Ja­pa­ni­sche Fal­ten

Shibori

Shibori, die jahrhundertealte japanische Textilfärbetechnik, ist in Europa angekommen. Junge Textildesigner entwickeln das Verfahren weiter: Statt Kimonos schmücken die Stoffe nun Haute Couture und Interieurs.

Publikationsdatum
19-03-2014
Revision
18-10-2015

Landschaften aus Miniaturvulkanen, Spuren von Wind im Sand oder Stacheln einer Koralle – die Vielfalt an Formen und Mustern der japanischen Shibori-Stoffe scheint nahezu grenzenlos. Jahrhundertelang veredelten Shibori-Künstler in aufwendiger Handarbeit die Stoffe für Kimonos. In den letzten Jahren feierten die Textilien ihren Einzug in die zeitgenössische Mode, so in Kollektionen von Issey Miyake, Yohji Yamamoto oder Oscar de la Renta. Nun erobern sie auch die Innenräume: als Überzüge von Leuchten und als Wohntextilien. 

Knautschen gegen Farbe

Shibori sind reservegefärbte Stoffe. Nähte oder sogenannte Abbindereservierungen (das enge Umwickeln einzelner Stoffpartien) verhindern, dass das Textil an diesen Stellen die Farbe annimmt. Je stärker der Stoff gepresst wird, desto weniger Farbe gelangt ins Innere der Faltung. Früher verwendete man dafür meist Indigo, Randen oder Färberkrapp, heute sind es synthetisch hergestellte Farben. Löst man die Reservierungen, zeigen sich in den Mustern die Spuren der Vorbehandlung – der Stoff behält die Erinnerung an die Form.

Der Begriff «shibori» umfasst sowohl die Technik als auch das fertige Produkt. Der Ursprung des Worts – der Infinitiv «shiboru» bedeutet «wringen, pressen, drücken» – betont allerdings weniger den Aspekt des Färbens als das, was vorher mit dem Stoff geschieht: Durch Falten, Knautschen, Heften, Flechten, Verdrehen und Zupfen kreieren die Shibori-Künstler eine dreidimensionale Form aus dem flächigen Textil. Ähnliche Verfahren werden in vielen Kulturen verwendet, so in Westafrika (adire), Indien (bandhani) oder in Malaysia (plangi). Im englischen Sprachraum ist die Praktik unter der Bezeichnung «tie-dying» bekannt. Nirgendwo ist die Technik jedoch so vielfältig und differenziert wie in Japan: Hier gibt es über hundert verschiedene Arten von Shibori. Für ein Werkstück benötigen die Handwerker 10 bis 20 Tage.

Abbinden statt applizieren

In Europa werden die auf diese Weise gefärbten Stoffe oft unter dem Begriff «Batik» zusammengefasst. Tatsächlich handelt es sich jedoch um zwei verschiedene Techniken: Beim Shibori wird das gewünschte Dessin über die Flexibilität des Stoffs, über das Eindrehen, Zusammenfalten oder Abbinden einzelner Stoffpartien erreicht. Bei der aus Indonesien stammenden Batik (mbatik = mit Wachs schreiben) trägt man Muster mit flüssigem Wachs auf den Stoff auf, die bedeckten Stellen bleiben anschliessend vom Färben ausgenommen. Im Gegensatz zu diesen Mustern, die sich durch Präzision und scharfe Kanten auszeichnen, wirken die Bilder des Shibori weich und leicht verschwommen. 

Nach Japan gelangte das Verfahren etwa im 8. Jahrhundert aus China. Baumwoll-, Hanf- und Seidenstoffe für Kimonos wurden auf diese Weise veredelt. Im 19. Jahrhundert nahmen Produktion und Bedeutung der Stoffe ab, bis sie nach dem Zweiten Weltkrieg, auch durch die Adaption westlicher Mode, weitgehend in Vergessenheit gerieten. Erst in den 1980er-Jahren erlebte Shibori ein Comeback. Vor allem in Kyoto und in Arimatsu-Narumi, heute ein Teil der Millionenstadt Nagoya auf der Insel Honshu an der japanischen Ostküste, lebte die Tradition hingegen fort und wurde weiterentwickelt. Das Aufkommen synthetischer Stoffe wie Polyester erlaubt es heute beispielsweise, die dreidimensionalen Strukturen, die durch das Abbinden entstehen, über eine Hitzebehandlung zu fixieren. Die Transformation von flächigem Textil zu räumlichem Stoff eröffnet eine Vielzahl an neuen Gestaltungsmöglichkeiten.

