Er­neu­tes Rin­gen um Kraft­werk Rhein­au

Vertraute Landschaftsbilder versus Naturschutz

Bis Ende 2012 müsste die Restwasserstrecke in Rheinau eigentlich saniert werden. Obwohl es Lösungsansätze gibt, zeichnet sich derzeit noch kein Königsweg ab, der von allen Seiten gutgeheissen wird. Während die Naturschutzorganisationen einen dynamischeren Fluss fordern, halten die Gemeinden am vertrauten Landschaftsbild fest. Aus rechtlicher Sicht stellt das Vorhaben für das federführende Bundesamt für Energie einen Hochseilakt dar.

Publikationsdatum
09-01-2012
Revision
01-09-2015

Mehr als 50 Jahre nach dem Bau des Kraftwerkes in Rheinau wird dieses wieder zu einem brisanten Thema. Das Bundesamt für Energie (BFE) will nach erfolgter Abstimmung mit den deutschen Behörden demnächst eine Verfügung erlassen, die präzisiert, wie die Restwasserstrecke in der Rheinschleife zu sanieren ist. Das schweizerische Recht schreibt eine Sanierung bis Ende 2012 vor. Nach deutschem Recht, das sich auf die Europäische Wasserrahmenrichtlinie abstützt, besteht dafür bis 2015 Zeit. Die darin enthaltene Forderung nach einem «guten ökologischen Zustand» der Gewässer zielt aber in dieselbe Richtung. Das Kraftwerk in Rheinau darf gemäss Konzession 400m3 Wasser pro Sekunde turbinieren. Dieses Wasser wird beim Hauptwehr in einen 300m langen Stollen ausgeleitet und auf der gegenüberliegenden Seite der Halbinsel wieder in den Rhein eingeleitet. Damit wird die 4.5km lange Flussschleife von der Wasserzufuhr weitgehend abgeschnitten. Aufgrund der Konzession muss mindestens eine Restwassermenge von 5m3/s in die Schleife gelangen. Der Rhein führt in der Regel lediglich in den Sommermonaten so viel Wasser, dass deutlich mehr über das Hauptwehr abfliesst; während durchschnittlich 230 Tagen im Jahr ist es nur die in der Konzession festgelegte Mindestmenge. Damit die Restwasserstrecke überhaupt noch ganzjährig auf der ganzen Flussbreite Wasser führt, wurden bereits beim Bau des Kraftwerks zwei Hilfswehre gebaut, die das Wasser stauen. In der Konzession sind diese Hilfswehre aufgeführt. Die benetzte Breite des Rheins darf zudem an keiner Stelle 75m unterschreiten.

Weder Fluss noch See

Die beiden Hilfswehre führten dazu, dass der Flusscharakter in der Schleife verloren ging, die Fliessgeschwindigkeit des Wassers ist gering. Diese Problematik gilt keineswegs nur für Rheinau. Die insgesamt elf Flusskraftwerke zwischen Basel und Stein am Rhein verwandelten den Strom in eine Reihe gestauter Flussabschnitte. Rheinau ist insofern speziell, weil hier zusätzlich zur Staustrecke eine für ein Flusskraftwerk unübliche Restwasserstrecke besteht. Die fehlende Flussdynamik führt dazu, dass das Gewässer weder Fluss- noch Seecharakter hat. «Für Seefische ist das Wasser zu kalt, und für Flussfische fehlt die Dynamik», sagt Erich Staub vom Bundesamt für Umwelt (Bafu). Werde die Flussdynamik wiederhergestellt, so bestehe die Chance, dass sich in der Rheinschlaufe selten gewordene Fische wie Nasen, Äschen und Barben wieder ansiedelten. Weil es sich beim Rhein um ein Grenzgewässer handelt, liegt die Federführung für diese Sanierung nicht beim Kanton Zürich, sondern beim Bund. Auch im internationalen Verhältnis ist die Schweiz federführend, eine enge Zusammenarbeit mit Deutschland ist jedoch unumgänglich. Auf deutscher Seite ist für das Vorhaben in Rheinau das Regierungspräsidium in Freiburg im Breisgau zuständig, und dieses arbeitet eng mit der Regierung und den Ministerien Baden-Württembergs zusammen. Die Betreiberin des Kraftwerks, die Elektrizitätswerk Rheinau AG, die zur Axpo gehört, hat 2009 höheren Restwassermengen von 20 bis 60m3/s – abgestuft nach Saison – zugestimmt. Ein Teil des Restwassers wäre für die Stromproduktion aber nicht verloren, sondern könnte durch eine Dotierturbine beim Hauptwehr geleitet werden. Weiter sollen nach dem ursprünglichen Vorschlag der Behörden das untere Hilfswehr voll und das obere zur Hälfte abgesenkt werden. Um ein genaueres Bild der damit verbundenen Auswirkungen zu bekommen, wurden 2006 Dotierversuche mit den entsprechenden Restwassermengen durchgeführt. Ein runder Tisch im Frühling 2009 ergab jedoch, dass einerseits die betroffenen Gemeinden Rheinau, Lotstetten und Jetstetten und anderersets die Naturschutzorganisationen mit der vorgeschlagenen Lösung nicht zufrieden sind.

