Holz­dach im Be­ton­kor­sett

Die Dachlandschaft wirkt wie natürlich gewachsen, doch dahinter steckt ein technischer Kraftakt. Aus Holz konstruierten die Bauingenieure von Walt + Galmarini ein vielschichtiges, robustes Tragwerk. Die dreidimensionale Planung vereinfachte die Produktions- und Bauabläufe.

Publikationsdatum
04-06-2014
Revision
18-10-2015
Thomas Ekwall
MSc. EPFL Bau-Ing., MAS ETHZ Arch., Korrespondent TEC21

Die Dachkonstruktion des Zürcher Elefantenhauses fällt auf wegen ihrer doppelt gekrümmten Form, die über einem stützenfreien Innenraum schwebt. Diese auf den ersten Blick freie Form entstand im Spannungsfeld von technischer Machbarkeit und architektonischen Wünschen, das nur wenig Spielraum zuliess. Gewünscht war ein «Blätterdach» von nahezu beliebiger Form, bei dem das Sonnenlicht durch viele Öffnungen in der Fassade und im Dach den Innenraum durchfluten würde. Die Tragkonstruktion sollte aus Holz bestehen – mit dessen visuellen Qualitäten, aber ohne technisierende Verbindungen. Auf der anderen Seite standen die konstruktiven Zwänge, die mit Spannweiten von 80m verbunden sind. Die Ideallösung wäre eine Kuppel aus Stahlbeton gewesen: eine Regelfläche ohne Öffnungen, die linienförmig auf dem Boden steht. Diese Überlegungen sind in ein Bauwerk eingeflossen, das sich aus beiden Gedanken speist, ohne den Charakter der ideellen Vorstellung zu verlieren.

Das Dachauflager wurde entsprechend der Nutzung des Bauwerks auf fünf Streifen entlang der Fassade mit Zwischenabständen von 15–30m reduziert. Der Anteil der Dachöffnungen wurde auf 35% begrenzt. Architekt und Ingenieur legten iterativ und in enger Zusammenarbeit das Öffnungsbild fest: Zuerst wurden die Hauptstrahlen definiert, die den direktesten Lastpfad zwischen den Auflagern bilden. Darauf wurde ein zweites Strahlenraster superponiert – dadurch stellt sich tatsächlich eine statische Schalenwirkung ein, die Spannweiten der Oblichter überschreiten wegen der Dachabdeckung nicht 4m, und es entsteht der Eindruck eines Blätterdachs.

Als Ausgangspunkt für die dritte Dimension des Dachs diente das statische Prinzip der Kettenlinie.1 Die erste 3-D-Dachform entstand im Berechnungsmodell, aus dem Verformungsbild des 2-D-Modells einer biegeschlaffen Membrane unter negativem Eigengewicht. Diese Rohform wurde dann auf architektonische Rahmenbedingungen kalibriert, etwa die zulässige Gebäudehöhe, die Durchlaufhöhen im Torbereich – oder die Reichweite eines Elefanten.

Das Tragwerk aus sichtbarem Holz wurde nicht allein wegen der architektonischen Qualität des Materials, sondern vielmehr wegen des geringen Gewichts und der Vorteile bei der Herstellung gewählt. Erst durch den gezielten Einsatz von Spannbeton in den Ringbalken wurde die Holzkonstruktion als Schale aktiviert.

Schale, Bögen und Biegeträger im Dach

Die Stärke der tragenden Primärkonstruktion macht nur 54cm der gesamten 93cm Dachaufbau aus. Sie besteht aus drei Lagen Schichtplatten, deren Faserrichtung um 60° gegeneinander gedreht sind. In Längsrichtung sind sie gestossen oder mit Mörtel vergossen und in Querrichtung mit einer 2cm breiten Fuge ausgebildet. Durch eine flächendeckende Anordnung von Nägeln wirken sie als Verbundquerschnitt.

Die Hauptstrahlen auf der oberen Schichtplatte sind als dreischichtige Vollholzbalken ausgebildet. An den Kreuzungspunkten werden die Balkenstösse mittels Stahlblechen und selbstbohrender Stabdübel biegesteif ausgebildet. Die Randträger der Oblichter sind in der gleiche Ebene verlegt. Darauf bildet eine Obergurtplatte den Abschluss. Mittels feuerverzinkter Vollgewindeschrauben wird sie mit der untersten Schichtplatte kreuzweise im 45°–Winkel verbunden. 

