Fliess­ge­wäs­ser: Ho­hes Na­tur­de­fi­zit und chro­ni­sche Be­las­tung

Nationale Beobachtung Oberflächengewässerqualität NAWA weist auf teilweise erhebliche Defizite hin

Kaum Platz, hoch belastet und zu viele Hindernisse: Der ökologische Zustand der Fliessgewässer ist nicht generell, aber mehrheitlich besorgniserregend. Mindestens ein Viertel der Bach- und Flussläufe soll nun revitalisiert werden, 20 000 ha Kulturland sind dem Gewässerraum zuzuschlagen, über 100 Kläranlagen auszubauen sowie mehr als 1000 Schwellen und Staustufen für Fische durchgängig zu machen.

Publikationsdatum
20-07-2016
Revision
22-07-2016

Der Takt im Gewässerschutz bleibt hoch: Obwohl die gesetzlichen Grundlagen erst Anfang dieses Jahren verschärft wurden, macht die nationale Umweltbehörde auf den verbleibenden Sanierungsbedarf aufmerksam. Grosse Sorge bereitet etwa der anhaltende, übermässige Nährstoffeintrag in Bäche, Flüsse und die stehenden Gewässer: «Die Problematik bleibt für die zehn grössten Schweizer Seen verschärft», bestätigt Stephan Müller, Leiter der Abteilung Wasser im Bundesamt für Umwelt (Bafu). Aber auch in Fliessgewässern sei die Nährstoffbelastung durchschnittlich 10 % zu hoch.

Neben den zuletzt für Aufsehen sorgenden Mikroverunreinigungen (vgl. TEC 21 16/2016) werden weiterhin zu viele Düngemittel aus landwirtschaftlichem Kulturland in die Oberflächengewässer eingeleitet. Aber auch der biologische Zustand ist mehrheitlich mangelhaft: Nur ein Drittel aller Gewässer bietet den Fischen hochwertigen Lebensraum. Und erst zwei von drei Fliessgewässern beherbergen ein zufriedenstellendes Ökosystem.

Monitoring von Bund und Kantonen

Der Bund und die Kantone haben sich einen Gesamtüberblick über den Zustand der Oberflächengewässer in der Schweiz verschafft. Seit 2011 wird ein gemeinsames Monitoringprogramm «Nationale Beobachtung Oberflächengewässerqualität NAWA» durchgeführt.

Die 111 Messstellen sind auf typische Gewässertypologien und Belastungssituationen in der ganzen Schweiz verteilt. Nun wurden die Ergebnisse der dreijährigen Erstbeprobung vorgestellt. «Der Zustand weist teilweise erhebliche Defizite auf», kommentierte Bafu-Direktor Marc Chardonnens den Istzustand an einer Flussbegehung im Raum Bern-Solothurn von Mitte Juli. Demnach bestehe grosser Handlungsbedarf, vor allem was Wiederherstellung und Erhaltung der Gewässerqualität betrifft.

Fokus auf mittelgrosse und kleine Bäche

Dank dem Ausbau des Abwasserreinigungssystems und dem Anlagennetz hat sich die Wasserqualität in den letzten Jahrzehnten erheblich verbessert. Zuletzt gelang es ebenso, die Einträge von Nitrat und Phosphor in die Gewässer zu reduzieren. Trotzdem bleibt die stoffliche Belastung für kleine und mittelgrosse Fliessgewässer zu hoch.

Zum einen werden weiterhin grosse Mengen gereinigtes Abwasser eingeleitet zum anderen verursacht die Landwirtschaft immer noch eine chronische Nährstoffbelastung. Die Folgen von zu hohen Konzentrationen: Flüsse und Seen leiden unter Sauerstoffarmut und genügen den ökologischen Ansprüchen einer hochwertigen und vielfältigen Fauna und Flora nicht.

