Ist die Bran­che zu trä­ge?

Ganz im Unterschied zu den USA oder Skandinavien hat die digitale Planungsmethode Building Information Modelling (BIM) in der Schweiz bisher noch nicht recht Fuss gefasst. Warum ist das so, und was müsste sich ändern? TEC21 hat Vertreter verschiedener Fachrichtungen mit sechs Thesen konfrontiert, die Kritiker gegen BIM anführen. Ein Vertreter aus einem Ingenieurunternehmen, ein Gebäudetechniker, ein Architekt und der Leiter Normen des SIA, die sich allesamt im Alltag mit der Technologie beschäftigen, halten manchmal vehement dagegen – und stimmen manchmal zu.

Publikationsdatum
31-10-2013
Revision
01-11-2018

TEC21: Wir möchten Sie im Gespräch mit verschiedenen Thesen konfrontieren, die man gegen BIM vorbringen könnte. These 1 lautet: BIM lohnt sich nur für komplexe Projekte. Ansonsten ist der Zusatzaufwand zu gross. Was sagen Sie dazu?  
Rolf Mielebacher: BIM nur für grosse Projekte zu nutzen wäre für den Anfang der falsche Ansatz: Das Projekt ist komplex und die Software nicht ganz einfach. Für den Einstieg ist ein normales Projekt sinnvoll. 
Markus Gehri: Ich finde, es kann auch bei kleinen Projekten nützen. Auch für ein normales Sechsfamilienhaus müssen viele Nachweise geführt werden – da bringt BIM Vorteile.
Jobst Willers: Ich bin überzeugt, BIM wird nur bei komplexen Projekten wie Spitälern oder Industriebauten kommen, weil dort der Lebenszyklusnutzen massiv zum Tragen kommt. 
Markus Gehri: Da hat jetzt der Gebäudetechniker gesprochen, der Gebäude mit ausgeklügelter Technologie ausstatten möchte. Aber BIM fängt schon früher an, bei der Schalung, bei den Fenstern. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein Sechsfamilienhaus ohne aufwendige Gebäudetechnik mit BIM projektiert wird. 
Andreas Derrer: Ich finde, nicht die Projektgrösse entscheidet, sondern der Detaillierungsgrad. Bei einem kleinen Ladengeschäft geht es nicht um die gleichen Themen wie bei einem Spital. Das Wichtigste ist für mich immer die Frage nach den Schnittstellen: Wie sammle ich die Informationen, wie bereite ich sie auf, und wie halte ich sie à jour  
Rolf Mielebacher: Gerade bei kleinen Projekten kann BIM Bauprozesse standardisieren. Die Bauwirtschaft möchte immer Unikate erschaffen. BIM könnte bei Käuferausbauten leicht Kosten sparen, wenn man beispielsweise Steckdosen und Wände zusammen verschieben kann, statt aufwendig alles einzeln anzupassen.

TEC21: These 2: Mit BIM entsteht für die Planer ein Zusatzaufwand, der nicht honoriert wird.
Jobst Willers: Unsere bisherige Denkart in sechs SIA-Phasen steht uns im Weg. Wir sind das Arbeiten vom Groben ins Feine gewohnt. 
Markus Gehri: Ich glaube, die Leistung wird einfach zeitlich nach vorn verschoben. Im Idealfall entsteht im Vorprojekt bereits ein virtuelles Gebäude, bis hin zur letzten Schraube. Später gleicht sich das aus – sagt man –, weil bei der Realisierung weniger Kosten entstehen. Wie aber dieser Zusatzaufwand am Anfang mit den gesparten Kosten gegen Ende ausgeglichen und aufgeteilt wird, ist noch offen. Einfacher ist die Situation für einen GU oder TU. 
Jobst Willers: Ausserhalb dieser Unternehmen sieht es doch so aus: Wir haben oft ein Planerteam von acht oder mehr Ingenieurparteien. Drei davon haben von BIM keine Ahnung. Was macht man mit denen? Der Markt regelt das hoffentlich: Entweder verschwinden die Unkundigen, oder sie wenden BIM an. 
Andreas Derrer: Viele sind sich nicht recht bewusst, was sie mit BIM erreichen möchten. Bei Spitalprojekten in Kalifornien ist das Modellieren bis zur letzten Schraube unter anderem ein Grund dafür, den Genehmigungsprozess zu beschleunigen – weil der Ort, an dem die Schraube gesetzt wird, Einfluss auf die Erdbebensicherheit der abgehängten Decke hat. Dafür existiert dort eine Norm. Solange wir das in der Schweiz nicht haben, definieren wir selbst, wie detailliert modelliert werden soll – und folglich, welchen Zusatzaufwand wir generieren. Wir sehen das heute als eine Phase des Lernens an, die wir selbst steuern können.
Rolf Mielebacher: Wir haben bei uns jetzt einen BIM-Master angestellt. Die Chance, dass er vom Kunden separat vergütet wird, ist bei null. Man muss diverse Abmachungen treffen und überlegen, wer wann welche Information braucht, damit es für alle ein bisschen einfacher geht. Man bekommt nicht mehr Zeit dank BIM.
Markus Gehri: Es besteht die Gefahr, dass die Bauherrschaft schon im Wettbewerb zu viel erwartet. Manchmal wird zum Beispiel gefordert, dass der behördliche Brandschutznachweis erbracht ist. Dafür muss man bereits im Wettbewerb wissen, welches Gerät eingesetzt wird und wo. Ein grosser Schweizer TU hat mir gesagt, dass bei ihm kein Wettbewerbsentwurf ohne Energienachweis angenommen wird. BIM kann das zwar, aber das bedeutet auch, dass der Aufwand im Wettbewerb quasi beliebig gross werden kann. Wird am Ende doch nicht gebaut, sieht es mit der Honorierung des bereits erbrachten Zusatzaufwands schlecht aus.  

