Mas­sge­sch­nei­dert – Ate­lier und Woh­n­haus von Do­nald Judd

Im früheren Atelier und Wohnhaus von Donald Judd in SoHo verschmelzen Architektur, Innenarchitektur und Kunst zu einem schlüssigen Ganzen.

Data di pubblicazione
05-07-2022

Schon seit meinem ersten Besuch in New York anno 1992 begleiten mich die plastischen Arbeiten und vor allem die Möbelentwürfe von Donald Judd (1928–1994). Die beiden Werkkomplexe unterscheiden sich in ihrer Formensprache gar nicht so sehr voneinander, wohl aber im Ausdruck und in der Absicht: Während die sorgsam zusammengefügten Kuben im künstlerischen Zusammenhang aus scharfkantigem, mitunter hochpoliertem Metall gefertigt sind und den Betrachtenden mit ihrer Perfektion auf Abstand halten, sind die Möbel aus starken, unbehandelten Holzbohlen nahbar und zweckdienlich. Judds Verständnis für Proportionen und Dimensionen im Verhältnis zum umgebenden Raum bildet in beiden Zusammenhängen eine massgebliche Qualität.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Sommerserie «Hella in New York». TEC21- Redaktorin Hella Schindel wird für uns während drei Monaten in loser Folge über Trouvaillen aus dem Big Apple berichte

Was in den 1990er-Jahren noch nicht möglich war, hole ich nun nach und besuche das frühere Atelier und Wohnhaus von Donald Judd in SoHo. In den Jahren nach 1968 war dieses Loft, das er für seine Familie und sich in einer ehemaligen Näherei eingerichtet hat, sein Lebensmittelpunkt und auch Treffpunkt vieler befreundeter Künstler, die sich in der verwahrlosten Gegend niedergelassen hatten. Bei aller Freiheit war das auch ein Experiment: Weder Lebensmittel noch Müllabfuhr, geschweige denn Kinderbetreuung waren in der Gegend zu finden, sodass man auf gegenseitige Unterstützung angewiesen war.

Judd kaufte das fünfgeschossige Cast-Iron-Gebäude für sagenhafte 65'000 US-Dollar und legte es etagenweise frei. Die stützenlosen Flächen mit hohen Fenstern, durch die das Haus von den offenen Seiten her mit Tageslicht durchflutet wird, haben nichts von ihrer grosszügigen Atmosphäre eingebüsst. Dank einer Stiftung konnte das Gebäude grundlegend saniert und in der Art, wie Judd es hinterlassen hat, bewahrt werden. Hier erklären sich die Möbel, die er für den Ort baute. Ihre scheinbare Einfachheit erinnert an die Ästhetik der Amish People. Der Materialeinsatz ist sowohl in Bezug auf Ursprung und Menge als auch auf die ablesbare handwerkliche Verarbeitung angemessen, sodass die Möbel eine grosse Selbstverständlichkeit ausstrahlen. Aber ganz so einfach ist es eben doch nicht.

Donald Judd entwickelte sie immer aus einem speziellen Bedürfnis und für einen bestimmten Raum. Da die ehemaligen Fabrikräume hoch und mit rund 8 x 22 Meter einigermassen weitläufig sind, sind die Möbel entsprechend gross. Ihre Höhen entsprechen denjenigen von Simsen, Türstürzen und Fensterkämpfern, sodass der Architektur keine neuen Bezugsmasse zugefügt werden. Arbeitsplätze und Küche sind auf eine weitgehend stehende Tätigkeit ausgerichtet – so fühlt man sich in den Räumen am wohlsten. Einzelne niedrige Inseln wirken im Wortsinn als Setzungen.

Der zentrale Esstisch entspricht in seinen Abmessungen denen der Fenster, aus der Vertikalen in die Horizontale geklappt, und steht wie eine Insel in der Mitte einer Etage. 14 Stühle, deren Lehnen bündig mit der Tischoberfläche abschliessen, umgeben ihn. Ein Daybed, das auf halber Strecke zwischen Küche und Tisch steht, ist an drei Seiten von hüfthohen Wangen eingefasst, sodass es in der Weite einen geschützten Raum darstellt.

In der obersten Etage, die als Schlafraum genutzt wurde, zieht sich an allen Wänden eine Holzleiste um den Dielenboden herum und verbindet sich mit ihm zu einer Art Gefäss. In der Mitte bildet eine Holzfläche, die über dem Boden zu schweben scheint, Rahmen und Unterlage für das Bett. So wiederholt sich der Entwurfsgedanke, der auch dem Daybed zugrunde liegt, ist aber dekonstruiert. Über solcherart subtile Details treten die kalkuliert gesetzten Möbel in Verbindung mit der Architektur. Als «Spielbein» wandern Kunstwerke, Kinderspielflächen, Sofas oder einzelne, leichte Stühle zwischen den Orten herum und finden je nach Licht und Stimmung ihren Sinn.

Zu einer Essenz verdichtet sich Donald Judds Interpretation vom beweglichen Möbel in dem minimalistischen Ensemble aus einem schmalen Flickenteppich und einem hölzernen Balken als Kopfstütze. Diese «Liege» hat er je nach Lust im Atelier ausgebreitet, um die Kunstwerke von dort in Ruhe zu betrachten. Und wie die Kuratorin erzählt, war ihm dies auch für Museen ein Anliegen: Dort müssten mobile Sitzgelegenheiten zur Verfügung stehen, damit sich die Verweildauer vor einem Objekt, die im Moment bei durchschnittlich elf Sekunden liegt, verlängert und somit ein Kunstwerk eine bessere Chance auf Anerkennung und Verständnis erhält.

Die entschiedene, aber undogmatische Art, in der Donald Judd seine Wohnhäuser und Ateliers einrichtete, ist nach meinem Empfinden der Inbegriff der Symbiose zwischen Architektur und Innenarchitektur.

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