Erst vor wenigen Jahren wurde das Qualitätsproblem mit den sogenannten Mikroverunreinigungen entdeckt. Mehr als 230 verschiedene und unterschiedlich umweltaktive Substanzen sind in den Gewässern inzwischen nachweisbar. Teilweise werden derart hohe Konzentrationen gemessen, dass sie die Artenvielfalt beeinträchtigen. Für den Menschen ist das bisherige Belastungsniveau zwar ungefährlich; aber die Ausbreitung bis ins Grundwasser wurde bereits mehrfach gemessen. Sie deuten aber auf hin, die in den Gewässern festgestellt wurden.

Aktionsplan Pflanzenschutzmittel

Bund und Kantone fassen daher bereits Pläne, wie die umweltschädlichen Substanzen zu verhindern sind. Sogar gesetzlich verlangt ist, dass die etwa 100 grössten Abwassereinigungsanlagen der Schweiz kurz- und mittelfristig mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe ausgerüstet werden.

Aktuell können erst zwei Anlagen die Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser eliminieren. Zudem stellen verschiedene Bundesämter derzeit einen Aktionsplan «Pflanzenschutzmittel» zusammen, um die Belastung durch die 20 problematischsten Stoffe zu mindern.

Gemäss Abteilungsleiter Müller befindet sich das Glyphosat nicht darunter. Der Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln wurde, unter der Federführung des Bundesamtes für Landwirtschaft, Anfang Juli in die Anhörung geschickt.

Qualität als aquatischer Lebensraum

Handlungsbedarf besteht auch bei der biologischen Qualität: Fast an jedem dritten NAWA-Messstandort ist das Gewässer-Ökosystem als «erheblich beeinträchtigt» beurteilt worden. Die Zustandserhebung basiert unter anderem auf der Zusammensetzung und Dichte an Wirbellosen und Wasserpflanzen respektive auf der Vielfalt und den Ansprüchen der darin lebenden Fische. Für letztere zeigt nur ein Drittel der Messstellen eine gute bis sehr gute Lebensraumqualität.

Der Handlungsbedarf und der künftige Arbeitsaufwand bestehen gemäss den Bafu-Verantwortlichen in den kommenden Jahrzehnten darin, zusätzlichen Platz und finanzielle Mittel zu finden. Damit Oberflächengewässer ihre zentralen Funktionen als Trinkwasserlieferant, Naherholungsgebiet und Lebensraum für Pflanzen und Tiere wieder besser erfüllen könne, sei ein kräftiger Renaturierungsschub erforderlich: Auf rund 4000 km der insgesamt 15'000 km langen Fluss- und Bachläufen ist eine Revitalisierung anzustreben. Und für die Ausweitung des Gewässerraums müssen etwa 200 km2 Kulturland beansprucht werden.

Ebenso müssen bis 2030 die negativen Folgen der Wasserkraftnutzung beseitigt werden. An rund 1500 Stellen sind bestehende Fischwanderhindernisse oder künstliche Abflussschwankungen zu beheben. Das Bafu selbst rechnet mit einem Budgetbedarf für die Revitalisierungsmassnahmen von mindestens 60 Mio. Franken.

Weitere Infos gibt die Bafu-Webseite.


NAWA

Die Nationale Beobachtung Oberflächengewässerqualität (NAWA) wird vom Bafu und den Kantonen seit 2011 gemeinsam betrieben. Sie stützt sich auf Erhebungen, die an 111 Messstellen an mittelgrossen (unter anderem Birs BL) und grossen (z. B. Rhone) Fliessgewässern in der ganzen Schweiz durchgeführt werden. Es werden sowohl Nährstoffe als auch biologische Parameter (Fische, Wirbellose, Wasserpflanzen und Kieselalgen) untersucht. Zudem wurden in einer Spezialkampagne (NAWA SPEZ) Mikroverunreinigungen an fünf mittelgrossen Bächen gemessen. Eine ergänzende Übersicht zum Zustand der Seen ist auf der Bauf-Website publiziert.

Verwandte Beiträge