Die Dachkonstruktion aus Holz stützt sich auf einen vorgespannten Ringbalken aus Spannbeton, der im Dachrand integriert ist. An diesem Bauteil sind die Holzpfosten der Fassade angeschlossen, die eine relative Verschiebung zwischen Dachrand und Glasfassade von bis 100mm in vertikaler und 25mm in horizontaler Richtung zulassen. Die Dachlasten werden in der Aussenwand des Managementbereichs und in vier Stützenreihen eingeleitet. Darunter sind massive Fundamente erforderlich, um die Lasten in den tragenden Bodenschichten zu verankern.

Die Tragwirkung des Dachs lässt sich mit einfachen Modellen kaum erfassen. Sie besteht vielmehr aus ineinander verflochtenen Systemen: Für die Schalentragwirkung sind nur die unteren Schichtplatten zuständig. Im Verbund tragen sie in alle Richtungen sowie auf Zug und Druck gleich. Zudem wird die Schale durch den Verbund mit den Hauptstrahlen – als gerichtete Stabbögen – verstärkt. Somit kann ein direkter Lastpfad mit hohen Normalkräften zu den Dachauflagern ausgebildet werden. Die erforderliche Biegesteifigkeit erfolgt über einen idealisierten Fachwerkträger: Die Kerto-Platte des Primärträgers wirkt als Obergurt, die Schale als Untergurt und die Vollgewindeschrauben – als Bindeglied zwischen den zwei Gurten – als Diagonalen. Die Biegemomente treten insbesondere infolge der asymmetrischen Lastfälle wie Schnee und Wind, der Abweichungen der Dachgeometrie gegenüber der idealen Kettenlinie, der Oblichter und der Einspannung im Ringbalken auf. Der Ringbalken fungiert als dreifach gekrümmter Biegebalken. Die Vorspannung wird so definiert, dass der Balken im Gebrauchszustand ungerissen bleibt. Die Lage des Kabels im Querschnitt ist variabel, sodass die Zugspannungen aus den Biegemomenten stets kompensiert werden. Die Torsion wird durch die Schubbewehrung aufgenommen.

Die Interaktion all dieser Systeme konnte nur am achtschichtigen Finite-Elemente-Modell zuverlässig erfasst werden. Die Ingenieure konnten sich nicht allein auf ihre Berechnungen verlassen, sondern mussten auch ihrem Gefühl vertrauen: Einfache Handrechnungen als überschaubares Kontrollinstrument des digitalen 3-D-Modells waren unverzichtbar. Weil die Verformung von Spannbeton infolge Torsion kaum erfassbar ist, mussten sie an der Schnittstelle mit der Fassade ausreichende Toleranzen einplanen: Diese war bereits in Produktion, bevor das Lehrgerüst abgesenkt wurde.

Von der Hightech-Planung zur Lowtech-Baustelle

Viele konstruktive Entscheide leiten sich aus wirtschaftlichen Aspekten des Bauablaufs ab. Die Schalenkonstruktion besteht aus Brettsperrholzplatten mit Standardabmessungen von 3.4×12.0m. Diese Platten sind so weich ausgebildet, dass sie sich auf dem Lehrgerüst dank weniger Hilfsmittel in die gewünschte Form biegen lassen. Auf aufwendige Vorkrümmungen im Werk und schwer transportierbare Bauteile konnte man daher verzichten. Nur bei einem Dachradius unter 50m, also bei etwa 15% der Dachfläche, wurden sie vorgängig einachsig vorgekrümmt und im Werk verklebt.

Die Fertigung kam ohne teure Fünf-Achs-Fräsmaschinen aus und erzeugte Hunderte von Unikaten aus dem Standardprodukt: Ähnlich dem Stoffzuschnitt eines Kleidungsstücks wurden die Platten «verebnet», das heisst so zugeschnitten, dass aus den verlegten Elementen ein regelmässiges Fugenbild entstand. Zudem wurden die Dachöffnungen eingeschnitten oder eingeritzt und nachträglich auf der Baustelle mit der Kettensäge gesägt. Die Bauarbeiter und nicht die Roboter diktierten das Bautempo: Als die Bautermine eng wurden, konnten bis zu 80 Zimmerleute gleichzeitig am Dach arbeiten.

Nachdem die drei Schichten versetzt und vernagelt worden waren, konnte der Randbalken vorgespannt und das Lehrgerüst entfernt werden: Das Dach senkte sich vertikal um 35mm ab, errechnet waren 50mm. Ab diesem Moment erfolgten die weiteren Arbeiten auf dem Dach parallel zum Innenausbau. 