TEC21: Die dritte These lautet: Die Kommunikation über BIM zu organisieren passt nicht zu den gewohnten Abläufen in der Schweizer Baubranche mit ihren speziellen Bewilligungsverfahren.
Markus Gehri: Das ist momentan noch richtig. Die positiven Beispiele für BIM-Projekte kommen derzeit noch aus den USA und Skandinavien, aber dort sind ganz andere Vertragsformen üblich. Der SIA plant ein Arbeitspapier, das hierzulande übliche Zusammenarbeitsmodelle auflistet. Mit dieser Basis kann man nachdenken, wie BIM bei uns Erfolg haben könnte.
Rolf Mielebacher: Für die hiesigen Bauherren ist klar: Das wird heute noch angepasst, auch wenn ich morgen einziehe. Aber wenn du einer Ziegelei sagen kannst, dass du in 18 Monaten baust, bekommst du einen guten Preis. Das ist auch für den Kunden interessant. Nur: Die Gefahr von unzähligen Varianten und Änderungen verschiebt sich mit BIM nach vorn.
Markus Gehri: Da machen unsere Gepflogenheiten ein Problem von BIM deutlich: Bei der Arbeit mit dem Modell muss man Änderungen direkt dort nachführen, bei der Arbeit mit Papierplänen geht das recht unkompliziert mit Rotstift.

TEC21: These vier lautet: BIM behindert im Entwurf, weil die Software zu früh zu viele Informationen verlangt. 
Markus Gehri: Die frühe Phase, in der man entwickelt, dürfen wir nicht verlieren. Ein gutes BIM-Programm sollte zulassen, dass ich summarisch anfange und dann ins Detail gehe.
Andreas Derrer: Wenn im Wettbewerb verlangt würde, dass man ein Projekt schon in diesem Stadium mit 3-D komplett durchgeplant haben muss, dann wird das für uns zu einem Problem. Aber wenn es nur darum geht, Elemente als 3-D abzuliefern, die ohnehin zu einem Wettbewerbsprogramm gehören, dann geht das schon. Das Problem liegt eher darin, dass man sich anders organisieren muss, wenn man mit BIM statt mit 2-D arbeitet. Aber wir arbeiten in einem ersten Stadium noch immer auch mit Handskizzen. 
Rolf Mielebacher: Beim Neubau sehe ich weniger Probleme. BIM ist nur so gut wie die Grundlage. Im Umbau müssen wir bei der Genauigkeit zulegen. Ist der Bestand so gut aufgenommen, dass das Modell funktioniert  

TEC21: These 5: Schweizer Bauherrschaften haben, anders als in Skandinavien oder den USA, kein Interesse an BIM.
Jobst Willers: Wir sind eine träge Branche! Wenn der Bauherr nicht bestellt, passiert nichts. Aber vielleicht kommt jetzt die Wende, wenn selbst Stararchitekten per Stellenanzeige einen BIM-Koordinator suchen. In anderen Ländern verlangt der Gesetzgeber nach der Planung mit BIM. Unsere KBOB für öffentliche Bauten äussert sich vorläufig noch nicht dazu.
Markus Gehri: Die Energiedirektoren könnten Treiber sein, wenn sie beschliessen, dass gewisse Nachweise bereits frühzeitig erbracht werden müssen.
Rolf Mielebacher: Der Druck auf die Branche wird kommen, wenn es sich herumspricht, dass man ein digitales Modell bestellen kann, oder wenn die Facility-Management-Branche darauf drängt. Aber seien wir ehrlich: Die Baubranche könnte diesem Druck auch zuvorkommen. 

