«Far­be geht im­mer»

Farbe in Österreich

Die Wiener Architekten von AllesWirdGut sind bei ihrer Arbeit im sozialen Wohnungsbau permanent mit hohem Kostendruck konfrontiert. Geld für die Fassadengestaltung ist dann knapp – für Andreas Marth umso mehr ein Grund, mit viel Erfindungsgeist an den Entwurf zu gehen.

Publikationsdatum
23-12-2014
Revision
18-10-2015

TEC21: Herr Marth, wie stehen Sie grundsätzlich zur verputzten Aussenwärmedämmung (VAWD)?
Andreas Marth: Die VAWD bzw. die Putz­fassade ist für unsere Umgebung typisch; wir können sehr gut damit leben. Problematisch ist, dass wir im sozialen Wohnungsbau aus Kostengründen immer in diese Richtung gedrängt werden. Sie ist aber auch dort nicht für jedes Projekt richtig – daher unsere Hassliebe. Man muss unglaubliche Anstrengungen unternehmen, um nicht damit zu arbeiten. Sie ist unschlagbar billig. Gern würden wir die VAWD mehr gestalten, doch die Bauträger bestehen auf dem Billigsten vom Billigen: Nur für den Putz 60 statt 35 Euro auszugeben liegt nicht drin, weil man eher in Richtung 30 Euro kommen muss. Will man das Dämmmate­rial modellieren, kostet die Verarbeitung 15 Euro pro m2 mehr – unmöglich. Deswegen landen wir oft bei der Farbe als Gestaltungsmittel, die kriegt man fast ­immer durch. Allenfalls im Sockelbereich gibt es ein Umdenken, hochwertigere Materialien einzusetzen.

Ist diese Vorrangstellung ihrer Meinung nach berechtigt?
Marth: Die VAWD ist auf lange Sicht nicht unbedingt die billigste Konstruktion. Leider suchen viele Investoren nur kurzfristigen Profit. Wenn die Entsorgungskosten in die Investition einflössen, würden andere Fassadensysteme finan­ziell besser abschneiden. Dann könnte man die Diskussion auf einer ehrlichen Grundlage führen. Die Wärme­dämmung wird zurzeit sehr vorangetrieben, aber noch nicht ganzheitlich beurteilt.

Wie reagieren Sie als Büro auf die Problematik?
Marth: Wir sind nicht in der Situation, die Aufträge ablehnen zu können. Das Image der VAWD ist schlecht – viele Kollegen lehnen sie reflexartig ab. Wir haben diesbezüglich eine andere Haltung, sehen uns als Dienstleister und arbeiten eng mit dem Auftraggeber zusammen. Wir stellen uns der Aufgabe, uns mit VAWD auseinanderzusetzen. Es reizt uns auch auszuloten, welche Ästhetik sich erreichen lässt. Der Spielraum im günstigen Bauen ist klein, aber wir nutzen ihn gern für die Arbeit an der VAWD.

Welche besonderen Qualitäten sehen Sie im Verbundmaterial VAWD, auch im Unterschied zur Putzoberfläche eines Massivbaus?
Marth: Den monolithischen Charakter, das Plastische, die Dicke, die Formbarkeit. Man kann die Dämmung abschrägen und auf null zulaufen lassen; die meisten anderen Materialien haben eine Mindeststärke. Man ist weder zu Fugen gezwungen noch auf Plattengrössen limitiert. Wir finden es spannend, dass heutige Aussenwände wieder so extrem dick werden wie die von alten Schlössern – neu dabei ist, dass die tragende Konstruktion den kleineren Teil einnimmt. Die VAWD kann viele Ungenauigkeiten im Rohbau kaschieren. Dämmplatten werden auch geziegelt – die Differenzen durch das Kleben könnte man bei grossen Fassadenflächen auch bewusst thematisieren. Leider ist die Qualität im Handwerk des Verputzens verloren gegangen. Mit Putz kann viel verschmiert werden. Die Bauweise mit VAWD ist billig, schnell und eher unpräzise. Das liegt aber nicht am System, sondern an der Art und Weise, wie es verwendet wird.  

VAWD wird von Herstellern in geschlossenen Systemen angeboten. Im Vergleich zur freien Kombination von Materialien gibt es starke Einschränkungen. Welcher Gestaltungsspielraum bleibt dem Architekten?
Marth: Hier liegt tatsächlich ein Problem, vor allem, weil die Hersteller nicht zur Innovation motiviert sind. Bei anderen Materialien herrscht ein ganz anderer Entwicklungswille. Es gibt aber durchaus Spielräume zur Gestaltung über die Materialstärke der Dämmung, Putzarten von verschiedenen Stärken und Strukturen, Farbe. Auch kann man theoretisch alle möglichen Sachen einputzen, bis hin zu Gesimsen.

Welche Innovationen würden Sie sich wünschen?
Marth: Speicherfähigkeit von Wärmedämmung. Die Technologie, zum Beispiel von Phasenwechselmaterialien bei Wärmetauschern, entwickelt sich – und ist auch für die Fassade interessant. Neue gestalterische Möglichkeiten könnten aus einer anderen Methode der Formgebung resultieren: Wird das Dämmmaterial künftig vielleicht gegossen statt geschnitten? Ist die Dämmung dann vor Schlafräumen dicker und vor Lagerräumen dünner? Wichtig ist allerdings, dass das Material günstig bleibt.

Dass Fassadenbemalungen gleichzeitig als Schmuck und Illusion einer hochwertigeren Materialität dienen, hat es schon immer gegeben. Was möchten Sie mit der Farbe erreichen? Haben Sie Vorbilder aus der Architekturgeschichte?
Marth: Unsere Inspirationen kommen von überall her. Wir arbeiten mit Referenzen, haben aber keine historischen Vorbilder im klassischen Sinn; sie wechseln von Projekt zu Projekt. Wir entwerfen nicht historisierend, sondern wollen etwas Neues machen. Viele Dinge entwickeln wir intuitiv. Immer sehr wichtig ist der Kontext, selbst wenn wir ihn im nächsten Schritt bewusst kontrastieren. Bei manchen Projekten wird die Regelmässigkeit des Wohnungsbaus gebrochen, bei anderen werden heterogene Inhalte zu einer äusserlichen Einheit zusammengefasst. Zu streng gerasterte Fassaden sehen wir kritisch. Natürlich sind die «spielerischen» Momente genau durchdacht. Leichte Unregelmässigkeiten und Ausnahmen von der Regel machen ­Fassaden interessant. Durch sie werden die Häuser robuster gegenüber der Nutzung. Wenn die Bewohner einziehen und ihre Blumentöpfe aufhängen, sollen die Gebäude besser, nicht unansehnlich werden. Brüche machen schliesslich das Leben aus. 

Andreas Marth ist Architekt und führt seit 1999 mit Friedrich Passler, Herwig Spiegl und Christian Waldner das Architekturbüro AllesWirdGut in Wien. Für sie steht der Nutzwert von Architektur im Vordergrund – ­diese soll nicht viel kosten, sondern viel können.

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