Holz und Streifen, Sturm und Spinnen

Shibori umfasst drei Arbeitsschritte – Schablonieren, Binden, Färben –, die jeweils von einem Spezialisten ausgeführt werden. In einer ersten Phase wird das gewünschte Design auf einen Bogen Papier gezeichnet. Anschliessend hämmert der Shibori-Künstler entlang der Konturen kleine Löcher in das Papier. Diese Schablone wird nun auf den Stoff gelegt und mit Farbe bestrichen, sodass das Muster auf den Stoff gelangt. Die Konturen zeigen an, wo der Stoff in einem zweiten Schritt zusammengeheftet wird. Die unzähligen Varianten des Shibori lassen sich grob in vier Gruppen einteilen: Zusammenbinden, Heften, Falten und Wickeln (nachfolgend wird je ein Beispiel pro Gruppe erläutert). Häufig dient ein Holzständer (tesuji dai) als Hilfsmittel, vor dem man sitzend arbeitet. Je nach Technik ist dessen Spitze unterschiedlich ausgebildet.

Zusammenbinden: An Spinnweben erinnern die Muster des Kumo Shibori. Diese Technik ist eine der ältesten: Bilder aus dem 12. Jahrhundert zeigen diese Muster, oft sind sie auch auf Holzschnitten der Edo-Zeit (1603–1868) zu sehen. Dabei werden Partien des Stoffs mit einem Winkelhaken aus Metall zu kleinen Hörnern zusammengezogen und mit einem nassen Faden umwickelt. Heften: Mokume Shibori (Holzmaserung) besticht durch seine Gleichmässigkeit und den wellenförmigen Kontrast zwischen Hell und Dunkel. Um diesen zu erzielen, ordnet der Shibori-Künstler parallel zum Schussfaden verlaufende Heftnähte übereinander an. Jeder Faden wird am Ende verknotet, sodass sich der Stoff zusammenziehen lässt. Die dabei entstehende Faltung erinnert an ein Akkordeon. Beim Färben bleiben die Innenseiten der Falten von der Farbe unberührt, es bildet sich ein enges lineares Muster, das der Maserung von Holz gleicht. Falten: Für das Tesuji Shibori (Streifen von Hand) benötigt man den Holzständer, in dessen Basis ein Bambusstab mit einer V-förmigen Öffnung an der Spitze fixiert ist. Der feuchte Stoff wird in Plisséefalten gelegt und mit einem Faden umwickelt. Der Handwerker legt die Spitze der Rolle in den Bambusstab, das andere Ende hält er straff, indem er darauf sitzt. Nun umwickelt er die Falten im Abstand von etwa 4cm eng mit einem Faden.  Wickeln: Ein bekannter Vertreter dieser Technik ist der Arashi Shibori (Sturm). Dafür wird der Stoff – traditionell ist es ein 3.60×12.8m grosses Kimonotuch – um einen 3.65m langen, leicht konischen polierten Holzstab geschlungen. Der Stoff wird nun im Abstand von etwa 4cm eng mit einem Faden umwickelt. Anschliessend wird er zusammengeschoben, sodass sich kleine Falten bilden, wo der Stoff zusammengedrückt wird. Nach dem Färben zeigt sich ein Muster, das an windgepeitschten Regen erinnert.

Nach diesen Vorbereitungsarbeiten kann der Stoff in einer dritten Phase gefärbt werden. Zum Schluss löst man die Reservierungen, und das Muster kommt zum Vorschein. Liegt der Schwerpunkt auf den dreidimensionalen Formen statt auf der Färbung, wird auf Letztere verzichtet, stattdessen erfolgt eine Hitzebehandlung. 

Die Qualität des Zufälligen

Wie traditionelles Handwerk ganz allgemein hat auch Shibori stark an Bedeutung verloren. Zwei Jahre an einem einzigen Kimono zu arbeiten – früher durchaus üblich – passt nicht mehr in eine Zeit, die von Effizienz geprägt ist. Gleichzeitig findet vor allem in den Shibori-Zentren Kyoto und Arimatsu-Narumi eine Rückbesinnung auf die ästhetischen und haptischen Qualitäten der Stoffe statt. Neben aller Könnerschaft ist das Endergebnis auch dem unkontrollierbaren Moment zu verdanken, in dem die Farbe auf den Stoff trifft. Die Kombination aus profundem Wissen und Zufall lässt sich für die Weiterentwicklung der Technik ebenso nutzen wie für die hiesige Gestaltung von Räumen.

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