TEC21: Die letzte These: Vielerorts wird behauptet, die Technologie sei nicht ausgereift.
Jobst Willers: Die Software ist sehr kompliziert. Wir brauchen eine Aus- und Weiterbildung. Die Ausbildung machen zurzeit aber hauptsächlich die Softwarelieferanten. 
Rolf Mielebacher: Die Software selbst ist nicht das Problem, sondern ihre Anwendung. Und ich merke: Die Jungen in unserer Firma wollen BIM. Unser BIM-Master kommt aus der Softwareindustrie. Er ist damit beschäftigt, Informationen so zu übersetzen, dass wir sie darstellen können. 
Andreas Derrer: Ich glaube, die Technologie ist nicht die grosse Frage. Es geht vielmehr darum, wie diese Methode unsere Abläufe neu organisiert. Wie kontrolliere ich das Modell? Und wie findet der Austausch statt? Schicke ich Formate wie pdf und dwg, dann weiss der andere, was er erwarten kann. Aber wenn ich ein Modell schicke? Wie bekommen wir welche Informationen wohin, und wie bekommen wir sie wieder raus? Wir können nicht so weiterarbeiten wie die letzten 20 Jahre, aber die jeweilige spezifische Software der einzelnen Disziplinen muss weiterhin einsetzbar bleiben. Sonst würde BIM eine massive Einschränkung bedeuten. Aber der Zwang zu einer intensiveren Zusammenarbeit und das grössere Vertrauen, das vorausgesetzt wird, könnten noch ein Hindernisgrund für den Einsatz von BIM sein. Denn ich muss meine Daten nicht nur abschicken, sondern mich auch dafür interessieren, wie sie angekommen sind. Kurz: Ich muss die Motivation haben, mich mit dem Blick der anderen Fachplaner darauf einzulassen.
Markus Gehri: Aus meiner Sicht geht die Entwicklung dahin, dass weiterhin mit dem weichen Bleistift entworfen und die Dinge anschliessend im virtuellen Arbeitsraum fixiert werden. An dieser Stelle muss ein Umdenken stattfinden: Das BIM-Modell ist ab einem gewissen Zeitpunkt fix und kann nicht auf der Baustelle wieder verworfen werden. Ich sehe das virtuelle Modell als Zwischenstufe zwischen Handskizze und fertigem Bauwerk. Der Zusatzaufwand, der dafür entsteht, muss sich wieder einspielen, weil die Endphase reibungsloser und fehlerfreier stattfinden kann.


Die Diskussionsteilnehmer

Jobst Willers, dipl. Ing. FH, gründete 1989 die Beratungs- und Planungsfirma Jobst Willers Engineering AG, die in Rheinfelden, Bern und Zürich ansässig ist. Die Gebäudetechniker arbeiten seit einiger Zeit mit BIM und sehen die Vorteile der Methode vor allem bei technisch anspruchsvollen Projekten. Willers ist zudem Präsident der Berufsgruppe Technik des SIA, die ihre Jahrestagung kürzlich dem Thema BIM widmete.

Markus Gehri ist studierter Bauingenieur und sammelte in seinem Berufsleben viel Baustellenerfahrung. Aktuell leitet er beim SIA das Ressort Normen. Er verfügt zwar nicht über praktische Erfahrungen mit BIM, betreute aber 2012 innerhalb des SIA eine Spurgruppe BIM, die Möglichkeiten einer Normierung untersuchte. Noch dieses Jahr soll beim SIA ein Projekt starten, das organisatorische Aspekte zur Arbeit mit BIM in ein Merkblatt einbringen soll. Markus Gehri betont, dass Interessierte gern daran mitarbeiten können.

Rolf Mielebacher, dipl. Maschineningenieur FH, ist Partner und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Amstein + Walthert AG, einem Ingenieur- und Consultingunternehmen mit 650 Mitarbeitern. Das Unternehmen hat bereits erste Erfahrungen mit BIM gesammelt und kürzlich eigens die Stelle eines «BIM-Masters» geschaffen. 

Andreas Derrer ist dipl. Architekt FH, Mitgründer von OOS und Mitglied der Geschäftsleitung. Er ist in dieser Funktion für die Weiterentwicklung der internen Arbeitsprozesse (u. a. BIM) und Arbeitstools sowie die Mitarbeiterrekrutierung von OOS zuständig und leitete als Partner vor allem die Planung der drei Servicecenter und Bürogebäude für Novartis. Im Rahmen seiner Assistenzstelle am Departement Architektur der ETH Zürich arbeitete er an der Entwicklung eines virtuellen Campus.

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