Es blinkt in al­le vier Him­mels­rich­tun­gen

Was kann die Photovoltaik im dicht bebauten, innerstädtischen Umfeld leisten? Ein vom Bund gefördertes «Leuchtturmprojekt» soll beweisen, dass sich Energieproduktion und Ästhetik nicht grundsätzlich widersprechen.

Publikationsdatum
30-11-2017
Revision
01-12-2017
Karl Viridén
dipl. Architekt FH, ­Geschäftsleiter Viridén + Partner

Seit dem Herbst 2016, nach einer umfassen­den Erneuerung und Aufstockung, weiss das unauffällige siebenstöckige Mehr­fami­lienhaus im ­Zürcher Stadtkreis 6 mit der Sonne etwas anzufangen. Vier aktive Glasfassaden erzeugen gemeinsam mit der Photovoltaikanlage auf dem Dach so viel Strom, dass der Energiebedarf für die 28 Wohn­einheiten selbst gedeckt werden kann. Die Ingenieurführungen durch den Plusenergiebau waren deshalb gut besucht. Doch auch in Architektur­kreisen haben die Photovoltaikhülle und der hellgraue Farbton ei­nigen Anklang gefunden.

Mit dem Lob für die ungewöhnlichen Äusserlichkeiten ist aber noch nicht alles erreicht; auch die inneren Werte müssen über­zeugen: Wie viel Strom ­können matte PV-Module mit ungünstiger Ausrichtung pro­duzieren? Lohnt sich die Energie­produktion auch an der Sonne abgewandten Gebäudeseiten? Und wie einfach ist eine gestalterisch besondere Aktivfassade zu kon­struieren? Antworten darauf hat das bereits ­gestartete Begleitprogramm zu finden. Vergleichbare ­Projekte sind selten. Deswegen finanzieren das Bun­desamt für Energie und der Kanton Zürich das als ­«Leuchtturm» deklarierte Vorhaben mit, gemeinsammit Partnern aus der ­Bau- und Energiebranche. Nach zwei Jahren Be­triebs­er­fah­rung werden die Funktion und das Ertragspotenzial der Photovoltaik-Rundum­fas­sade ausgewertet.

Bereits abgeschlossene Demonstrationsobjekte haben mittlerweile bewiesen: Selbst grosse Mehrfamilienhäuser erzeugen fast doppelt so viel Energie wie Bewohner und Gebäudebetrieb jährlich konsumieren. Das Wohngebäude an der Hofwiesenstrasse will diese Leistungswerte aber nicht übertrumpfen. Interessant ist diesmal die Erkenntnis, wie sich die architektonische Integration auf den energetischen Output auswirken wird. Die Gebäudenutzung soll sich zudem nach den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft richten: Projekt­trägerschaft und das Bundesamt haben vereinbart, dass ein Drittel des durchschnittlichen Energiekonsums genügt. Ein Jahr nach dem Mieterbezug liegen erste Erkenntnisse vor.1

Matte Abdeckung mit höherer Reflexion

Die Photovoltaikanlage auf dem Flachdach entspricht dem bestmöglichen Stand der Praxis und dem bekannten Look: 100 schwarz glänzende Module richten sich in Sechser­reihe und mit Neigungswinkel von 15 ° nach Südwesten. Der Wirkungsgrad von monokristallinen Solarzellen erreicht fast 20 %. Derselbe Modultyp wurde auch für die hinterlüfteten Aktivfassaden (und die Balkonbrüstungen) gewählt. Die matte Glasabdeckung reflektiert zwar mehr Sonnenlicht und reduziert die Leistung um rund einen Drittel. Hersteller sind aber daran, die Farbmodule laufend zu verbessern und die Einbussen unter 30 % zu senken.

Die Erträge der Photovoltaikanlage werden seit November 2016 gemessen. Gesicherte Angaben zur Jahres­bilanz des Plusenergiebaus liegen zwar noch nicht vor, aber die bisher erreichten Tageswerte stimmen zuversichtlich: Alle vier aktiven Gebäudefassaden steuern namhafte Anteile an den Energieertrag bei (vgl. Grafik) und übertreffen teilweise die Annahmen aus der Planung. Die ersten Betriebserkenntnisse sind erfreulich: Eine Amortisation der Zusatzinvesti­tionen für die «Aktive Glasfassade» scheint in weniger als 15 Jahren möglich. Mehr Details, etwa zur Verschattung, kann erst die abschliessende Auswertung liefern.

