In­ter­pre­tier­te Welt

Ausstellung «Architekturmodelle» im Deutschen Architekturmuseum

Architektur ist Deutung der Wirklichkeit. Das zeigt sich auch bei den Werkzeugen des Architekten: Mit ihnen interpretiert er den räumlichen Kontext und die Aufgabe auf eine Weise, die die Lösung erst plausibel erscheinen lässt. Einen aufschlussreichen Einblick in diese Verstrickungen erhalten die Besucher der Ausstellung «Architekturmodelle» im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main.

Publikationsdatum
23-08-2012
Revision
01-09-2015

Modelle sollen Bauherrschaften, Kollegen und die Öffentlichkeit überzeugen; sie werben für eine Idee oder dienen mitunter nur der Herstellung von Fotografien. Modelle drücken aber auch Überzeugungen aus – das Architekturmodell ist, so der Untertitel der Ausstellung «Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie».

80 Jahre Modellgeschichte

Annähernd 1000 Modelle sind zu sehen, etwa ein Drittel davon stammt aus dem hauseigenen Archiv, manche werden das erste Mal präsentiert, wurden auf Dachböden oder in Speditionen aufgespürt. Dabei geht es um das Architekturmodell des 20. und 21. Jahrhunderts, wobei die meisten Exponate aus der Nachkriegszeit stammen und bis zu Arbeiten jüngerer Architekten der Gegenwart reichen. Damit wird deutlich, dass das Modell als Hilfsmittel des Entwerfens und der Präsentation des Entwurfs nicht ausgedient hat. Eingeleitet mit einer «Vorgeschichte» aus Fotos in Originalgrösse von exemplarischen Modellen, die vor dem 20. Jahrhundert entstanden sind, öffnet sich über drei Geschosse eine beeindruckende Sammlung: Modelle als Collagen, als perfekte Abbilder, als Formfindungsinstrumente, als Konstruktionsbeispiele, in Pappe, Holz, Kunststoff, Metall. Modelle von nie verwirklichten Häusern, von bereits realisierten, von berühmten Meistern wie Otto Bartning, Frei Otto, Mies van der Rohe, Rob Krier oder Herzog & de Meuron, aber auch von weniger bekannten Architekten. Ohne eine stringente, nur einer einfachen Logik folgende Abfolge werden die Modelle danach gruppiert, in welcher Absicht sie erstellt worden sind: ob sie als Studienobjekt, als Überzeugungshilfe oder der Imagepflege dienen. So lassen sich leicht Querverweise zwischen verschiedenen Epochen, Bauaufgaben und Modellbautechniken ziehen.

Wechselwirkungen

Der Kurator Oliver Elser präsentiert Architekturmodelle nicht in Bezug auf Architektur, sondern untersucht sie als eigene Objekte. Besonders pointiert zeigt sich unter dem Zwang zur Reduktion, wie mit Architektur die Welt gedeutet wird. Modelle werden präsentiert als Mittel des Forschens danach, was Architektur sein kann. Die poetischen Wachsmodelle von Merete Mattern – Architektin und Mitbegründerin der deutschen Partei «Die Grünen» – aus den 1980er-Jahren bereicherten das Formenrepertoire, das «Haus mit Vorhängen» (Abb. 2) des österreichisch-US-amerikanischen Architekten Raimund Abraham machte vorübergehend vergessene ­Potenziale der erzählerischen Tiefe von Architektur wieder diskursfähig. Grosse Modelle der Stadtutopien aus den 1960er- und 1970er-Jahren manifestierten den Glauben, die Komplexität der Stadt beherrschen zu können. Die Exponate zeigen zugespitzt, wie das Verständnis der Entwurfsaufgabe darauf Einfluss nimmt, welchen Parameter Bedeutung eingeräumt wird. Die Hängemodelle von Frei Otto dienten der Konstruktionsoptimierung und Formfindung, das Modell für die französische «Ville nouvelle» Melun-Sénart von Rem Koolhaas/OMA war eine suggestive Darstellung des Raumverständnisses, das dem Entwurf zugrunde lag und diesen bestätigte: dass Planung präzise Rahmenbedingungen setzen müsse, aber auch Entscheidungen abgeben könne, ohne an Qualität einzubüssen.

Eine andere Wirklichkeit

Der Frankfurter Blick auf die letzten Jahrzehnte offenbart, dass deren Geschichte deutlich vielschichtiger ist als die, auf die in aktuellen Diskursen oftmals rekurriert wird. Nicht zuletzt deswegen ist ein Besuch der Ausstellung unbedingt empfehlenswert – wenn man nicht allein der vielen wunderbaren Originalmodelle wegen diese Reise antritt. 

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