Umstrittene Hilfswehre

Zur Diskussion stehen deshalb gegenwärtig drei neue Varianten, die sich insbesondere bezüglich der Hilfswehre unterscheiden. Diese reichen von einer Teilabsenkung beziehungsweise einem Teilrückbau bis zu einem kompletten Rückbau der Hilfswehre. Während eine Teilabsenkung noch einen gewissen Rückstau und damit eine breite Benetzung des Flusslaufs bewirkt, führt der Rückbau der Hilfswehre zu schnelleren Fliessgeschwindigkeiten, aber – ohne deutlich höhere Restwassermengen als vom Bund bisher vorgeschlagen – auch zu einem schmäleren Fluss. Der Rheinaubund ist für einen möglichst vollständigen Rückbau der Hilfswehre. Nur so liesse sich wieder eine dynamische Stromlandschaft herstellen, erklärt Stefan Kunz, der Geschäftsführer des Rheinaubundes. Die Gemeinden wollen hingegen einen Rhein, der wie bisher das ganze Flussbett ausfüllt. 2006 habe man bei den Dotierversuchen sehen können, dass bei den vorgesehenen Restwassermengen mit einer vollen oder teilweisen Absenkung der Hilfswehre das Landschaftsbild der Flusslandschaft stark beeinträchtigt werde, sagt Gerhard Gsponer, der Gemeindepräsident von Rheinau. Er verweist zudem auf die Kleinschifffahrt, die durch geringere Wassertiefen erschwert würde. Besonders auf deutscher Seite ist das Vorhaben in Rheinau heftig umstritten. Das Thema ist auch von lokalen Politikern aufgegriffen worden. Zusätzliche Informationen bringt eine ergänzende Studie zur Wasserführung des Rheins, die im Auftrag des Bafu erstellt und im März 2011 den betroffenen und interessierten Kreisen vorgestellt wurde. Diese zeigt unter anderem auf, mit welchen Flussbreiten und -tiefen in der Rheinschleife bei den verschiedenen Varianten zu rechnen ist. So kann laut der Studie beispielsweise mit einer entsprechenden Gestaltung des Flussbettes zwischen dem Hauptwehr und der Klosterinsel sowie dem Bau des Dotierkraftwerkes am linken Ufer sichergestellt werden, dass der kleinere der beiden Arme beim Kloster, der «Chly Rhy», ganzjährig Wasser führt und somit der Inselcharakter der Klosterinsel erhalten bleibt. Interessante Ergebnisse liefert die Studie bezüglich der Auswirkungen auf die Stromproduktion: Wenn die Dotierturbine grosszügig ausgelegt und eventuell sogar variabel beschickt wird (20 bis 40m3/s), kann übers ganze Jahr mit einer kleinen Mehrproduktion gegenüber heute gerechnet werden. Der Grund dafür liegt darin, dass in den wasserreichen Sommermonaten viel Wasser über das Hauptwehr abläuft und für die Stromproduktion nicht nutzbar ist.

Konzession mit wenig Spielraum

Doch gerade hier ergeben sich juristische Probleme. Mit einer zusätzlichen Dotierturbine wird nämlich die konzessionierte Nutzungsmenge von 400m3/s überschritten. «Maximal fünf Prozent Überschreitung wird in der Regel toleriert», sagt Thomas Oswald vom BFE. Das würde einem Schluckvermögen der Dotierturbine von 20m3/s entsprechen. Ist die Abweichung grösser, so ist laut Oswald im Normalfall eine Zusatzkonzession notwendig. Das BFE prüft derzeit, ob und inwieweit beim Kraftwerk Rheinau von einem speziellen Fall auszugehen ist. Oswald gibt jedoch zu bedenken, dass die Verfügung auch vor Gericht standhalten müsse. Geht es nach den Vorstellungen des Rheinaubundes, so müssten mindestens 40m3/s durch die Rheinschleife fliessen. Gerhard Gsponer geht davon aus, dass für eine Lösung, die auch dem Landschaftsschutz Rechnung trägt, sogar eine Wassermenge zwischen 70 und 100m3/s erforderlich wäre. Doch damit würden die «wohlerworbenen Rechte» des Kraftwerks verletzt, was Entschädigungsforderungen nach sich ziehen würde. Gsponer ist deshalb überzeugt, dass sich wirkliche Verbesserungen erst im Rahmen der Neukonzessionierung realisieren lassen. Die Konzession läuft 2036 ab. Laut Gsponer dauern solche Verhandlungen üblicherweise 20 Jahre. Somit müssten diese in etwa fünf Jahren also bereits beginnen.

Ausstehendes Gutachten der ENHK

Die Gemeinde Rheinau hofft nun auf Schützenhilfe der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK), die im Auftrag des BFE derzeit ein Gutachten erstellt.1 Gsponer findet, dass dem Landschaftsschutz bisher zu wenig Beachtung beigemessen wurde. Auch beim Rheinaubund ist man gespannt, wie die vorgeschlagenen Lösungen durch die ENHK beurteilt werden. Das Gutachten der ENHK hat Gewicht. Für das BFE stellt es eine wichtige Grundlage zur definitiven Ausarbeitung der Sanierungsverfügung dar.

Anmerkung

  1. Rheinau liegt im BLN-Objekt Untersee-Hoch­rhein (Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung). Weil das Kloster zusammen mit dem Dorf Rheinau zudem im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (Isos) aufgeführt ist, muss sich auch die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege dazu äussern. Ihre Stellungnahme wird in das Gutachten der ENHK einfliessen
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