Hei­mat­lo­ser Platz­hirsch

Kolumne

Publikationsdatum
10-09-2015
Revision
10-11-2015

Das Gebäude schräg gegenüber der Redaktion TEC21 ist vor Kurzem abgerissen und durch einen plumpen aussenisolierten Quader mit Eigentumswohnungen ersetzt worden. So ergeht es fast allen Häusern ringsum. Die Preise steigen. Das Gewerbe geht, die alteingesessenen Einwohner auch. Neue Menschen kommen. Aus den Fenstern ihrer Wohnungen blicken sie irritiert auf die übrig gebliebenen Altbauten, in denen sich ganze Familien jene rund 50 m2 Wohnfläche teilen, die sie selbst pro Person beanspruchen. Wenn es nachts still wird, hören sie die Lüftungen der letzten Gewerbebetriebe und drohen mit Klagen wegen Lärmbelästigung. Das Quartier wird verdichtet und, wie man sagt, aufgewertet. 

Dagegen regt sich Widerstand, zuweilen auch recht brachial: Ein leer stehendes Areal wurde mehrfach besetzt. Andere Eingriffe sind diskreter. Was zum Beispiel will uns jener Hirsch aus Klebstreifen sagen, der an der Fassade eines Schuppens verwittert? Wer hat ihn dort ausgesetzt? War es eine Grafikerin, die keinen Platz mehr für ihn fand, als sie ihr günstiges Atelier verlassen musste? Auf welche Zwischennutzung blickt er zurück? Stimmt es ihn subversiv oder bloss nostalgisch, dass er – vergängliches Symbol eines ermüdeten Widerstands – sich ­allmählich im Herbstregen auflöst?

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