Gut aus­ge­dacht; man­gel­haft ein­ge­stellt

Gebäudestandards: Diskrepanzen im Betriebsalltag

Der Energieverbrauch von Minergie-Häusern und anderen Neubauten ist oft höher als geplant. Eine Praxisanalyse des Bundesamts für Energie deckt mehrere Mängel auf.

Publikationsdatum
24-03-2016
Revision
31-03-2016

Die Studie lautet zwar «Erfolgskontrolle Gebäudeenergiestandards 2014-2015». Das Resultat klingt jedoch weit weniger positiv: Nur etwa die Hälfte von rund 200 neuen oder umgebauten Wohn- und Verwaltungsgebäuden sind effektiv derart energieeffizient wie in der Planung beschrieben oder teilweise mit Minergielabel zertifiziert. Die deutlichsten Abweichungen ergaben die Nachmessungen bei neu erstellten Mehrfamilienhäusern, bei denen teilweise nur ein Viertel der Gebäude die Planungsziele erreichen konnte. Wie die Minergie-Geschäftsstelle ergänzt, liegen insbesondere fossil beheizte Mehrfamilienhäuser und Verwaltungsbauten teilweise markant über den Planungswerten. Demgegenüber gehören die Bewohner von Einfamilienhäusern mit Minergie-P-Zertifikat zu den Vorbildern: Drei von vier Neubauten sind sogar deutlich besser als der rechnerisch nachgewiesene Energiestandard. Der Grenzwert für den Heizwärmebedarf beträgt in dieser Kategorie 30 kWh/m2 Energiebezugsfläche.

Der grösste bislang durchgeführte Praxistest bezieht sich auf die Grenzwerte des jeweiligen Energiestandards respektive die gewichtete Energiekennzahl für Minergie-, Minergie-A und Minergie-P-Häuser. Bei Gebäuden, die nach gesetzlicher Minimalvorschrift oder gemäss Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn 2008) erstellt worden sind, fand ein Vergleich auf individueller Basis statt. Die berechnete Grenzwertspanne zeigt dabei, dass die Planungsdaten deutlich besser als bei Minergiebauten eingehalten werden.

Bemerkenswert ist allerdings, dass grosse konventionell erstellte Wohnhäuser insgesamt eine deutlich bessere Energieperformance abliefern als solche mit Minergiezertifikat. Unter den analysierten Objekten befinden sich sogar solche, die fast dreimal mehr Heizwärme benötigen wie im Minergienachweis deklariert.

Nutzerverhalten, Betriebseinflüsse und Fehlfunktionen

Wie das BFE als Auftraggeber der Studie formuliert, sind die «festgestellten Abweichungen nicht aufgrund falscher Angaben entstanden, sondern auf das Verhalten der Gebäudenutzer oder anderweitige Betriebseinflüsse» zurückzuführen. Ob bauliche Mängel die weitgehende Überschreitung der Planungswerte allenfalls mit verschulden, ist im Projekt nicht untersucht worden. Die Autoren der Studie stellen jedoch einen «nicht optimalen Betrieb der Gebäudetechnik» fest (vgl. TEC21 49/15). Unter den weiteren Mängeln wurde ein tiefer Wirkungsgrad der Heizungsanlagen identifiziert.

Die Studie untersuchte zudem qualitative Aspekte der zertifizierten Gebäude: Die Zufriedenheit der Beteiligten ist gross, wie eine Online-Umfrage bei Architekten und Bauherrschaften zeigt. Knapp vier von fünf Bauherrschaften würden auch heute wieder nach dem gleichen Energiestandard bauen. Laut der Umfrage dient das Minergielabel als Verkaufsargument im Immobiliengeschäft.

Die Resultate will der Bund über sein Programm «EnergieSchweiz» nun nutzen, um gemeinsam mit dem Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA), den Gebäudetechnikverbänden und weiteren Marktakteuren den Bereich Betriebsoptimierung zu fördern.

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