem eingefärbten Sichtbeton gegen aussen Struktur, die kubische Form knickt im Obergeschoss leicht aus der Achse und kragt über den Sockel aus: Ein bisschen Gehry durfte es dann doch noch sein. Die metallenen Fensterläden verzierten die Architekten mit einem Motiv aus der Stickereiwelt: Kreuze und Kreise in unterschiedlicher Grösse interpretieren die Muster von Jacquard-Lochkarten.

Gegen die Renovation wurde Rekurs eingelegt. Am Ende befasste sich der Sachverständigenrat der Stadt, ein Gremium aus externen Fachleuten, mit dem Bauvorhaben. Bei ihren Berufskollegen fanden die Architekten Verständnis für den betont zeitgemässen Anbau: Die Bewilligung wurde erteilt. Und so steht nun am Rosenberg eine gewagte – und zu grossen Teilen gelungene – Fusion zweier Baukulturen.

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