Holz fin­det Stadt

Für die Stadt der Zukunft birgt der urbane Holzbau Chancen und Potenziale: Dieser archaische Baustoff hat sich während der letzten Jahre sozusagen zu einem neuen Material entwickelt. Mehrgeschossige Wohn- und Objektbauten entstehen vermehrt auch im städtischen Umfeld. Diese Entwicklung stand Mitte Juni beim Symposium der Universität Stuttgart im Fokus.

Publikationsdatum
19-06-2013
Revision
25-08-2015

«Der Holzbau gewinnt im Rahmen der Energiewende zunehmend an Bedeutung, weil er endliche, energieintensive Rohstoffe wie Stahl, Aluminium und Beton ersetzen kann. Mit Holz gelingt ressourcenschonende Architektur und ökologisch ausgerichtetes Bauwesen. Holz hat Zukunft, gerade in der Stadt.» Mit diesen Worten führte der Amtschef im Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Wolfgang Reimer (Stuttgart), in das Symposium1 ein. Gleichzeitig stellte er fest, dass der Holzbau in der Stadt mit Marktanteilen von unter fünf Prozent im Geschosswohnungsbau stark unterrepräsentiert sei. Dennoch – Holz in der Stadt findet statt.

Stadt im Wandel

In deutschen Städten sei derzeit eine erstaunliche und überaus positive Entwicklung zu beobachten. Nach einem  zwar quantitativ erfolgreichen, doch vielerorts von pragmatischer Ökonomie geprägten Wiederaufbau der 1950er- bis 1970er-Jahre kehre der nun der Glaube an die Vitalität der Stadt allmählich wieder zurück. Diese Aussagen machte Architekt Peter Cheret (Universität Stuttgart / IBK1) in seinem Grundsatzreferat, und er betonte, dass in vielen Städten aktuell ein Prozess der Reurbanisierung zu erleben ist. Die Flucht aufs Land habe sich ins Gegenteil verwandelt, «Stadtlust statt Stadtfrust» gilt nun vielerorts als Devise.

Dieser an sich erfreuliche Trend, der dazu beiträgt, die Zersiedelung der Landschaft zu mildern, hat allerdings auch eine Kehrseite. Der erhebliche Druck auf die Ballungsräume droht latent die ökonomische und gesellschaftliche Balance zwischen den sozialen Milieus oder auch zwischen den Generationen in ein Ungleichgewicht zu bringen. Es fehlt oft an genügend bezahlbaren Wohnungen und auch an ausreichend stimmigen Wohnumfeldern. Einzelne Kommunen haben dies erkannt und entwickeln modellhafte Stadtquartiere. Doch wo vorrangig nach den Gesetzen der Gewinnmaximierung gehandelt wird, werden die Defizite recht bald nach der Fertigstellung spürbar.

Holzbau in der Stadt

Investoren und Vermieter wollen möglichst unterhaltsarme und dauerhafte Bauinvestitionen. Holzbau war noch vor wenigen Jahren für städtische Bauten kaum ein Thema. Dabei wird gerne vergessen, dass gerade die beliebten Gebäude der Gründerzeit in den heute zentralen Quartieren mit ihren charaktervollen Wohnbauten nichts anderes sind als massiv gebaute Hüllen mit einem Innenleben aus Holz. Geschossdecken, Bodenbeläge, Ausbauten und teilweise sogar die Treppen sind dort Holzkonstruktionen. Nur eben oft versteckt unter Stukkaturen und Tapeten.

Der zeitgenössische Holzbau geht den umgekehrten Weg. Aus Holz lassen sich bestens gedämmte Fassaden herstellen, aber auch schallgedämmte Decken und Wände. Massiv gebaut sind meist nur noch die Treppen und Liftschächte, teilweise auch sanitäre Einrichtungen. Aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften bleibt die Holzbauweise nicht mehr auf Gebäude geringer Höhe beschränkt, sondern gewinnt auch im mehrgeschossigen urbanen Bauten an Bedeutung.

Sowohl in technischer Hinsicht als auch bei den Baugesetzen hat sich viel getan. Jüngste Gesetzesnovellierungen, neue Richtlinien sowie Erkenntnisse aus Musterprojekten und Forschungsarbeiten haben eine verbesserte Ausgangslage für den mehrgeschossigen Holzbau geschaffen. Architekt Peter Cheret und Arnim Seidel vom deutschen Informationsdienst Holz stellten das am Anlass und im gleichzeitig erschienenen Fachbuch («Urbaner Holzbau  - Chancen und Potenziale für die Stadt») detailliert dar.