Unterschiedliche Modulformate

Für die einheitliche Abdeckung der unterschiedlichen Gebäudefronten wurden 13 Modulformate und fünf Arten von Blindmodulen entwickelt. Die aktive Miniversion ist 0.4 m2 klein und knapp 10 kg leicht; das ­grösste Modul wiegt 36 kg und deckt 1.6 m2 ab. Die Produk­tionskapazität hängt jedoch von der Anzahl der darin verpackten Solarzellen ab. Die Blindmodule sind aus gleichfarbigem Glas. Sie decken diejenigen kleinen Fassadenflächen ab, an denen sich der Einbau von Photovoltaikzellen nicht lohnt. Der Anteil an der Gesamtfläche beträgt knapp 2 %. Weil Photovoltaikmodule in den unteren Geschossen häufiger beschattet sind, nehmen die Produktionserträge im Vertikalverlauf ab. Auch die Balkonnischen liefern mindere Erträge ab.

Eine künftige Evaluation soll dazu beitragen, allgemeine Beschattungslimiten für solche Aktivfassaden zu bestimmen. Der Tagesgang des Stromertrags zeigt jedoch schon heute, welche Teilflächen am meisten Strom erzeugen. Die Dachanlage erreicht den Peak kurz nach der Mittagszeit; zuvor und danach sind vor allem Süd- respektive Westfassade aktiv. Auch die nach Norden und Osten ausgerichteten Photovoltaikmodule liefern relevante Strommengen. Ein hoher Sonnenstand im Sommer wird vor allem für Südfassaden zum Handicap: Je steiler der Strahlungswinkel, umso geringer der Ertrag. Und ebenso weiss man nun: Solarfassaden liefern in saisonalen Übergangszeiten höhere Erträge als im Sommer. Die Tagestemperaturen sind niedriger, was den Photovoltaik-Wirkungsgrad erhöht.

Im Zusammenspiel funktionieren die vier Ak­tivfassaden am besten. Bei sonnigem Wetter findet ein Ausgleich der Tagesproduktion statt. Zwischen 9 und 18 Uhr bleibt die Leistungskurve auf einem hohen, relativ konstanten Niveau (vgl. Grafik).

Platz für Verkabelung und Zusatzgeräte

Auch was hinter der Aktivfassade liegt, trägt wesentlich zur Ertragsoptimierung bei. Um Leistungsverluste im Stromabtransport zu vermindern, braucht es etwa eine möglichst effiziente Verkabelung. Die Einzelmodule sind entsprechend in die verschiedenen Schaltkreisläufe einzuteilen, wobei das intelligente Schattenmanagement zusätzlich zu berücksichtigen ist. Hierzu ist je eine Schaltgruppe aus zwei bis vier Modulen an ein Zusatzgerät zur Lastoptimierung angeschlossen. Dadurch wird der Elektronenfluss auf einen Bypass um die verschatteten Module herumgelenkt.

Ohne diesen Umweg würde ein Engpass entstehen: Innerhalb eines Schaltstrangs limitiert das jeweils leistungsschwächste Modul, wie viel Strom tatsächlich produziert wird. Die Optimierungsgeräte sind 1 kg schwer und etwas grösser als ein Smartphone; mehr als 300 von ihnen sind in der Hinterlüftungszone am Plusenergiebau installiert. Dass diese Technik störungsanfällig ist, hat sich bereits bestätigt. Doch weil die Geräte jeweils einfach zugänglich und konzentriert platziert sind, konnten diese Mängel problemlos behoben werden.

Auf zwei Besonderheiten im konstruktiven Bereich ist abschliessend hinzuweisen: Die Fassadenelemente sind an der Unterkonstruktion eingehängt. Dazu werden Profile (Backrails) an die Modulrückseite geklebt. Der Klebstoff ist jedoch elastisch, sodass Spannungsspitzen (etwa bei Wind) besser aufgefangen werden als bei fixierter Punktverbindung. Diese Klebetechnik ist normiert und hat sich beim Bau von konventionellen Glasfassaden bewährt. Und wie auch für andere Vorhang­konstruktionen ist häufig ein Kompromiss zwischen statischen und thermischen Anforderungen zu finden. Die Halterungen selbst dürfen keine Wärmebrücke ­zwischen Aussenfassade und Rohbau bilden. Am Plus­energiebau an der Ecke Hofwiesen-/Rothstrasse mitten in Zürich verhindert dies ein Verbundmaterial: Die Konsolen und andere Teile der Unterkonstruktion bestehen aus Chromstahl respektive glasfaserverstärktem Kunststoff mit jeweils geringer Wärmeleitfähigkeit.

Anmerkung
1 Jahresbericht 2016 BFE «Leuchtturm PhotovoltaikFassade an Plusenergiebau-Sanierung Zürich».
 

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