Holz auf Robustheit getrimmt

Das Leitmotiv hinter der konstruktiven Ausbildung des Tragwerks ist die Robustheit2. Vier Aspekte tragen entscheidend dazu bei. Erstens ist die Struktur statisch vielfach unbestimmt: Die Ringbalken wirken als Durchlaufträger zwischen den nachgiebigen Auflagerpunkten. Bei hohen Beanspruchungen können sich plastische Gelenke ausbilden, ohne einen Versagensmechanismus zu verursachen. Zweitens verhindern die duktilen Verbindungsmittel ein sprödes Verhalten des Holzes. Drittens sind die Lastpfade redundant, das heisst – um es analog zum elektrischen Schaltkreis auszudrücken –, die Bauteile sind parallel geschaltet statt in Serie. Würde das Fundament nachgeben oder ein Zuganker versagen, könnte der Ringbalken die Kräfte zum nächsten Linienauflager weiterführen. Und viertens ist die Formstabilität der Schale durch den vorgespannten Randbalken erhöht. 

Aus dieser Holzkonstruktion entsteht ein doppelt gekrümmtes Tragwerk, das in der Lage ist, dem zweiachsigen Lastabtrag mit Biegungsanteil standzuhalten. Damit werden auch Verluste in der Materialeffizienz verzeichnet: Holz ist ein anisotropes Material, das sich durch den dreifach gerichteten Aufbau isotrop verhält. Die Beanspruchung erfolgt möglichst in Faserrichtung. Im Fugenbereich heisst dies aber, im ungünstigsten Fall kann nur eine der drei Platten statisch aktiviert werden. 

Holz ist ein sprödes Material, das sich durch die Verbindungsmittel duktil verhält. Dafür sorgen die Nägel und die Gewindeschrauben, die so schlank ausgebildet sind, dass sie zuerst einen plastischen Zustand auf Biegung erreichen, ehe das Holz versagen würde. Zudem verhindern die Plattenfugen in Querrichtung, dass Querzugspannungen mit sprödem Bruchverhalten auftreten. Bei Druckversuchen an der Empa bildete sich ein Fliessplateau im Kraft-Verformungs-Diagramm aus – die Bestätigung für das duktile Verhalten. Der schichtweise Aufbau der Primärträger führt aber auch dazu, dass die Biegesteifigkeit des Verbundquerschnitts in der Regel nur 30% eines massiven Querschnitts entspricht. Die Biegeversuche der Empa belegen jedoch, dass der Anteil für diesen spezifischen Dachaufbau auf 70–80% erhöht werden konnte. 

Holz ist feuchtigkeitsanfällig, deswegen haben die Ingenieure möglichst auf Klebeverbindungen verzichtet, insbesondere auf der Baustelle. Das Facility Management soll im Unterhalt und in der Überwachung des Tragwerks achtsam agieren.

Alle diese Ansätze legen einen exemplarischen, sorgfältigen Umgang mit Holz nahe. Man würde meinen, dass diese Materialwahl gegen die Robustheit des Tragwerks spricht. Die kausale Kette muss aber umgekehrt betrachtet werden: Je unübersichtlicher das Trag- und Materialverhalten und je gravierender die Konsequenz eines Kollapses, desto eher muss der Tragwerksplaner eine Antwort auf die Robustheit geben und die konstruktive Ausbildung in diesem Sinn fördern.

Holz eignet sich als Schalentragwerk, doch dafür muss ein grosser Aufwand in Kauf genommen werden. Angesichts der komplexen Form, der vielen Oblichter und der ungünstigen Bodenverhältnisse ist er im Fall des Zürcher Elefantenhauses berechtigt. Dies erklärt auch, warum die Schlankheit – und auch die Kosten – dieser Dachkonstruktion nur wenig mit einer Hängeschale von Isler gemeinsam haben, obwohl die Form aus den gleichen statischen Prinzipien abgeleitet wurde. Diese Spannweite hätte mit einem geringeren Aufwand realisiert werden können. Im Gegensatz zu Isler hatten die Ingenieure aber auch eine architektonische Vorstellung zu erfüllen – und sie besassen die seltene Fähigkeit, diese Vision möglichst wirtschaftlich umzusetzen. 

Anmerkungen
1 Das Formproblem der Gewölbestatik wurde 1675 von Robert Hooke mit folgendem Anagramm formuliert: «Wie die biegeschlaffe Linie hängt, so wird umgekehrt das stabile Gewölbe stehen.»
2 Robustheit kennzeichnet die Sensitivität einer Tragkonstruktion gegenüber dem Versagen einer ihrer Bauteile. Sie ist nicht mit Festigkeit gleichzusetzen. Robuste Tragwerke schränken allfälliges Versagen ein, ein progressiver Kollaps wird verhindert. Beim Ausfall eines Tragelements lässt die Konstruktion eine Lastumlagerung über das Resttragwerk zu.

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