Zeitgemässer Holzbau ist eine im Werk vorgefertigte, präzise und rasche Bauweise. Dies bedeutet unter anderem weniger Immissionen durch Lärm und Staub bei der Erstellung, spart Bauzeit und damit auch Kosten. Dank detaillierter Planung werden die in trockenen Hallen gefertigten, vergleichsweise leichten Elemente und Module mit bereits integrierter Technik angeliefert und in kurzer Zeit montiert. Dieser hohe Vorfertigungsgrad des Leichtbaus mit Holz hat deutliche Vorteile vor andern Bauweisen und ist gerade in der Stadt für Neubauten, Sanierungen und auch für Aufstockungen ideal geeignet.

Technisches Wissen für mehr Komfort und Sicherheit

Neue Marktanteile zu erobern ist das eine, die daraus entstehenden Herausforderungen sind aber dann zu bestehen. Gefragt sind vorab die in der Baupraxis unmittelbar Betroffenen – die Holzbaubetriebe. Die Produktion von Bauteilen mit Holz hat sich dank optimierter Fertigung und den Mitteln der Digitalisierung gegenüber traditionellen Methoden geradezu revolutioniert. Der zunehmend beliebter werdende Holzbau hat auch das wissenschaftliche Interesse geweckt und den Bedarf an Forschung gesteigert. Vorurteile gegenüber dem Holzbau – so etwa, er habe gegenüber dem Massivbau Defizite hinsichtlich Raumklima und Probleme beim Schall- oder Brandschutz – sind heute nicht mehr berechtigt.

Der neue Holzbau ist «berechenbar» geworden, wie sich Cheret ausdrückt. Dies ist nicht zuletzt das Resultat des Zusammenwirkens der angewandten Forschung mit dem Praxiswissen aus Handwerk, Architektur, Bauingenieurwesen und Bauphysik. Die Herstellung gross dimensionierter Elemente in der Werkhalle ergibt qualitätsgesicherte Bauteile mit raumseitiger und äusserer Bekleidung inklusive der bauphysikalisch notwenigen Schichten, die montagefertig auf die Baustelle gelangen. Sie erfüllen häufig tragende und dichtende Funktion gleichzeitig und weisen gegenüber Massivkonstruktionen deutlich schlankere Querschnitte auf. Das Handwerk hat seine Verarbeitungstechniken weiterentwickelt und gleichzeitig Tugenden wie Flexibilität und umfassendes technisches Wissen der Holzbearbeitung beibehalten.

Bauen im Bestand

Bauen in Städten heisst bauen im Bestand. Städte wachsen mit Neubauten, dem Bau neuer Quartiere und dem Schliessen von Baulücken. Doch das erhebliche Potenzial liegt im Bereich der Bestandessanierung, dem Bauen im Bestand. Umnutzen, Aufstocken und auch Nachverdichten sind mittlerweile bedeutend geworden. Gemäss Schätzungen fliessen in Deutschland derzeit mehr als fünfzig Prozent der Bauinvestitionen in bestehende Gebäude. Cheret und Seidel stellten fest, dass dieser Trend klar steigende Tendenz aufweist.

Der Trend zu behutsamem Umgang mit dem Gebauten und Bestehenden lässt sich durchaus auch als eine Form nachhaltigen Handelns sehen, betonen beide. Dauerhaftigkeit erlebt offenbar eine neue Wertschätzung. Bestehendes ist nicht unantastbar, Umbauen, Umnutzen, Umrüsten und Umwandeln sind wesentliche Elemente der Planung geworden.

Der Bestand ist jedoch eher selten für weitere grosse Belastungen ausgelegt. Deshalb lassen sich Aufstockungen und Auf- wie Anbauten an und auf bestehende Gebäude oft einzig als Leichtbau – sprich Holzbau – realisieren. Holzbau ist Montagebau geworden, im Werk vorbereitet und vor Ort rasch montiert.

Zum Ziel, den urbanen Holzbau zu fördern und selbstverständlich werden zu lassen, soll der Anlass, das soeben publizierte Fachbuch (vgl. Kasten) und ein neu gestartetes Internetangebot beitragen. «Der moderne Holzbau bietet alternative Bauprozesse und wird den Städtebau verändern auf dem Weg zur klimaneutralen Stadt», unterstrich Wolfgang Reimer.

Anmerkung / Weiterführende Links

  1. Veranstalter des Symposiums Urbaner Holzbau waren die Universität Stuttgart (Institut für Baukonstruktion und Entwerfen), der Cluster Forst und Holz Baden Württemberg und ForstBW. Das Internetangebot «Urbaner Holzbau – Chancen und Potenziale für die Stadt» sowie weitere Informationen zu den Themen Wald und Holzwirtschaft finden sich auf der Internetseite des Landesbetriebes ForstBW.

Eine ausgezeichnete Informationsplattform für Themen wie Holzbau, Holzwirtschaft usw. bietet der Informationsdienst Holz.

 

 

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